Marx: „Reiche Länder müssen an arme Völker denken“
Die G8-Staaten sollen
die Armen und die Entwicklungsländer nicht vergessen. Daran haben die Bischöfe der
acht Staaten ihre Regierungs- und Staatschefs erinnert. Die acht größten Industrienationen
der Welt treffen sich vom 8. bis 10. Juli in der Abruzzenhauptstadt L´Aquila. Die
politischen Verantwortlichen sollten sich stärker als bisher für den Schutz und die
Belange der Benachteiligten einsetzen, meint der Münchner Erzbischof Reinhard Marx
im Interview mit Radio Vatikan. In der Deutschen Bischofskonferenz ist Marx Vorsitzender
der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen. Mario Galgano hat ihn gefragt,
was die katholische Kirche konkret vom G8-Gipfel erwartet.
„Für uns ist
sehr wichtig, dass wir auf das Ganze schauen. Aber das muss man aus Sicht der Armen
machen. Das hat der Heilige Vater in seinem Brief an das G20-Treffen unterstrichen.
Diese Staaten haben sich nach dem Ausbruch der Finanzkrise getroffen. Nun haben die
Bischöfe der G8-Staaten dieses Anliegen nochmals in einem Brief an ihre Staats- und
Regierungschefs aufgegriffen. Uns ist wichtig, dass jetzt nicht nur die Länder im
Blick sind, die wirtschaftlich mächtig sind, sondern dass auch die Auswirkungen auf
die Armen im Blick bleiben. Es ist falsch, bei der Entwicklungshilfe zu sparen. Das
ist ein wichtiges Votum. Das sollte, meiner Meinung nach, bei der G8-Sitzung Berücksichtigung
finden. Der G20-Gipfel hat ja durchaus den Willen gezeigt, dass sie die Armen mit
einbeziehen wollen. Das war gut, dass diese Staaten einen weiten Blick an den Tag
legten. Die G8-Staaten müssen auch hier einen Akzent setzen. Die Finanzkrise wurde
ja nicht von den Armen verursacht. Dennoch hat diese Krise auf die Entwicklungsländer
eine erhebliche Auswirkung. Wenn Erneuerung und Veränderung da sind, müssen sie [die
Industrieländer, A.d.R] immer den Blick auf die Folgen für die Armen berücksichtigen.
Das ist ganz im Sinne der katholischen Soziallehre.“ Papst und Bischöfe warnen
immer wieder vor den Folgen des Klimawandels gerade für die armen Länder. Verschiedene
Aktionen, zuletzt die Renovabis-Pfingstaktion, wollen für dieses Thema sensibilisieren.
Auf internationaler politischer Ebene werden konkrete Maßnahmen in den letzten Wochen
und Monaten jedoch stets weiter hinausgezögert. Wie beurteilen Sie dieses Agieren?
Ist es von der Sorte „ein Problem ist nur das, was wir wirklich vor Augen haben“,
ist es fahrlässig und rücksichtslos gegenüber den nachkommenden Generationen?
„Ich
glaube, dass die Sensibilisierung bereits sehr zugenommen hat. Die Diskussionen über
den Klimawandel können sich hoffentlich noch weiter beschleunigen. 99 Prozent aller
Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Klimawandel vom Menschen mit verursacht
wird. Deswegen geht es um das Verändern der menschlichen Verhaltensweise. Es geht
aber auch um die Folgen des Klimawandels, der auf jeden Fall eintreten wird, und zwar
schneller als manche vermutet haben. Und dieser Wandel trifft vor allem die Armen.
Wir dürfen in dieser Finanz- und Wirtschaftskrise nicht die anderen Krisen vergessen.
Das ist ein Zusammentreffen von verschiedenen Krisensituationen wie der Finanz-, Wirtschafts-,
Klima- und auch der weltweiten Ernährungskrise. Bei all diesen krisenhaften Phänomenen
und Situationen ist es klar, dass die armen Völker besonders betroffen sind. Deswegen
ist es wichtig, dass wir Akzente setzen. Ich freue mich sehr, dass sich jetzt auch
die Vereinigten Staaten nach dem Gespräch mit Bundeskanzlerin Merkel stärker für die
Umwelt engagieren wollen. Der Ruck muss von den reichen Ländern ausgehen. Wir sind
die Hauptproduzenten der Gase, die den Klimawandel mitbefördern. Wir müssen aber auch
die Mittel zur Verfügung stellen, um die Folgen des Klimawandels besonders bei den
Armen in den Blick zu behalten. Das ist eine wichtige Aufgabe jetzt und für die kommende
Generation. Das ist in vielen Köpfen mittlerweile eingedrungen. Es ist aber immer
schwer, politische Schritte zu tun, weil es auch Opfer fordert. Aber langfristig –
und wir als Kirche müssen auch langfristig denken – ist es vernünftig, jetzt zu reagieren
und an die kommenden Generationen zu denken.“ Vor dem G8-Gipfel jetzt hat
der Papst seine Sozialenzyklika angekündigt, die sich auch mit Ursachen und Konsequenzen
der Krise beschäftigen wird. Sind Manager und Politiker, Ihrer Ansicht nach, jetzt
empfänglich für diese ethischen Aspekte?
„Ja, auf jeden Fall. Das ist gar
keine Frage. Es gab zahlreiche Diskussionen in den letzten Monaten. In Vorträgen,
Arbeitskreisen und Sachgruppen wurde ganz klar festgestellt, dass es sich hier nicht
um eine technische Krise handelt. Es ist auch eine moralische Krise. Es soll zwar
nicht nur das Verhalten verändert werden, sondern auch die Strukturen, die auf bestimmten
Werten ruhen. Die Katholische Soziallehre geht ja nicht einfach nur von der Moral
des Einzelnen aus, sie möchte vielmehr Institutionen und Strukturen schaffen, die
den Menschen besser dienen. Der Mensch steht dabei im Mittelpunkt. Dazu braucht man
natürlich auch eine Vorstellung vom Menschen. Was tut dem Menschen gut? Was ist langfristig
für ihn gut? Da ist die Offenheit eine echte Gestaltung voranzubringen erheblich gestiegen.
Ich kann mich jedenfalls vor Einladungen nicht retten. Ob diese Diskussion auf Dauer
so bleiben wird, weiß man natürlich nie, aber die Erkenntnis, dass hier etwas Gravierendes
passiert ist und nicht nur ein kleiner Fehler im System, das ist vielen klar geworden.“ Die
Staats- und Regierungschefs werden sich nicht, wie zunächst geplant, in der noblen
Ferienregion Sardinien treffen, sondern in einer Kaserne der Abruzzenstadt L´Aquila
beraten - die Verwüstungen des verheerenden Erdbebens vom April dieses Jahres direkt
vor Augen. Was bedeutet Ihrer Meinung nach dieser Ort für den G8-Gipfel?
„Ich
hoffe nicht, dass es einfach nur eine spontane Idee war, die aus innenpolitischen
Gründen getroffen wurde. Grundsätzlich ist es sicher gut, wenn man die Politiker nicht
einfach in Nobelhotels abschirmt und sie auch mit Not und Herausforderungen konfrontiert.
Das muss man den Veranstaltern überlassen, wie sie das organisieren und daraus ein
Zeichen für andere machen möchten. Dann kann so eine Entscheidung eine sinnvolle Sache
sein. Es sollte auf jeden Fall nicht nur Publicity sein, mit der man bestimmte Dinge
durchsetzen will. Das wäre nicht gut. Wenn es wirklich eine Beschäftigung mit den
Problemen der Menschen dort ist und gut gestaltet wird, dann kann das durchaus ein
positives Zeichen sein.“ (rv 02.07.2009 mg)