Argentinien: Kirche wird nicht müde Armut anzuprangern
In den vergangenen Wochen ist es in Argentinien zu Spannungen zwischen Kirche und
Staat gekommen. Anlass ist die Debatte um das Ausmaß der Armut in dem Land. Die argentinischen
Bischöfe werden nicht müde, die katastrophalen Verhältnisse anzuprangern. Konkret
kritisieren sie, dass die politische Führung keine Programme gegen die wachsende Not
der Menschen habe. Das Armutsproblem sei nicht nur eine Folge der Wirtschaftskrise,
sondern maßgeblich hausgemacht, so die Bischöfe. In einem Schreiben von Anfang August
an den Nuntius in Buenos Aires forderte auch Papst Benedikt, „den Skandal der Armut
und die soziale Ungleichheit“ in Argentinien zu verringern.
40 Prozent aller
Argentinier leben in Armut. So die Statistik der argentinischen Bischöfe. Die Regierung
streitet diese erschütternden Zahlen ab. Die Armutsrate läge bei nur 15 Prozent. Das
sei Schönfärberei, bekräftigt gegenüber Radio Vatikan der Seelsorger der französischsprachigen
katholischen Gemeinde in Buenos Aires, Pater Jean de Montalembert. Die Kirche habe
ein sehr genaues Bild von den Problemen der Menschen. Denn im Kampf gegen die Armut
stünde sie an vorderster Front:
„Die Kirche ist bei diesem Thema sehr sensibel,
weil sie hier auf dem Gebiet der Armutsbekämpfung sehr präsent ist. Sie hilft besonders
Kindern und Familien, die sich kaum ausreichend mit Nahrung versorgen können, und
daher würde sie sofort spüren, wenn es da weniger Resonanz aus den Familien gäbe.
Stattdessen spüren wir, dass es immer mehr Kinder gibt, die aus den so genannten ‚comedors‛
kommen, den ‚Unterschichtsfamilien‛.“
Die Mächtigen in Politik und Gesellschaft
wüssten um die Glaubwürdigkeit der Kirche in diesen Belangen, so Pater de Montalembert.
Deswegen sei es zu den Missstimmungen nach den Äußerungen des Papstes sowie des Erzbischofs
von Buenos Aires gekommen.
„Alle politischen Machthaber waren sehr angespannt,
weil sie eigentlich wissen, dass sie nicht sagen können, dass die Kirche sich irrt.
Trotzdem sagen sie es. Aber sie wissen, dass ihnen da niemand glaubt, weil die Kirche
in diesem Thema absolut glaubwürdig ist.“
Es sei fatal, dass sich an den
Lebensumständen vieler Argentinier seit Jahren nichts ändere, so der französische
Pater weiter. Dabei hätten viele gehofft, dass es mit der wirtschaftlichen Erholung
nach der großen Verschuldungskrise zu Beginn des Jahrzehnts auch Fortschritte im Kampf
gegen die Armut gebe, wie beispielsweise in Peru.
„Aber hier wurde nichts
unternommen und deswegen erscheint es noch skandalöser, dass die offizielle Meinung
lautet: ‚Wir haben viel getan.‛ Darüber lächeln alle, weil ja jeder weiß, dass das
nicht stimmt.“
Im Grunde ist Argentinien ein Land mit vielen Ressourcen.
Es ist eines der weltweit führenden Exportländer von Rindfleisch und Getreide. Doch
ist der Reichtum sehr ungleich verteilt: Während die argentinischen Manager Top-Gehälter
beziehen, müssen sich 40 Prozent der Bevölkerung mit nur zehn Prozent des gesamten
Volkseinkommens zufrieden geben. Angesichts dieser Widersprüche hätten viele Argentinier
das Vertrauen in die Demokratie verloren, meint Pater de Montalembert:
„Bei
den letzten Wahlen haben die alten Machtinhaber verloren. Das war ein eindeutiger
Akt seitens der Bevölkerung, um ihre Ablehnung gegenüber dieser Politik auszudrücken.
Ich denke, dass wäre eigentlich der Moment gewesen, in dem sich in diesem Land etwas
hätte ändern können – durch einen anderen politischen Dialog oder eine stärkere Opposition.
Aber überhaupt gar nichts hat sich verändert. Es gibt hier einen großen Raum für solche,
die politisch Druck ausüben und dafür sorgen, dass sich nichts ändern kann. Und die
Menschen sind derart gewöhnt an ihre Situation, dass sie sich nicht rühren, sie gehen
nicht auf die Straße.“