D: Die muslimische Wählervereinigung BFF - ein Beitrag zur Integration?
„Wir brauchen eine
Bündelung demokratischer Interessen im demokratischen System – keine weitere Zersplitterung“.
Mit diesen Worten kommentiert Bülent Ucar, Islamwissenschaftler und Professor für
muslimische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück, die Gründung der muslimischen
Wählervereinigung „Bündnis für Frieden und Fairness“ (BFF) in Bonn. Das Bündnis präsentierte
sich an diesem Mittwoch in Bonn der Öffentlichkeit. Die Vereinigung ist am 30. Juni
aus einer Initiative des Rats der Muslime in Bonn entstanden und tritt in der Bundesstadt
bei der Kommunalwahl am 30. August an. Mitglied kann jeder parteiunabhängige Bürger
mit aktivem Wahlrecht in der Stadt Bonn werden. Ein Beitrag von Anne Preckel.
„Vereinen
statt spalten, anerkennen statt tolerieren, dem Frieden deine Stimme geben“. So lautet
die Wahlwerbung der Vereinigung, welche die Parteivorsitzenden Haluk Yildiz und Jürgen
Kannich auf der Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch in Bonn bekannt gaben. In
Bonn leben rund 29 500 Muslime, das sind 9,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Kann die
Partei zur Integration der Muslime in Deutschland beitragen? Der muslimische Religionspädagoge
Bülent Ucar ist skeptisch:
„Ich glaube, dass es viel nützlicher, viel effektiver
und auch viel mehr im Sinne der Muslime in Deutschland wäre, wenn Muslime sich in
den etablierten Parteien einsetzen würden statt eigenständige Parteien zu gründen
und aufzubauen, weil ich denke, dass man über diese Schiene viel mehr erreichen kann
als mit eigenen Parteien. Auch wenn diese Partei meinetwegen in die Stadträte oder
in den Ladtag kommen könnte mit 5, 6, 7 Prozent vielleicht in den nächsten 10 bis
20, Jahren – halte ich das dennoch für problematisch, weil ich denke, dass wir sozusagen
eine Bündelung der unterschiedlichen Interessen im demokratischen System brauchen
und nicht eine weitere Zersplitterung.“
Doch warum gründet sich gerade
jetzt eine muslimische Partei in Deutschland? Nach Ansicht von Ucar ist die Gründung
des BFF möglicherweise Anzeichen für die Schwäche der großen deutschen Parteien.
„Andererseits
müssen sich die etablierten Parteien wiederum die Frage gefallen lassen, warum möglicherweise
bestimmte Muslime Anlass sehen, eigenständige Parteien aufzubauen und zu gründen.
Also da sollte man auch mal selbstkritisch in die eigenen Reihen schauen. Faktum ist,
dass die etablierten Parteien in Deutschland sich vielleicht in der Vergangenheit
nicht in dem Maße um Muslime und deren religiöse Belange, aber auch um spezifische
Migrationsprobleme und Integrationsprobleme gekümmert haben – das mag ein Grund dafür
sein.“
Stimmten zum Beispiel vor zwei Jahren noch 52 Prozent der wahlberechtigten
Muslime in Deutschland für die Sozialdemokraten, so sind es aktuell nur noch 35,5
Prozent (SPD-Umfrage). Das berichtet die „Frankfurter Rundschau“ vom Mittwoch unter
Berufung auf eine noch unveröffentlichte Studie des Zentralinstituts Islam-Archiv
in Soest. Neben politischem Engagement muslimischer Bürger in bereits etablierten
Parteien plädiert Ucar weiterhin für Integration und Engagement der Muslime im Alltag:
„Grundsätzlich
würde ich es begrüßen, wenn sich Muslime in Deutschland weiterhin sozialpolitisch
engagieren würden, die Staatsbürgerschaft des Landes hier annehmen würden, sich hier
viel mehr heimisch fühlen werden und zugleich auch in dieser Form durch die Mehrheitsgesellschaft
akzeptiert würden. Und da denke ich, müssen wir noch einen langen Weg gemeinsam gehen.“
Für
die multireligiöse Zukunft Deutschlands prognostiziert Ucar Veränderung - so wie Katholizismus
in Bayern anders gelebt werde als in Brasilien, sei der Islam in Deutschland anders
geprägt als in anderen Ländern der Welt. Ucar:
„Die Muslime sind in Deutschland
in einer christlich und sekular geprägten Gesellschaft. Und diese Migrationssituation,
diese Diasporasituation wird selbstverständlich auch Auswirkungen auf den Islam, auf
die islamische Religionspädagogik und auf die Muslime haben – so wie der Katholizismus
in Bayern anders gelebt wird, geprägt, verstanden, wahrgenommen wird als in Brasilien
oder im Rheinland. Vor diesem Hintergrund ist das Ganze zu sehen, meine ich.“