2009-08-27 13:00:06

Michael Jackson – santo subito!


RealAudioMP3 Der Gebrauch von Religiösem im weltlichen Kontext ist seit Jahren ein weit verbreitetes Phänomen: Hildegard-von-Bingen-Kochbücher versprechen Wohlbefinden, TV-Talkmaster erteilen Absolution, Fußball-Fangesänge muten wie Choräle an. Auch im Popmusikgeschäft wird sich mal mehr, mal weniger offensichtlich religiöser Inhalte bedient. Derzeit macht wieder einmal die Sängerin Madonna Schlagzeilen; gegen ihre Konzerte in Polen und Bulgarien, die beide an hohen kirchlichen Feiertagen stattfanden, wurde heftig protestiert. Auch an einem anderen Popkünstler ist seit geraumer Zeit kein Vorbeikommen: Michael Jackson. Welchen Hintergrund die Proteste gegen Madonna haben und wie beide Sänger sich religiöse Symbole und Inhalte zu eigen mach(t)en, erklärt die Musikwissenschaftlerin und Theologin Christine Lauter in einer Analyse für uns.

Dass die Popsängerin Madonna gerne mit religiösen Inhalten kokettiert, ist längst bekannt. Allein schon ihr Künstlername lässt auf eine nicht eindeutige Beziehung zur katholischen Kirche schließen. Bereits zu Beginn ihrer Karriere erregte Madonna Aufsehen mit Symbolen der Kirche in denkbar unpassendem Kontext. Während der letzten Jahre sind Madonnas Äußerungen zur Religion zum Selbstläufer geworden, kaum einer nahm diese mehr ernst - weder Medien noch Kirche regten sich auf. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, warum die Sängerin in ihrer letzten Bühnenshow vor drei Jahren alle Register der Provokation zog und eine regelrechte Polemik um ihre Person entfachte: In sakraler Atmosphäre ließ Madonna 2006 zu Orgelmusik ein Kreuz aufrichten, an das sie selbst, eine Dornenkrone tragend, gefesselt war. Dazu im Hintergrund Projektionen von Bibelversen. Etliche weitere Symbole des Christentums und anderer Religionen tauchten hier und dort auf. Passenderweise war die Tour „Confessions“, also „Beichten“ betitelt. Kein Wunder also, dass Stimmen im Vatikan und in Diözesen rund um den Globus laut wurden und zum Boykott der Konzerte aufriefen. Die Befürchtung, dass sich Madonna in ihrem Konzert in Warschau an Mariä Himmelfahrt ähnlich in Szene setzen könnte, förderte eine ganze Protestbewegung zu Tage. Gleiches geschieht derzeit in Bulgarien, wo die Sängerin an diesem Samstag, dem Fest Johannes des Täufers, auftreten will.

Madonna nutzt religiöse Symbole, um Aufsehen zu erregen. Dies gelingt ihr immer wieder, indem sie ein Tabu nach dem anderen bricht – meist genau dann, wenn es etwas ruhiger um ihre Person geworden ist, wenn ihre Karriere stagniert. Eine wirkliche Aussage steht hinter dem Gebrauch von christlichen Symbolen jedoch nicht. Wenn Madonna sich am Kreuz hängend in Szene setzt, will sie Tabus brechen und damit provozieren, nicht den Erlösertod für sich in Anspruch nehmen.

Das Zitieren religiöser Symbole im Popbusiness kann aber auch ganz anders aussehen. Nicht zu Provokationszwecken und zum Tabubruch, sondern wesentlich subtiler benutzte Michael Jackson die Aura des Religiösen und feierte damit große Erfolge. Die Massenverherrlichung des selbsternannten „King of Pop“ findet auch zwei Monate nach dessen Tod kein Ende. Seine mediale Allgegenwart bietet Anlass genug, das Phänomen „Michael Jackson“ einmal genauer unter die theologische Lupe zu nehmen.
Eine schier unendliche Auswahl an Beispielen erschließt sich beim näheren Blick auf Michael Jacksons Werk. Stellvertretend sei deshalb nur ein Text und die dazugehörige Bühnenshow untersucht. 1991 veröffentlichte der Sänger den Song „Will you be there“, Text und Musik stammen beide aus seiner eigenen Feder. Der Song beginnt mit einem Zitat des Schlusssatzes von Beethovens Neunter Symphonie. Dies ist zwar ein weltliches Werk, doch lautet der Text im Chor: „Ahnest du den Schöpfer, Welt? / Such’ ihn über’m Sternenzelt!“

Ein Kinderchor setzt ein, das Hauptthema des Songs wird auf der Hammondorgel vorgestellt, dem meistgebrauchten Instrument in amerikanischen Gottesdiensten. Erst nach mehr als zwei Minuten setzt der eigentliche Interpret, Michael Jackson, mit seinem Gesang ein. Was er singt, mutet wie ein Gebet an – besonders nach dem ausgiebigen Aufbau einer sakralen Aura: „Halte mich wie der Fluss Jordan, trag mich, liebe mich – wenn es mir schlecht geht, wirst du da sein für mich? Sie sagten mir, ich solle glauben und bis zum Ende durchhalten, aber ich bin nur ein Mensch. Jeder kontrolliert mich, es scheint, die Welt habe eine Aufgabe für mich.“

Er ist der Leidende, der sich nach Liebe, Trost und Geborgenheit sehnt. Er ist der Unverstandene, das Opfer. Doch erfährt der Text nach mehreren solcher Aufforderungen eine unerwartete Wendung: Plötzlich ist es nicht mehr das Gegenüber, das für ihn da sein soll. Nein, wenn dieses Gegenüber ihn trägt, ihn liebt, ihn heilt – dann wird er für es da sein. Nicht mehr „Will you be there“ heißt es, sondern „I will be there“. Den letzten Abschnitt des Songs bildet ein gebetsartig gesprochener Teil, der wiederum mit sakral anmutendem Chorgesang begleitet ist und die inhaltliche Wende weiter ausführt.

Diese Wende im Zusammenhang des ganzen Songs betrachtet sagt: Nicht Gott, das Gegenüber, das er um Beistand bittet, sondern Jacksons eigene Fangemeinde soll ihm beistehen. Er selbst verspricht seinen Anhängern Seelenheil, solange sie ihm nur nachfolgen. All das erinnert enorm an Jesu Aufforderungen an seine Jünger im Neuen Testament.

Dass diese Verbindung nicht nur Interpretation ist, zeigt die Bühnenshow zum selben Song: Ein Gospelchor füllt die Bühne, teils sind die Sänger in liturgische Gewänder gehüllt, teils als Sklaven oder Indianer verkleidet. Tänzer scharen sich um Michael Jackson, heben ihn an den Beinen hoch, er breitet die Arme aus und neigt den Kopf zur Seite – zur Kruzifixhaltung, die Tänzer falten ihre Hände vor der Brust wie zum Gebet. Kinder überreichen ihm einen Globus, legen die Welt in seine Hände, ein großes Buch, auf dem ein Kreuz abgebildet ist, betrachten der Sänger geradezu ängstlich, als ob das Buch ihr eigenes Schicksal zum Inhalt habe. Zwischendurch immer wieder Einblenden von jubelnden Fanscharen, die Michael Jackson mit Segensgebärden grüßt; aufgewühlte junge Frauen finden in seiner Umarmung Halt.

Die Botschaft ist eindeutig: Aus dem Opfer, das mit seinen schulterlangen, lockigen Haaren der traditionellen Jesusikonographie erheblich nahe kommt, wird die messianisch verkitschte Erlöserfigur Jackson, der in seinem Leiden die Leiden seiner Jünger im Publikum, der Sklaven und Indianer auf der Bühne, der ganzen Welt stellvertretend auf sich nimmt. Die popkulturelle Heiligenverehrung hat die profane Sphäre verlassen. Religiöse Symbole und Inhalte sollen hier nicht wie bei Madonna Blickfänger sein, sondern auf einen eigenen Inhalt, einen wahren Religionsersatz verweisen. Ihre ursprüngliche Bedeutung wird umgekehrt, die Symbole verweisen nicht mehr auf kommendes Heil, sondern werden Teil des Profanen.

Auch nach dem Tod des Sängers hört dieser Personenkult nicht auf, vielmehr übersteigert er sich selbst: Die Begräbnisfeier begrüßt den Sarg mit Jacksons Leichnam mit dem Gospel „Bald werden wir den König, den King sehen“ – und meint damit doch den „King of Pop“ –, Reverends predigen sein Großmenschentum, und alle Anschuldigungen rund um Kindesmissbrauch scheinen vergessen. Thomas Gottschalk spricht in seinem Nachruf in der Bild-Zeitung vom „Messias einer Musikgeneration, für den er sich hielt und der er zweifelsohne war“. Offenbar hat der Sänger geschafft, was er mit seinen Texten, seiner Musik, nicht zuletzt aber mit einer Selbstdarstellung fern dieser Welt erreichen wollte: Er ist der „King of Pop“, der König im Pophimmel, der seinen Anhängern über seinen Tod hinaus ewiges Heil verspricht. Dass er dies so subtil, ganz ohne Protest der Kirche geschafft hat, ist der eigentliche Skandal, neben dem der Aufruhr um Madonna zur Bagatelle wird.

(rv 28.08.2009 cl)







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