Die Demokratien Lateinamerikas seien nicht nur „von rechts“, sondern auch „von links“
gefährdet. So die Einschätzung von Prälat Josef Sayer, Geschäftsführer von „Misereor“,
im Gespräch mit Radio Vatikan. Die Kirche in Lateinamerika habe vor diesem Hintergrund
eine wichtige Funktion: Die jeweiligen Regierungen an den Schutz der demokratischen
Verfassung und des Gemeinwohls zu erinnern. Wo die Präsidenten der einzelnen Länder
oftmals nur „populistische und Machterhaltungsinteressen“ verfolgten, sehe die Kirche
Armut, Korruption, Klimaveränderungen und die Finanzkrise in einem größeren Zusammenhang.
Jüngste Beispiele für ihren Einsatz in Lateinamerika sind die Vermittlungsversuche
der Bischofskonferenzen in Honduras und Bolivien sowie ihr Einsatz für mehr Demokratie
in Venezuela. Ein Bericht von Anne Preckel.
Seit der Verfassungsänderung in
Venezuela gehe von dem Land ein „destabilisierender Einfluss“ auf andere Länder in
Lateinamerika aus, so der Geschäftsführer von Misereor. Prälat Sayer bezieht sich
dabei auf Berichte des Erzbischofs von Tegucigalpa, Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga,
den er kürzlich traf. Die Führung Venezuelas versuche zum Beispiel in der aktuellen
Regierungskrise in Honduras, Öl ins Feuer des Konfliktes zu gießen. Sayer:
„Man
sagt sogar, dass Personen eingeschleust werden aus Venezuela, die zur Destabilisierung
des Landes führen sollen. Ähnliche Bemühungen von Chavez gibt es auch Richtung Bolivien
und Ecuador. Kardinal Rodriguez hat mir gesagt, dass sie Anzeichen haben, dass Personen
eingeschleust werden, die dann bei Demonstrationen stören und zur Gewalt aufmuntern.
Indem gesagt wird: „Hier ist politische Gewalt“, soll letztlich das Bemühen eines
außer Landes gebrachten Präsidenten rechtfertigen, seine Machtposition gegenüber der
traditionellen Elite durchzusetzen.“
Gewalt und militärisch erzwungene
Machtwechsel sind die Punkte, die Kardinal Rodriguez nach der Absetzung Zelayas vom
28. Juni scharf kritisierte. Die Kirche suche in der politischen Krise den Weg des
Dialogs, unterstreicht Sayer: So habe sich die honduranische Bischofskonferenz bemüht,
die Vermittlungen des Präsidenten Costa Ricas in der Staatskrise zu unterstützen und
Manuel Zelaya sowie Roberto Micheletti von Neuwahlen zu überzeugen. Sayer:
„Vermittlungen,
die dazu führen sollen, dass beide zurücktreten und es so zu Neuwahlen und einem Neuanfang
in dem Land kommen kann. Entscheidend ist, dass es hier tatsächlich auch um eine Verfassungsrealität
geht. Eine Verfassung darf nicht ausgehöhlt werden! Und wenn dann noch ausländische
Kräfte wie etwa Venezuela auf Honduras einwirken... Dann denke ich, hat die Bischofskonferenz
mit Kardinal Rodriguez sehr klar und entschieden darauf hingewiesen, dass die Wahlen,
die im November anstehen, auch tatsächlich durchgeführt werden. Um dem Willen des
Volkes zum Durchbruch zu verhelfen.“
Auch in Bolivien habe die Kirche versucht,
dem Volk zum Recht zu verhelfen und sich gegen die Korruption stark zu machen, erinnert
er. Die ehemalige Regierung habe die Interessen der armen, indigenen Bevölkerung zu
wenig geschützt. Rund zwei Drittel der bolivianischen Bevölkerung leben unterhalb
der Armutsgrenze. Mit den Versprechen des Indio-Präsidenten Morales, Gerechtigkeit
und Gleichheit für alle zu schaffen, sei die Situation nur geringfügig besser geworden.
„Die
Kirche in Bolivien hat sich in einem ersten Moment positiv verhalten, auch gegenüber
Morales und seinen Bemühungen, der indigenen Bevölkerungsmehrheit mehr Rechte zu verschaffen.
Ich denke, dieses Bemühen war sehr wichtig. Es ging auch darum, neue Verträge auszuhandeln
mit ausländischen Konzernen, damit das Einkommen aus den Bodenschätzen auch dem Land
selbst tatsächlich zugute kommt. Die Vorgängerregierung hatte korrupte Verträge ausgehandelt,
die zu wenig die Interessen des Landes und des Gemeinwohls berücksichtigten.“
Um
gegenüber der Politik mehr Gewicht zu haben, wollen die nationalen Bischofskonferenzen
der lateinamerikanischen Länder in Zukunft besser untereinander kommunizieren. So
starteten die Bischöfe Kolumbiens angesichts der jüngsten Spannungen zwischen Venezuela,
Ecuador und Kolumbien zum Beispiel eine diplomatische Offensive. Misereor unterstützt
die lateinamerikanische Bischofskonferenz CELAM dabei, mit den jeweiligen Regierungen
in einen Austausch zu treten, und organisiert Treffen zwischen Politikern und Bischöfen.