Der Vatikan und der Kriegsausbruch - ein Audio-Dossier
Am 1. September vor
genau siebzig Jahren ist die Deutsche Wehrmacht über Polen hergefallen; der Zweite
Weltkrieg begann. Wie der Vatikan diese dramatischen Stunden erlebte, berichtet Stefan
Kempis in diesem Audio-Dossier.
„Die Gefahr ist groß – doch noch ist Zeit.
Nichts ist verloren mit dem Frieden; alles kann verloren sein mit dem Krieg!“
Es
ist der 24. August 1939. Mit einem dramatischen Appell wendet sich Papst Pius XII.
über Radio Vatikan an die Weltöffentlichkeit. Ein verzweifelter Schrei nach Frieden
– nur Stunden, nachdem der Hitler-Stalin-Pakt bekannt geworden ist. In kaum einem
Geschichtsbuch wird der Papst-Appell erwähnt – warum auch? Auf Hitler, auf den Weg
zum Krieg hatte er keinen Einfluß.
„Mögen die Menschen sich doch wieder verstehen
und wieder verhandeln!“
Pius kennt die Deutschen gut; er war mal Nuntius in
München und Berlin. Der hagere Diplomat auf dem Stuhl Petri verabscheut nichts so
sehr wie blinde Gewalt; verhandeln, Geduld zeigen, das ist sein Stil. Seinen Radio-Appell
hat zu wichtigen Teilen sein engster Mitarbeiter geschrieben: Monsignore Gianbattista
Montini. Es ist der spätere Papst Paul VI. Rückblickend auf diese Tage vor dem Krieg
wird Paul einmal sagen:
„Man hat soviel über die Haltung von Pius XII. zum
Zweiten Weltkrieg geredet, hat ihm oft zuviel Zurückhaltung vorgeworfen – oder, dass
er parteiisch gewesen sei wegen seiner Sympathien für dieses oder jenes Volk. Aber
so sollte man diesen großen Pontifex nicht beurteilen. Er war sehr sensibel, das ja;
aber er stand ohne Abstriche für die Gerechtigkeit ein!“
„Die Gerechtigkeit
bahnt sich ihren Weg mit der Macht der Vernunft, nicht mit der der Waffen“, mahnt
Pius in seiner Rede. Ein Film siebzig Jahre später zeigt die Szene, wie der Pacelli-Papst
die Botschaft aufzeichnet; er wendet sich an Montini, der hinter ihm steht, und sagt
ihm: „Don Battista – eines Tages werdet ihr meine Vorsicht verstehen...“
„Ich
glaube noch nicht wirklich an einen Krieg“, schreibt – am 30. August 39 – Angelo Giuseppe
Roncalli in sein Tagebuch. Er ist Päpstlicher Delegat in der Türkei, hat sich vor
kurzem mit dem dortigen deutschen Botschafter Franz von Papen unterhalten. „Die Staatslenker
werden sich doch nicht offenen Auges in den Abgrund werfen, der sie verschlingen wird“,
so Roncalli – der spätere Papst Johannes XXIII. – weiter. Er täuscht sich. Hitler
geht den entscheidenden Schritt in den Abgrund.
„Ab 5.45 Uhr wird zurückgeschossen!“
„Pius
XII. hat unermüdlich geschrieben und gearbeitet, um den Ausbruch des schrecklichen
Zweiten Weltkriegs zu verhindern“ – so urteilt einmal Papst Johannes Paul II. über
seinen Vorgänger. Johannes Paul hieß 1939 noch Karol Wojtyla und lebte im überfallenen
Polen. Als Hitlers Truppen einfallen, geht er mit seinem todkranken Vater auf die
Flucht raus aus Krakau, Richtung Osten. Bis er und Tausende Mitflüchtlinge erfahren,
dass dort Stalins Rote Armee eingefallen ist. Sie sitzen in der Falle.
„Nichts
ist verloren mit dem Frieden – alles kann verloren sein mit dem Krieg!“ Der polnische
Papst Johannes Paul zitiert diese Worte seines Vorgängers vom Vorabend des Großen
Kriegs und sagt: „Das war eine Prophezeiung.“
1939 ist der 12-jährige Joseph
Ratzinger gerade ins Kleine Seminar in Traunstein eingetreten. Sein Vater, ein Polizist,
hat eine Anti-Hitler-Zeitung abonniert, der kleine Joseph – jetzt Papst Benedikt –
sieht sich darin immer die Karikaturen an. Wegen seiner Gegnerschaft zu den Nazis
muss Vater Ratzinger in einem kleinen Dorf Dienst tun.
Vor siebzig Jahren begann
das große Völkerschlachten. Heute ist ein Deutscher Papst – als Nachfolger eines Polen.
Von den Warnungen vor dem Krieg aus dem Vatikan ist der Satz geblieben: „Nichts ist
verloren mit dem Frieden. Alles kann verloren sein mit dem Krieg!“