2009-08-23 18:56:32

Vatikan: „Europa darf Grenzen nicht aus Egoismus abschotten“


RealAudioMP3 Im jüngsten Flüchtlingsdrama vor der Mittelmeerinsel Lampedusa mit dutzenden Toten hat der Vatikan die EU-Länder erneut dazu aufgerufen, die Menschenrechte von Migranten zu garantieren. Die europäischen Gesellschaften dürften sich nicht „aus Egoismus verschließen“ gegenüber Menschen, die wegen Hunger und Verfolgung nach Europa kämen. Das betonte der Präsident des Päpstlichen Rates für die Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs, Kurienerzbischof Antonio Maria Vegliò im Interview mit Radio Vatikan.

„Unsere so genannten zivilen Gesellschaften haben eine starke Ablehnung gegenüber Ausländern entwickelt. Diese ist nicht nur in der Unkenntnis des Anderen begründet, sondern auch in einem Egoismus, in der fehlenden Bereitschaft, das Eigene mit dem Fremden zu teilen. Das nimmt zum Teil extreme Ausmaße an, so dass viele ihren Wohlstand lieber mit Haustieren als mit Flüchtlingen teilen. Deren Zahl wächst aber leider dramatisch. Laut der jüngsten Statistiken sind seit 1988 fast 15.000 Menschen an den Grenzen nach Europa gestorben. Der Päpstliche Rat für die Migranten ist bestürzt angesichts immer neuer solcher Tragödien und betont das, was auch Papst Benedikt in seiner Enzyklika „Caritas in Veritate“ festgehalten hat: ‚Jeder Migrant genießt fundamentale, unveräußerliche Menschenechte, die es in jeder Situation zu achten gilt.‘“

Bei der Überfahrt von Libyen nach Italien sind in der vergangenen Woche nach Angaben Überlebender mindestens 73 eritreische Flüchtlinge an Entkräftung gestorben. Die italienischen Justizbehörden ermitteln jetzt im Hinblick auf den Hergang des Unglücks. Dabei wurden Vorwürfe gegen Malta laut, den fünf überlebenden Migranten verspätet Hilfe geleistet zu haben. Laut italienischem Innenministerium habe die maltesische Marine das Boot bereits am Dienstag gesichtet, den Überlebenden aber lediglich Wasser, Brot und Schwimmwesten zugeworfen. Erst zwei Tage später seien sie von der italienischen Küstenwacht gerettet worden. Die maltesischen Behörden wiesen die Vorwürfe zurück. Im Streit um die Verantwortlichkeit der Tragödie unterstreicht der Vatikan: Solche Vorfälle können nur durch international verbindliche Übereinkünfte zum Schutz von Migranten verhindert werden. Erzbischof Vegliò:

„Zwar ist es auf der einen Seite wichtig und legitim, dass Staaten die Grenzen auf dem Meer überwachen, um Einwanderung zu regulieren und humanitäre Einsätze zu leisten. Aber auf der anderen Seite gibt es Menschenrechte, die geachtet und geschützt werden müssen, und das ganz besonders in extremen Notsituationen, wenn zum Beispiel Boote mit Flüchtlinge hilflos auf dem Meer treiben oder in Seenot geraten… Der Papst hat deshalb dazu aufgerufen, die verschiedenen Gesetzesordnungen besser aufeinander abzustimmen, mit der Perspektive, die Bedürfnisse und Rechte der emigrierenden Personen und Familien zu gewährleisten ebenso wie die der Zielländer der Emigranten.“

 
Aufgrund der kirchlichen Stellungnahmen im Bezug auf das Flüchtlingsdrama ist es ferner zu Polemiken unter italienischen Politikern gekommen. Reformminister und Parteivorsitzender der rechtsgerichteten Lega Nord, Umberto Bossi, hatte die Äußerungen der Bischöfe am Samstag vor Journalisten als „sinnlos“ bezeichnet. Wörtlich sagte Bossi: „Warum öffnet nicht der Vatikan, der Immigration unter Strafe stellt, seine Pforten?“ Der Kirchenstaat solle selber mit gutem Beispiel vorangehen. Damit stieß der Reformminister auf harsche Kritik seitens katholischer Verbände und Politiker. Der Vorsitzende der Christdemokratischen Union, Pier Ferdinando Casini, nannte die Äußerungen Bossis eine „Beleidigung für alle Italiener“.

Als unsachlich haben auch Juristen Bossis Bemerkung kritisiert. „Die Straftat der Illegalen Einwanderung gibt es für den Staat der Vatikanstadt praktisch nicht“, sagte gegenüber Radio Vatikan der Kirchenrechtler, Giuseppe Della Torre:

„Natürlich gibt es Normen, die sowohl die Staatsbürgerschaft, als auch den Zugang zur Vatikanstadt regeln. Es hat auch rechtliche Konsequenzen, wenn man gegen diese Regeln verstößt. Aber man kann in dieser Hinsicht keinen direkten Vergleich zwischen Italien und dem Vatikan, der aus dem apostolischen Palast und den umliegenden Gärten besteht, anstellen. Das wäre so, als würde man Italien mit dem Sitz des Präsidenten auf dem Quirinal vergleichen.“

 
(rv/ansa 23.08.2009 ad)







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