„Benedikts Sozialenzyklika
ist keine Schrift mit raschem Verfallsdatum.“ Sie gehe über Tagesaktualität hinaus
und sei anspruchsvoll, sagte der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Hans-Henning
Horstmann, gegenüber Radio Vatikan. In Politik, Gesellschaft und Wirtschaften sollten
die Thesen des Papstes intensiv diskutiert werden, fordert Horstmann in seiner aktuellen
Kolumne. Als leitende Prinzipien des päpstlichen Lehrschreibens nennt er unter anderem
den Zusammenhang von Ethik und Wirtschaft, die zentrale Rolle des Menschen und den
Ruf nach einer globalen Ethik.
Hören und Lesen Sie den Beitrag von Hans-Henning
Horstmann:
Liebe Hörerinnen und Hörer,
am 7. Juli 2009 hat Papst Benedikt
XVI. seine dritte Enzyklika veröffentlicht. Caritas in veritate schreibt die katholische
Soziallehre fort. Sie steht in einer Tradition, die Leo XIII. 1891 mit „Rerum Novarum“
begonnen hatte.
Der Papst verbindet in „Caritas in veritate“ aktuelle Aspekte
der globalen Wirtschaft mit beständigen ethischen Prinzipien. Benedikts Sozialenzyklika
ist keine Schrift mit raschem Verfallsdatum. Sie ist anspruchsvoll, will herausfordern
und ist auf langfristige Wirkung angelegt.
Die Vielzahl von Einzelfragen, auf
die der Papst eingeht, steht in einem ethischen Koordinatensystem, von dem die Enzyklika
Wertungen und Orientierungen schöpft. Vier Prinzipien will ich nennen:
Wirtschaft braucht Ethik. Ethik ist die Grundlage des Vertrauens, das
in jüngster Zeit schmerzlich verloren gegangen ist. Der Papst appelliert an eine Ethik
der Verlässlichkeit und Redlichkeit. Ethik in der Wirtschaft stellt sich daher zunächst
nicht als Frage des Systems dar, sondern als Aufgabe an jeden Menschen, der am Wirtschaftsleben
teilnimmt, ob als Produzent oder Konsument, als Unternehmer oder Arbeitnehmer. Im
Mittelpunkt des Wirtschaftens steht der Mensch, steht die Würde des Menschen in einem
ganzheitlichen Sinn, der auch die religiös-ethische Dimension einschließt. Die soziale
Frage ist nach Benedikt XVI. in radikaler Weise eine anthropologische Frage geworden.
Veränderungen sind notwendig. Diese gehen nach Benedikt XVI. aber nicht von Strukturen
aus. Die Menschen müssen sich verändern. Sein Denken ist radikal humanistisch. Von
einer neuen „humanistischen Synthese“ erwartet er ein verändertes Verhältnis zur Schöpfung,
zum Energie- und Ressourcenverbrauch, zum menschlichen Leben, zur Biotechnologie,
auch zu den Regeln des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs und nicht zuletzt zu den
Entwicklungsländern. Die Globalisierung der Wirtschaft verlangt nach Empathie der
wirtschaftlich Handelnden. Der Papst sieht in der zunehmend verflochtenen Menschheit
die großen Möglichkeiten der Besinnung und der Tat für das Gute, das Gemeinwohl. Sein
Motto lautet: Globalisierung gestalten. Dazu gibt er Orientierung mit einer auf die
Würde des Menschen ausgerichteten globalen Ethik.
Bundeskanzlerin
Merkel würdigte in ihrem Vortrag „Politisches Handeln aus christlicher Verantwortung“
in der Katholischen Akademie Bayern in München ausführlich die Enzyklika, sie fühlte
sich durch die Enzyklika bestärkt und sagte u.a. wörtlich: „Das erste zu schützende
und zu nutzende Kapital ist der Mensch, die Person in ihrer Ganzheit. Das ist das
Zitat, das mir insbesondere aus dem Blickwinkel des christlichen Menschenbildes in
dieser Enzyklika so wunderbar erscheint.“ Der Bundesminister der Finanzen Peer
Steinbrück lobte die Enzyklika als „sehr ermutigend“, unterstrich deren Forderung
nach mehr Moral in der Wirtschaft. Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg hat seine
hohe Achtung und Wertschätzung für die katholische Soziallehre verdeutlicht und insbesondere
zu Caritas in veritate konkret festgehalten: „Diese Enzyklika stößt eine Debatte über
die Weltwirtschaft und ihre Ziele an, und: wenn der Papst eine Weltautorität fordere,
so wolle er keine neue Weltbürokratie sondern eine weltweite Verständigung über einen
Grundkanon an gemeinsamen Werten und Zielen, um globale Herausforderungen angehen
zu können.“
Die Forderungen des Papstes nach einem Paradigmenwechsel in der
Entwicklungspolitik wurden von der zuständigen Bundesministerin Wieczorek-Zeul sofort
als wegweisend qualifiziert.
Das Echo auf diese Enzyklika in Deutschland ist
groß, positiv und es zeichnet sich bereits jetzt eine Diskussion auf Basis der Enzyklika
des Papstes ab. Typisch für mich ist die Reaktion deutscher Unternehmerinnen und Unternehmer:
„Diese Enzyklika gehört unter das Kopfkissen jedes Managers“. Und die International
Herald Tribune titelt in einem Kommentar: „Die Kühnheit des Papstes.“
Das Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland, auf das wir uns vor 60 Jahren als Verfassung für Deutschland
verpflichtet haben, verankert die Würde des Menschen in Artikel 1 als Leitprinzip
des politischen und gesellschaftlichen Handelns. Das humanistische Zeugnis des Papstes
und das Grundgesetz vereinen sich in einem Menschenbild, das aus denselben Quellen
schöpft. Die soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland setzt einen lebendigen
Humanismus und klare ethische Prinzipien voraus. Nur so kann sie das Gemeinwohl fördern,
das eines ihrer herausragenden Kennzeichen ist. Die Appelle des Papstes in seiner
Enzyklika Caritas in Veritate geben daher auch vitale Anregungen und Impulse zur Erneuerung
der sozialen Marktwirtschaft.
Aus den Themen der Enzyklika verdeutliche ich
vier Aspekte.
Wichtig ist dem Papst die Stärkung des Gemeinwohls. Um dies
zu erreichen, stellt er kritische Überlegungen an. Von den Unternehmensführungen erwartet
er ein Ethos, das nicht nur auf die Eigentümerinteressen ausgerichtet ist. Zu achten
sei ebenso auf alle anderen, die zum Leben des Unternehmens beitragen. Er nennt die
Arbeitnehmer, aber auch die Zulieferer und die Kunden. Der Staat ist nach Benedikt
XVI. in besonderer Weise gehalten, das Gemeinwohl zu fördern. Er spricht von einer
„Lektion“, die wir durch die gegenwärtige Wirtschaftskrise gelernt hätten. Staatliche
Gewalt müsse die Folgen von Irrtümern und Misswirtschaft korrigieren. Das Gemeinwohl
verlangt – wie der Papst sagt – eine „neue Wertbestimmung der Rolle und der Macht
der Staaten“.
Benedikt XVI. hatte bereits mehrfach den Klimawandel angesprochen
und ein verändertes Verhalten gefordert. In seiner Enzyklika wird er in Sachen Energie
sehr konkret. „Die technologisch fortschrittlichen Gesellschaften können und müssen
ihren Energieverbrauch verringern. Man muss außerdem hinzufügen, dass heute eine Verbesserung
der Leistungsfähigkeit der Energie realisierbar ist und es gleichzeitig möglich ist,
die Suche nach alternativen Energien voranzutreiben“. Die Politik der Bundesregierung
und die öffentliche Meinung in Deutschland können sich durch solche päpstliche Aussagen
gestärkt sehen.
Den Schwerpunkt „Würde des Menschen“ unterstreicht der Papst
durch seine Aussagen zur Bedeutung der Arbeit. Er stellt eine Priorität auf: allen
sei Zugang zur Arbeit zu verschaffen. Die Gewerkschaften sieht er besonders gefordert
für eine „weltweite Koalition für würdige Arbeit“. Er wendet sich gegen Dumping-Löhne
und gegen eine Reduktion der sozialen Netze, um sich auf Kosten der Menschen und der
Würde der Arbeit auf den Märkten Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Zu einem
seiner zentralen Anliegen erklärt Benedikt XVI. auch in Caritas in veritate, dass
der Mensch nicht autonom ist, sondern seine Grenzen als Geschöpf achten müsse. Er
sagt: „ die Entwicklung des Menschen verkommt, wenn er sich anmaßt, sein eigener Hervorbringer
zu sein“. Die Achtung vor der Würde des menschlichen Lebens setzt der technischen
Machbarkeit auch in der Biotechnologie Grenzen, die Benedikt klar ausspricht. Er fordert
die Wahrheit über den Menschen, wider den von ihm schon häufig kritisierten Relativismus.
Diese
Enzyklika reicht weit über die alltägliche Aktualität hinaus. Der Enzyklika ist eine
intensive Auseinandersetzung und Diskussion in Diplomatie, Politik, Universitäten,
kirchlichen Akademien, in Unternehmerverbänden und Gewerkschaften zu wünschen. Wir
Deutschen beteiligen uns bereits jetzt an dieser Debatte.