2009-08-08 12:05:39

Bangladesh: Ein schleichendes Tschernobyl


Das neue Tschernobyl liegt in Bangladesh – und kaum einer spricht darüber. Dabei war es leider das UNO-Kinderhilfswerk Unicef, das durch gutgemeinten Brunnenbau die wohl größte Massenvergiftung in der Menschheitsgeschichte auslöste.

Es ist ein Alptraum: Jeden Tag trinken Millionen von Menschen in Bangladesh Wasser aus Brunnen, die mit Arsen vergiftet sind. Und merken zunächst einmal gar nichts Schlimmes – denn die Vergiftung erfolgt schleichend, Tag für Tag, über Jahre hinweg. Erst nach acht, vielleicht auch erst nach zwanzig Jahren treten auf einmal Flecken auf der Haut auf, chronische Müdigkeit, Schäden an den inneren Organen, die schnell zu Krebs, vor allem zu Haut- oder Lungenkrebs werden können. Das vergiftete Wasser kommt aus Brunnen, die von internationalen Hilfsorganisationen gebohrt wurden, um andere Krankheiten zu bekämpfen.

Die Opfer werden nicht nur vergiftet – sie leiden auch unter starker Diskriminierung. Denn viele ihrer Mitbürger (die aus den gleichen Brunnen trinken) meiden die Erkrankenden. Sahida Begum ist 32 Jahre alt und hat bisher auf der Straße Tee verkauft. „Jetzt kauft keiner mehr, aus Angst vor Ansteckung“, sagt sie. „Seit ich so viele Flecke auf den Händen habe.“ In ihrem Distrikt südlich der Hauptstadt Dhaka sind wohl fast die Hälfte der Brunnen arsenvergiftet. Die Giftkatastrophe in Bangladesh „läßt Tschernobyl wie ein Sonntagspicknick aussehen“, sagt Richard Wilson. Der Harvard-Forscher hat auch die Folgen des Atomunfalls in der Ukraine untersucht. Nach konservativen Schätzungen trinken 10 Millionen Menschen in Bangladesh das vergiftete Wasser – die wirkliche Zahl dürfte mehr als doppelt so hoch liegen. Die Regierung spricht von über 38.000 Patienten, die derzeit wegen Arsen-Vergiftungen in Behandlung sind.

Arsen kommt in vielen Teilen der Welt im Erdboden vor – tief unten. Bis 1970 kam niemand in Bangladesh damit in Berührung, die Menschen tranken aus Flüssen und Seen. Was dazu führte, dass Tausende von Kindern jedes Jahr an Durchfallkrankheiten starben. Das war der Grund, warum die Regierung und Unicef ein gigantisches Brunnenbau-Programm im ganzen Land starteten.Mit großem Erfolg: 95 Prozent der Bevölkerung stiegen auf dieses Wasser um. Sie ahnten allerdings nicht, dass die Brunnen bis in die Arsen-Schicht reichten und dass sie sich daher schleichend vergifteten.

Erst Anfang der neunziger Jahre begannen einige, das Problem zu erkennen. Doch bis heute geht das Arsen-Tschernobyl weiter: Die meisten Menschen in Bangladesh trinken immer noch aus den vergifteten Brunnen. Vor allem die Armen, die sich kein anderes Wasser leisten können. Die Regierung hat auf viele gefährliche Brunnen mit roter Farbe ein Signal malen lassen – untersucht wurde allerdings bisher nur die Hälfte aller Brunnen. Was im Mittelalter in Europa eines der größten Schreckgespenste war – Brunnenvergiftung –, das ist in Südasien Alltag. Und kaum einer spricht davon...

(el pais 08.09.2009 sk)








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