Deutschland: Schwieriges Verhältnis zwischen Christen und Juden
Vertreter jüdischer Gemeinden in Italien haben in dieser Woche Papst Benedikt kritisiert.
Anlass war das Angelusgebet des Papstes vom Sonntag. In seiner Serie über Heilige
gedachte er Edith Stein und Maximilian Kolbe, die in Vernichtungslagern umkamen.
„Von
ihnen können wir, besonders wir Priester, den evangelischen Heldenmut lernen, der
uns furchtlos dazu bringt, das Leben zu geben für das Heil der Seelen. Die Liebe besiegt
den Tod!“ Und zu den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten insgesamt sagte
er:
„Die Konzentrationslager der Nationalsozialisten können - so wie jedes
Vernichtungslager - als extreme Symbole des Bösen gelten, der Hölle, die sich auf
der Erde auftut, wenn der Mensch Gott vergisst, sich an seine Stelle setzt und sich
das Recht anmaßt, über Leben und Tod zu entscheiden und darüber, was gut und was böse
ist.“
Der Oberrabiner von Rom, Ricarrdi die Segnis, kritisierte, dass der Papst
in seinem Angelus-Gebet nicht auch auf das Schicksal der Juden hingewiesen und nicht
die Mitschuld deutscher Katholiken angesprochen habe. Am Telefon begrüße ich Dagmar
Mensink. Sie ist katholische Theologin, hat in Jerusalem studiert und engagiert sich
seit über zehn Jahren im Gesprächskreis ,Juden und Christen’. Im Hauptberuf ist Dagmar
Mensink Kirchenreferentin beim SPD-Bundesvorstand in Berlin. Frau Mensink, die Kritik
des Rabbiner überrascht zunächst doch etwas. Woher rührt die Empfindlichkeit?
„Ich
denke, dass man sich hier verdeutlichen muss, was die Bedeutung der Shoah insbesondere
für Juden ist. Der von mir sehr geschätzte Judaist Ernst Ludwig Ehrlich, der vor zwei
Jahren verstorben ist, der wirklich ein Wegbereiter des katholisch-jüdischen Gesprächs
war, hat einmal gesagt: Christen, Atheisten, Nicht-Juden aller Couleur sehen in Auschwitz
ein ungeheures Verbrechen. Und nicht wenige verbinden damit Schuldgefühle. Aber für
Juden ist Auschwitz eine Zäsur. Nach Auschwitz ist die Welt anders als sie vorher
gewesen ist. Denn die Tatsache ihrer jüdischen Existenz allein bedeutete für sie schon
die Bestimmung des Untergangs. Wenn dann jemand die Verbrechen des Nationalsozialismus
anspricht, ohne das zu benennen, ohne den Blick auch auf die Täter zu richten, dann
bricht diese Wunde wieder auf. Aber ich glaube auch nicht, dass es sich hier um eine
jüdische Empfindlichkeit handelt. Ich denke, dass viele, die im christlich-jüdischen
Dialog engagiert sind, wahrscheinlich auch darauf gewartet hätten, dass in dieser
Situation der Papst etwas zur Schuld der Täter gesagt hätte oder zum spezifischen,
einzigartigen Charakter der Shoah, der die Christen ja auch in die Pflicht nimmt.
Auch wenn es ihm in seiner Ansprache um ganz etwas anderes ging.“
Sie sind
im christlich-jüdischen Dialog aktiv. Welche Themen stehen hier derzeit im Mittelpunkt
der Gespräche? Wie kommt der Dialog voran?
„Ich glaube, es geht im Moment gar
nicht um Einzelfragen. Ich denke, dass Kardinal Kasper Recht hat, wenn er sagt, im
christlich-jüdischen Dialog sind die theologischen Grundfragen neu offen. Es geht,
glaube ich, wieder darum zu fragen, wie ernst ist es den Kirchen mit der Neubestimmung
ihres Verhältnisses zum Judentum. Wie weit reicht, für die katholische Seite gesprochen,
die Erneuerung, die programmatische durch das Zweite Vatikanische Konzil, die durch
Zeichen und Worte von Johannes Paul II. ja den Weg in die Zukunft, sprich in die Gegenwart,
gebahnt haben. Und ich glaube, es geht im Moment um nichts weniger als um eine Neubestimmung
der christlichen Identität, um die Frage, ob es weiterhin eine Sache von wenigen Spezialisten
bleibt, oder ob es wirklich die gesamte Theologie durchdringt - das Sprechen von Gott
im Gottesdienst, Schulen, Universitäten. Sie haben gefragt, wie kommt der Dialog voran?
Ich glaube, wir stehen im Moment in einem Generationenwechsel. Diejenigen, die diesen
Dialog nach dem Krieg in den 50er- und 60er-Jahren begonnen haben, die verlassen als
Aktive die Bühne. Die Frage ist, was jetzt die 30-, 40-Jährigen, was die jungen Leute
aus diesem Erbe machen, wie sie es aufnehmen.“
Die Situation zwischen Christen
und Juden ist derzeit nicht ganz unkompliziert. Haben Sie Hoffnung, dass sich diese
bald entspannt?
„Ich weiß gar nicht, ob ich die Hoffnung haben müsste, das
sich das entspannt. Es geht nicht um Entspannung. Sondern es geht darum, die Fragen,
die anstehen, wirklich aufzunehmen, wirklich ernst zu nehmen. Und was ich mir allerdings
wünschen würde, ist, dies in einer Atmosphäre zu tun, die sich nicht in gegenseitigen
Vorwürfen erschöpft. Sondern ich bin sicher, wenn wir uns wirklich einlassen, dass
es auch hilfreich ist für den christlich-islamischen Dialog, ja überhaupt für ein
Gespräch, das das Eigene nicht verrät,, das die Wahrheit des Eigenen bezeugt, ohne
deswegen den anderen zu negieren, zu verleugnen, ihn klein zu machen.“