Hilfe aus Bayern für Onna: „Praktizierte Nächstenliebe“
In der italienischen
Erdbebenregion um L’Aquila soll bis Weihnachten wieder jede Pfarrei über eine benutzbare
Kirche verfügen. Eine entsprechende Vereinbarung haben jetzt das Ministerium für Kulturgüter,
die italienische Bischofskonferenz und das Erzbistum L’Aquila getroffen. Die verheerenden
Erdstöße vom 6. April forderten in den Abruzzen insgesamt 296 Menschenleben. Rund
1.500 Menschen wurden verletzt und mehr als 55.000 Personen obdachlos. Für die Kirche
in Onna - dem Symboldorf der Erdbebenregion - trägt der Deutsche Bundestag sorge.
Im Juni 1944 hatte die Wehrmacht im Zuge des Rückzugs in Onna 17 unschuldige Zivilisten
erschossen. Deutschland will daher seine Wiederaufbauhilfe für die Erdbebenregion
auf Onna konzentrieren. Das Dorf wurde zu 90 Prozent zerstört, 45 von circa 280 Einwohnern
wurden getötet. Diese Woche war der bayerische Ministerpräsident Seehofer gemeinsam
mit Vertretern der Wirtschaft vor Ort.
Birgit Pottler hat mit ihm gesprochen.
Plakativ
gefragt, Herr Ministerpräsident: Nächstenliebe ist Christenpflicht. Waren Sie deswegen
in Onna?
„Das ist sicher eine Motivation. Wir reden immer von Solidarität.
Übersetzt: praktizierte Nächstenliebe. Ich denke, in diesem Fall gibt es einen guten
Anlass.“
Mich selbst hat die Würde der Menschen vor Ort beeindruckt, die
sie trotz der Not und der Trümmer, die sie täglich vor Augen haben, nicht verloren
haben. Was war Ihr Eindruck, als Sie durch die Straßen und das Zeltdorf gegangen sind?
„Die
Menschen haben in der Katastrophe Stärke und Größe bewiesen, ich kann auch sagen Format.
Das konnte man mit Händen greifen. Es war eine ungeheure Kraft zu spüren und ein Blick
nach vorne, obwohl ja in Sichtweite der Zelte das Schicksal, das Geröll, die eingestürzten
Häuser vor ihnen liegen. Trotz der visuellen und stündlichen Konfrontation mit der
Ursache des Leids diese Größe zu zeigen, das zeigt auch, zu welchen großen Leistungen
Menschen in der Lage sind.“
Der Bundestag hat drei Millionen Euro zunächst
für den Wiederaufbau der Kirche beschlossen. Muss der Anfang bei der Kirche gemacht
werden? „Ich halte das für ein schönes Signal des Bundestages. Denn
es ist ja auch von Außen nicht so einfach, Hilfe zu organisieren. Es ist ja stets
zuerst das eigene Land und die eigene Region zuständig. Im Fall Onna hat sich das
gut angeboten, denn Onna hat ja etwas mit einem sehr, sehr dunklen Kapitel unserer
deutschen Geschichte zu tun. Dass der Deutsche Bundestag hier das Signal der Renovierung
der Kirche setzt, halte ich für sehr in Ordnung.“
Sie haben zu Ihrem 60.
Geburtstag auf persönliche Geschenke verzichtet und stattdessen die Spenden an Onna
gerichtet. Was ist Ihre Idee dahinter, was ist das bayerische Projekt? „Wir
wollen ein nachhaltiges Projekt und das heißt Energie für Onna. Es wird gerade analysiert
und auch projektiert, wie man die Energieversorgung effizienter aber auch erdbebenunabhängiger
gestalten kann. Auch das kostet schon Geld. Dann wird es auch darum gehen, ob man
sich noch engagieren kann, wenn es um die Investitionen geht. Wir konnten heute erleben,
dass die Menschen im Sommer enormer Hitze ausgesetzt sind und umgekehrt im Winter
großer Kälte. Die Dämmung der Häuser wird also ein großes Thema sein, auch die Nutzung
der Sonne durch Sonnenkollektoren. In dieser Richtung überlegen wir mit Fachleuten,
wie wir nachhaltig helfen können. Nachhaltig heißt, nicht nur für den Augenblick etwas
zu tun, nur um eine Geste zu leisten, sondern etwas, das über Generationen hält.“
Die
Menschen vor Ort hatten Angst, dass nach dem G8-Gipfel die Aufmerksamkeit der Politiker
und der Öffentlichkeit nachlässt. Konnten Sie mit ihrem Besuch und der Visite der
Wirtschaftspartner den Menschen ein wenig von dieser Angst nehmen? „Für
die absehbare Zeit sicher. Es sind ja noch sehr viele Hilfsorganisationen dort. Eine
Bürgerin hat mir gesagt, im Moment seien sie sehr beruhigt, da hinter jedem Einwohner
fast ein Helfer steht. Aber sie haben auch die Angst im Herzen, was geschieht, wenn
die Helfer abziehen. Die Akuthilfe sei wunderbar und habe hervorragend funktioniert,
sagen die Menschen. Aber ob es so weitergeht, wenn es um den Wiederaufbau der Häuser
und die Infrastruktur geht? Oder werden wir dann alleine gelassen? Eine ganz engagierte
junge Frau hat mir gesagt, sie werde jetzt versuchen, die italienischen Europaabgeordneten
dorthin zu bringen. Auf die Frage, wie diese Abgeordneten denn helfen könnten, sagte
sie: ‚Das allerwichtigste ist, dass Onna nicht aus dem Bewusstsein der Menschen verloren
geht, denn wenn es aus dem Bewusstsein verschwindet, verschwindet auch die Unterstützung.‛
Die Frau hat das genau richtig erkannt. Es müssen immer wieder Anstrengungen unternommen
werden, um Onna, aber auch die ganzen betroffenen umliegenden Orte, im Bewusstsein
der Menschen zu halten. Wenn das so bleibt – das ist auch eine Aufgabe der Medien
–, bin ich ziemlich sicher, dass die Unterstützung von Außen weiter gewährt wird.
Und mit der Kraft, die ich heute bei der Bevölkerung erlebt habe, wird in überschaubarer
Zeit die Rückkehr an ihre Kernheimat, also die Orte, wo ihre Häuser einmal standen,
möglich sein.“