Afghanistan: „Wahlen weckten Erwachen eines staatsbürgerlichen Bewusstseins“
Die Präsidentschafts-
und Provinzwahlen in Afghanistan sind nach vorläufigen Erkenntnissen der EU-Wahlbeobachtermission
im Allgemeinen gut und fair verlaufen. Die Stimmenzählung ist derweil abgeschlossen.
Erste vorläufige Ergebnisse sollen von Dienstag an bekanntgegeben werden. Egal wie
der nächste Präsident nun heißen wird, mit der Durchführung der Wahlen habe das leidgeprüfte
Land einen positiven Schritt gemacht. Das sagt gegenüber Radio Vatikan die Vertreterin
von Caritas Deutschland in Kabul, Marianne Huber. Mario Galgano hat sie gefragt, was
sie persönlich bei diesen Wahlen beeindruckt habe.
„Am Freitagmorgen ist
ein afghanischer Mitarbeiter bei uns kurz vorbeigekommen und zeigte uns voller stolz
seinen schwarz gefärbten Finger. Er wollte uns damit beweisen, dass er wählen gegangen
ist. Er hat uns erzählt, dass viele Leute gewählt hätten. Er betonte auch, dass viele
Frauen dabei waren. Ich habe gemerkt, wie aktiv er an den Wahlen teilgenommen hat
und wie er die Geschlechterfrage ansieht. Das empfand ich persönlich als ein positives
Signal, denn im Vorfeld war hier eine große Resignation spürbar.“ Es ist ja
bemerkenswert, wie sich die Lage der Frauen in Afghanistan in wenigen Jahren geändert
hat. Vor kurzem galt das Land als das wohl frauenfeindlichste der Welt und am Donnerstag
nahmen nun viele Frauen an den Wahlen teil. Wie ist aber konkret die Lage der Frauen
heute?
„Von der Verfassung her gibt es keine Einschränkungen für Frauen.
Es gab ja auch Kandidatinnen für die Präsidentschafts- und Regionalwahlen. Das ist
sicher ein positiver Punkt. Ich glaube, dass es den Afghanen, die sich an der Wahl
beteiligt haben und trotz aller Unregelmäßigkeiten, bewusst ist, welche Chance sie
erhalten haben. Das ist für Männer und Frauen gleichermaßen wichtig. Es geht um das
Erwachen eines staatsbürgerlichen Bewusstseins.“ Aber wie sieht die Zukunft
der Frauen in Afghanistan nach diesen Wahlen aus?
„Ihre Zukunft muss man
unter zwei Gesichtspunkten betrachten. Einerseits gibt es eine horrende Armut im Land.
Andererseits herrschen fortwährende Konflikte und Unsicherheit. Im Falle der Frauen
kommt auch noch hinzu, dass es eine spezifische Form von Gewalt gegen sie gibt. Das
hat mit dem Eheverständnis der Gesellschaft zu tun.“ Zurück zu den Wahlen:
Da ist die Nachricht um die Welt gegangen, dass die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen
in den vergangenen Tagen sich verstecken mussten wegen der Androhungen der Taliban.
Wie war es aber konkret, wohnten Sie in einem Bunker?
„Es war klar, dass
man nicht wusste, was kommen wird. Es gab unzählige Drohungen von den Taliban. Es
gab auch Raketenangriffe. Zum Glück geschah es aber nicht in dem Ausmaß, wie es befürchtet
wurde. Für uns ist es selbstverständlich, dass man vorsichtig sein muss. Ich war am
Vorabend der Wahlen auf der Straße und die Stadt wirkte wie ausgestorben.“ Welche
Rolle kann die Kirche in Afghanistan spielen?
„Es gibt enorm viel zu tun.
Sieben Millionen Menschen haben hier nicht genug zu Essen. Jede Stunde sterben zwei
Frauen an Geburtskomplikationen. Nur 13 Prozent der Afghanen haben einen Zugang zu
Trinkwasser. Das sind Zahlen, die unter dem Durchschnitt ärmster afrikanischer Länder
zu finden sind. Wir vertreten die Grundwerte der Caritas in der praktischen Arbeit.
Es geht um Begegnung mit den Menschen und dies immer im Respekt vor ihrer Identität
und ihren Werten. Das ist für mich eigentlich die praktischste Form von Kirche in
Afghanistan.“ (rv/afp 22.08.2009 mg)