2009-08-16 10:29:27

D: „Kirche hat es mit Gerechtigkeitsproblem zu tun“


RealAudioMP3 Gleich zwei große Konferenzen drehten sich vergangene Woche um das Thema Migration. In Gambia sagten die englischsprachigen Bischöfe Westafrikas, dass Auswandern ein fundamentales Menschenrecht sei. Auf einer Konferenz im mexikanischen Gualdalajhara kündigte US-Präsident Barack Obama an, die Immigrationspolitik der Vereinigten Staaten zu überprüfen.
Klaus Barwig ist Referent in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Michael Hermann hat ihn gefragt, ob Migration, gerade die Migration junger Menschen, in Zeiten der Globalisierung zu einem immer wichtigeren Thema wird.

„Natürlich. Zum einen, weil für Menschen in den armen Regionen der Welt die Überlebenschancen geringer werden. Und gerade junge Familienangehörige in die reichen Länder geschickt werden, um ihre Familien – im wahrsten Sinne des Wortes – am Leben zu erhalten. Das geschieht im Moment natürlich ganz überwiegend durch illegale Zuwanderung, weil andere Wege im Moment nicht offen sind. Aber es gibt noch eine ganz andere Dimension. Allen Bevölkerungsexperten ist inzwischen klar, dass unsere wohlhabenden Regionen in Europa und auch in Nordamerika mehr oder weniger vergreisen werden. Zum Erhalt der Bevölkerungszahl bräuchten wir derzeit eine jährliche Nettozuwanderung von mindestens 250.000 Menschen außerhalb unseres Landes. Die Nettozuwanderung bewegt sich im Moment vielleicht bei etwa plus 10.000, allerhöchstens. Das heißt: Man sieht wie groß das Problem eigentlich schon geworden ist. Aber darauf sind unsere Systeme derzeit überhaupt nicht eingestellt. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass die Traumata der 90er-Jahre mit jährlichen Zuwanderungszahlen von  800.000 bis eine Million Menschen alleine nach Deutschland fortwirke, und dass diese Traumata bis heute Ansätze blockieren, so wie gerade von Obama geschildert, über gezielte Einwanderungspolitik qualifizierter Menschen aus den ärmeren Regionen nachzudenken.“

Nehmen Ihrer Einschätzung nach Überfremdungsängste in den Ländern, in die Migranten strömen, zu? Diesen Eindruck kann man zum Beispiel hier in Italien gewinnen, wo die Gesetzgebung im Hinblick auf illegale Einwanderer verschärft werden soll.

„Davon ist nach meiner Meinung auszugehen. Die Zeitungen sind in Europa voll von Berichten, wie es Flüchtlingen ergeht, die an den Küsten Italiens, Spaniens und Griechenlands anlanden. Ob noch lebendig oder nicht mehr lebendig. Das Stichwort ist eindeutig Abschreckung. Und Abschreckung ist eines der wichtigsten Instrumente unserer Politik, um dem Zuwanderungsdruck, dem die reichen Länder ausgesetzt sind, zu begegnen. Dieser Zuwanderungsdruck, der früher stärker Deutschland traf - Deutschland war lange Jahre führend in den Zuwanderungszahlen von Asylsuchenden -, dieser Zuwanderungsdruck hat sich nun auf die Küsten der EU im Mittelmeerbereich und am Atlantik verlagert. Beispiele für diese Politik sind das Verhalten Griechenlands, wo Flüchtlinge nicht ins Verfahren kommen. Ein anderes Beispiel sind Flüchtlingslager, die inzwischen auf Betreiben Italiens in Libyen unter den Augen des UNHCR etabliert wurden. Und das ist besonders tragisch. Wenn man es dann mal genauer anschaut und sieht, wer sind eigentlich Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen, wenn sie aus der Türkei losfahren in diesen Seelenverkäufern: Wie viele Christen, wie viele Mandäer, wie viele Jesiden sind auf diesen Schiffen, die eben keine Wirtschaftsflüchtlinge sind, sondern die Menschen sind, denen der Rückweg in die Heimat Irak, aus der sie fliehen mussten, auch in Zukunft versperrt sein wird."

Obama sagte auf der Konferenz in Mexiko zu seinen Vorstellungen in der modernen Migrationspolicy: „Wir wollen Fairness. Wir können ein System mit großer Sicherheit an den Grenzen und mit klaren Regeln zur Einwanderung schaffen. Wir geben den hier lebenden Einwanderern eine Chance, einen Weg zur amerikanischen Staatsbürgerschaft zu finden, so dass sie nicht in dunklen Ecken leben müssen.“ Deutschland hat seine Staatsbürgerschaft ja bereits reformiert. Sind diese Veränderungen aus Sicht der katholischen Kirche ausreichend?

„Ja, es hat den Anschein, als drohe das Ganze auf halbem Weg stecken zu bleiben. Bei all dem, was reformiert wurde, sehen wir dann doch, dass die Einwanderungszahlen stagnieren. Und wenn wir die Haupteinbürgerungsgruppen, Haupteinwanderungsgruppen in Deutschland anschauen, also zum Beispiel die Türken, dann geht es tendenziell sogar eher zurück. Und man fragt sich dann schon: Was ist das Problem, wo wäre nachzubessern? Man stellt schon fest, dass die Hürden insbesondere in den erhöhten Sprachanforderungen ganz offensichtlich zu hoch sind. Und da tun es sich viele, besonders die erfolgreichen Einwanderer, dann einfach nicht an, weil man sieht: Indem man hier erfolgreich ist und war und indem man es auch schafft, seine Steuern zu bezahlen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, kann man in Deutschland auch leben, ohne dass man Deutscher wird. Vor allem, wenn man das Gefühl hat, das ist vielleicht alles gar nicht so ernsthaft gewollt. Was uns in Deutschland nach wie vor fehlt, ist eine Kultur, die sich endlich von dieser Lebenslüge „Wir sind kein Einwanderungsland!“, die ja 50 Jahre gegolten hat, befreit und die zur Kennntis nimmt, dass der überwiegende Teil derer, die hier sind, auch hier bleiben werden und es insofern politisch unvernünftig ist, sich selber und denen, die hier bleiben werden, die Illusion aufrecht zu erhalten, sie gehen dann irgendwann doch. Das ist nicht die Basis für ein tragfähiges Zusammenleben derer, die aller Wahrscheinlichkeit und aller Voraussicht nach zusammenleben werden. Wir haben noch ein anderes Problem in der Staatsangehörigkeit: Eine Vielzahl von Kindern von eingewanderten Menschen, von Ausländern, die sich seit langem hier aufhalten, bekommen automatisch zu der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Allerdings mit der Bedingung verknüpft, im Alter zwischen 18 und 23 Jahren zu optieren für eine der beiden. Also entweder die ausländische zu behalten und die deutsche aufzugeben, oder die deutsche zu behalten und damit dann die Staatsangehörigkeit der Eltern aufzugeben. Das wird erneut ein Themenfeld werden, wo sich Menschen, die sich eigentlich dazugehörig fühlen, wieder neu die Frage stellen: Gehöre ich eigentlich dazu oder gehöre ich nicht dazu? Der Zusammenhang des Ganzen ist die Frage, lassen wir Doppelstaatsangehörigkeit zu oder nicht. Es ist sehr aufschlussreich, dass gerade Deutschland mit der höchsten Doppelstaatlerzahl in Europa genau an diesen Stellen, wo es um Leute geht, die eben hier bleiben werden, wieder so restriktiv ist.“


Die Deutsche Bischofskonferenz hat 2005 ein Papier zu Migrationspolitik verabschiedet. Sie und Ihre Kollegen diskutieren derzeit intensiv über die Umsetzung in der konkreten caritativen Praxis. Welche Schwierigkeiten tun sich hier auf?

„Als große Institution in einer pluralistischen Gesellschaft unterscheiden wir uns als katholische Kirche nicht wesentlich vom gesellschaftlichen Befund und Umfeld. Wir haben es in diesem Zusammenhang nach meiner Meinung mit einem Gerechtigkeitsproblem zu tun. Auch wenn 20 Prozent unserer Mitglieder - in unserer Diözese Rottenburg-Stuttgart - Einwanderer sind und auch wenn es, um mit Paulus zu sprechen, in der Kirche keine Ausländer gibt, unterscheiden wir uns nicht derart positiv, dass wir der Gesellschaft ein positives Vorbild sein könnten. Auch in unseren katholischen Privatschulen - und vielleicht sogar ganz besonders dort - und im gesamten Spektrum unserer kirchlichen Ausbildungsstätten sind junge Migranten nicht anteilsgerecht vertreten. Bis heute nicht. Wir versäumen bis heute, wahrzunehmen, unserer Gesellschaft ein Bild zu vermitteln, welche positive Wirkungen es vermitteln könnte, wenn die Partizipation der Zuwanderer klappen würde. Und ganz besonders tragisch für uns als Kirche: Es sind unsere Mitglieder. Und mit dieser besonderen Verbindlichkeit ist eigentlich die Notwendigkeit, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, größer. Auf dieses Gerechtigkeits- und Partzipationsproblem hat sich das Integrationspapier der Bischofskonferenz auch sehr selbstkritisch nach innen geäußert.“

In der Öffentlichkeit hält sich hartnäckig das Bild, dass Kriminalität in Deutschland im Wesentlichen von Migranten verursacht sei. Wie sieht das die kriminalsoziologische Forschung? Wie sieht das die katholische Kirche?

„Das Thema Kriminalität ist sehr emotional besetzt. Von Seiten der Kirche - wie auch in der kriminologischen Forschung - wird immer wieder darauf hingewiesen: Man muss dringend differenzieren und Dinge, die nicht zusammengehören, auch sauber auseinander halten. Es sei denn, man hat ganz bestimmte politische Absichten. Man muss zunächst einmal unterschieden: Der ehemalige Gastarbeiter, der seit 50 Jahren hier lebt und sein Auskommen gefunden hat, ist doch ein völlig anderer Mensch, fällt aber unter dieselbe Kategorie Ausländer wie derjenige, der sich mit krimineller Absicht Westeuropa aussucht, um dort mit nicht legalen Mitteln etwas vom Kuchen abzukriegen. Das alles unter denselben Begriff Ausländer zu packen, zeigt ja schon mal, wie fragwürdig die ganze Geschichte ist. Was wir haben ist ein Problem unter bestimmten Gruppen junger Zuwanderer - Gruppen, die nicht sehr integriert sind. Das weist schon auf ein Integrationsproblem hin, das wir hier in der Gesellschaft haben. Da muss man dazu sehen, dass wir seit Jahren wissen, dass unser Bildungssystem speziell in einigen Bundesländern es nicht schafft, Menschen aus unteren sozialen Schichten und deren Kinder anzuheben. Man spricht von Vererbung der Zugehörigkeit zu unteren sozialen Schichten. Und wenn wir wissen - das erleben wir vor allem am Beispiel von italienischen Familien in Süddeutschland -, wie sich Bildungsferne in unteren sozialen Schichten und Desintegration, wie sich das verstärkt, dann ist es keine Frage, dass es bestimmte Gruppen von Menschen gibt, die, wenn sie unter solchen Bedingungen aufwachsen, stärker gefährdet sind als andere. Wenn wir es mal auf den Punkt gebracht haben, dass wir uns die Altersgruppe anschauen und dann die Vergleichsgruppen, ist ganz interessant: Der normale „Ausländer“, der ehemalige Gastarbeiter, ist geringer von Kriminalität betroffen als der vergleichbare Deutsche einer solcher Schicht. Das sind jetzt keine Auseinanderdifferenzierungen, damit am Schluss nichts mehr herauskommt. Sondern man muss wirklich sehen, wo wir ein Problem haben.“

Der Täter ist also nicht mehr der Russe. Der Täter ist nicht immer der Türke.
Warum halten sich solche Vorurteile derart hartnäckig?

„Die Schuld sucht man doch gern beim Anderen. Und weil der Ausländer ist, das Fremde verkörpert, dann eignet er sich da besser. Da kann man viel sagen, was man dem Eigenen eigentlich zutraut. Als Sündenböcke waren doch schon immer die Andersartigen besser geeignet. Und man hat dann die Vorstellung, man könne den Sündenbock, das ist ja das Sprachspiel, in die Wüste schicken. Wenn wir jetzt nochmal anschauen, wie die Einwanderungspolitik der letzten Jahrzehnte gelaufen ist, wie man da immer gebetsmühlenhaft gesagt hat „Wir sind kein Einwanderungsland!“, dann wird auch klar, was mit dem, der sich nicht an die Normen hält, passiert. Da hat der nicht dazugehört. Und wer nicht dazugehört, den kann man in die Wüste schicken. Und das sind Dinge, die halten sich besonders dann so hartnäckig, wenn das Bild von Abwehr geprägt ist, selbst gegenüber denen, die schon in der dritten Generation hier sind.“

 
(rv 16.08.2009 mch)









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