2009-07-31 16:32:48

Hilfe aus Bayern für Onna: „Praktizierte Nächstenliebe“


RealAudioMP3 In der italienischen Erdbebenregion um L’Aquila soll bis Weihnachten wieder jede Pfarrei über eine benutzbare Kirche verfügen. Eine entsprechende Vereinbarung haben jetzt das Ministerium für Kulturgüter, die italienische Bischofskonferenz und das Erzbistum L’Aquila getroffen. Die verheerenden Erdstöße vom 6. April forderten in den Abruzzen insgesamt 296 Menschenleben. Rund 1.500 Menschen wurden verletzt und mehr als 55.000 Personen obdachlos. Für die Kirche in Onna - dem Symboldorf der Erdbebenregion - trägt der Deutsche Bundestag sorge. Im Juni 1944 hatte die Wehrmacht im Zuge des Rückzugs in Onna 17 unschuldige Zivilisten erschossen. Deutschland will daher seine Wiederaufbauhilfe für die Erdbebenregion auf Onna konzentrieren. Das Dorf wurde zu 90 Prozent zerstört, 45 von circa 280 Einwohnern wurden getötet. Diese Woche war der bayerische Ministerpräsident Seehofer gemeinsam mit Vertretern der Wirtschaft vor Ort.

Birgit Pottler hat mit ihm gesprochen.


Plakativ gefragt, Herr Ministerpräsident: Nächstenliebe ist Christenpflicht. Waren Sie deswegen in Onna?

„Das ist sicher eine Motivation. Wir reden immer von Solidarität. Übersetzt: praktizierte Nächstenliebe. Ich denke, in diesem Fall gibt es einen guten Anlass.“

Mich selbst hat die Würde der Menschen vor Ort beeindruckt, die sie trotz der Not und der Trümmer, die sie täglich vor Augen haben, nicht verloren haben. Was war Ihr Eindruck, als Sie durch die Straßen und das Zeltdorf gegangen sind?

„Die Menschen haben in der Katastrophe Stärke und Größe bewiesen, ich kann auch sagen Format. Das konnte man mit Händen greifen. Es war eine ungeheure Kraft zu spüren und ein Blick nach vorne, obwohl ja in Sichtweite der Zelte das Schicksal, das Geröll, die eingestürzten Häuser vor ihnen liegen. Trotz der visuellen und stündlichen Konfrontation mit der Ursache des Leids diese Größe zu zeigen, das zeigt auch, zu welchen großen Leistungen Menschen in der Lage sind.“

Der Bundestag hat drei Millionen Euro zunächst für den Wiederaufbau der Kirche beschlossen. Muss der Anfang bei der Kirche gemacht werden?
 
„Ich halte das für ein schönes Signal des Bundestages. Denn es ist ja auch von Außen nicht so einfach, Hilfe zu organisieren. Es ist ja stets zuerst das eigene Land und die eigene Region zuständig. Im Fall Onna hat sich das gut angeboten, denn Onna hat ja etwas mit einem sehr, sehr dunklen Kapitel unserer deutschen Geschichte zu tun. Dass der Deutsche Bundestag hier das Signal der Renovierung der Kirche setzt, halte ich für sehr in Ordnung.“

Sie haben zu Ihrem 60. Geburtstag auf persönliche Geschenke verzichtet und stattdessen die Spenden an Onna gerichtet. Was ist Ihre Idee dahinter, was ist das bayerische Projekt?
 
„Wir wollen ein nachhaltiges Projekt und das heißt Energie für Onna. Es wird gerade analysiert und auch projektiert, wie man die Energieversorgung effizienter aber auch erdbebenunabhängiger gestalten kann. Auch das kostet schon Geld. Dann wird es auch darum gehen, ob man sich noch engagieren kann, wenn es um die Investitionen geht. Wir konnten heute erleben, dass die Menschen im Sommer enormer Hitze ausgesetzt sind und umgekehrt im Winter großer Kälte. Die Dämmung der Häuser wird also ein großes Thema sein, auch die Nutzung der Sonne durch Sonnenkollektoren. In dieser Richtung überlegen wir mit Fachleuten, wie wir nachhaltig helfen können. Nachhaltig heißt, nicht nur für den Augenblick etwas zu tun, nur um eine Geste zu leisten, sondern etwas, das über Generationen hält.“

Die Menschen vor Ort hatten Angst, dass nach dem G8-Gipfel die Aufmerksamkeit der Politiker und der Öffentlichkeit nachlässt. Konnten Sie mit ihrem Besuch und der Visite der Wirtschaftspartner den Menschen ein wenig von dieser Angst nehmen?
 
„Für die absehbare Zeit sicher. Es sind ja noch sehr viele Hilfsorganisationen dort. Eine Bürgerin hat mir gesagt, im Moment seien sie sehr beruhigt, da hinter jedem Einwohner fast ein Helfer steht. Aber sie haben auch die Angst im Herzen, was geschieht, wenn die Helfer abziehen. Die Akuthilfe sei wunderbar und habe hervorragend funktioniert, sagen die Menschen. Aber ob es so weitergeht, wenn es um den Wiederaufbau der Häuser und die Infrastruktur geht? Oder werden wir dann alleine gelassen? Eine ganz engagierte junge Frau hat mir gesagt, sie werde jetzt versuchen, die italienischen Europaabgeordneten dorthin zu bringen. Auf die Frage, wie diese Abgeordneten denn helfen könnten, sagte sie: ‚Das allerwichtigste ist, dass Onna nicht aus dem Bewusstsein der Menschen verloren geht, denn wenn es aus dem Bewusstsein verschwindet, verschwindet auch die Unterstützung.‛ Die Frau hat das genau richtig erkannt. Es müssen immer wieder Anstrengungen unternommen werden, um Onna, aber auch die ganzen betroffenen umliegenden Orte, im Bewusstsein der Menschen zu halten. Wenn das so bleibt – das ist auch eine Aufgabe der Medien –, bin ich ziemlich sicher, dass die Unterstützung von Außen weiter gewährt wird. Und mit der Kraft, die ich heute bei der Bevölkerung erlebt habe, wird in überschaubarer Zeit die Rückkehr an ihre Kernheimat, also die Orte, wo ihre Häuser einmal standen, möglich sein.“

(rv 29.07.2009 bp)









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