2009-07-05 12:29:24

Marx: „Reiche Länder müssen an arme Völker denken“


RealAudioMP3 Die G8-Staaten sollen die Armen und die Entwicklungsländer nicht vergessen. Daran haben die Bischöfe der acht Staaten ihre Regierungs- und Staatschefs erinnert. Die acht größten Industrienationen der Welt treffen sich vom 8. bis 10. Juli in der Abruzzenhauptstadt L´Aquila. Die politischen Verantwortlichen sollten sich stärker als bisher für den Schutz und die Belange der Benachteiligten einsetzen, meint der Münchner Erzbischof Reinhard Marx im Interview mit Radio Vatikan. In der Deutschen Bischofskonferenz ist Marx Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen. Mario Galgano hat ihn gefragt, was die katholische Kirche konkret vom G8-Gipfel erwartet.

„Für uns ist sehr wichtig, dass wir auf das Ganze schauen. Aber das muss man aus Sicht der Armen machen. Das hat der Heilige Vater in seinem Brief an das G20-Treffen unterstrichen. Diese Staaten haben sich nach dem Ausbruch der Finanzkrise getroffen. Nun haben die Bischöfe der G8-Staaten dieses Anliegen nochmals in einem Brief an ihre Staats- und Regierungschefs aufgegriffen. Uns ist wichtig, dass jetzt nicht nur die Länder im Blick sind, die wirtschaftlich mächtig sind, sondern dass auch die Auswirkungen auf die Armen im Blick bleiben. Es ist falsch, bei der Entwicklungshilfe zu sparen. Das ist ein wichtiges Votum. Das sollte, meiner Meinung nach, bei der G8-Sitzung Berücksichtigung finden. Der G20-Gipfel hat ja durchaus den Willen gezeigt, dass sie die Armen mit einbeziehen wollen. Das war gut, dass diese Staaten einen weiten Blick an den Tag legten. Die G8-Staaten müssen auch hier einen Akzent setzen. Die Finanzkrise wurde ja nicht von den Armen verursacht. Dennoch hat diese Krise auf die Entwicklungsländer eine erhebliche Auswirkung. Wenn Erneuerung und Veränderung da sind, müssen sie [die Industrieländer, A.d.R] immer den Blick auf die Folgen für die Armen berücksichtigen. Das ist ganz im Sinne der katholischen Soziallehre.“ 
Papst und Bischöfe warnen immer wieder vor den Folgen des Klimawandels gerade für die armen Länder. Verschiedene Aktionen, zuletzt die Renovabis-Pfingstaktion, wollen für dieses Thema sensibilisieren. Auf internationaler politischer Ebene werden konkrete Maßnahmen in den letzten Wochen und Monaten jedoch stets weiter hinausgezögert. Wie beurteilen Sie dieses Agieren? Ist es von der Sorte „ein Problem ist nur das, was wir wirklich vor Augen haben“, ist es fahrlässig und rücksichtslos gegenüber den nachkommenden Generationen?

„Ich glaube, dass die Sensibilisierung bereits sehr zugenommen hat. Die Diskussionen über den Klimawandel können sich hoffentlich noch weiter beschleunigen. 99 Prozent aller Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Klimawandel vom Menschen mit verursacht wird. Deswegen geht es um das Verändern der menschlichen Verhaltensweise. Es geht aber auch um die Folgen des Klimawandels, der auf jeden Fall eintreten wird, und zwar schneller als manche vermutet haben. Und dieser Wandel trifft vor allem die Armen. Wir dürfen in dieser Finanz- und Wirtschaftskrise nicht die anderen Krisen vergessen. Das ist ein Zusammentreffen von verschiedenen Krisensituationen wie der Finanz-, Wirtschafts-, Klima- und auch der weltweiten Ernährungskrise. Bei all diesen krisenhaften Phänomenen und Situationen ist es klar, dass die armen Völker besonders betroffen sind. Deswegen ist es wichtig, dass wir Akzente setzen. Ich freue mich sehr, dass sich jetzt auch die Vereinigten Staaten nach dem Gespräch mit Bundeskanzlerin Merkel stärker für die Umwelt engagieren wollen. Der Ruck muss von den reichen Ländern ausgehen. Wir sind die Hauptproduzenten der Gase, die den Klimawandel mitbefördern. Wir müssen aber auch die Mittel zur Verfügung stellen, um die Folgen des Klimawandels besonders bei den Armen in den Blick zu behalten. Das ist eine wichtige Aufgabe jetzt und für die kommende Generation. Das ist in vielen Köpfen mittlerweile eingedrungen. Es ist aber immer schwer, politische Schritte zu tun, weil es auch Opfer fordert. Aber langfristig – und wir als Kirche müssen auch langfristig denken – ist es vernünftig, jetzt zu reagieren und an die kommenden Generationen zu denken.“ 
Vor dem G8-Gipfel jetzt hat der Papst seine Sozialenzyklika angekündigt, die sich auch mit Ursachen und Konsequenzen der Krise beschäftigen wird. Sind Manager und Politiker, Ihrer Ansicht nach, jetzt empfänglich für diese ethischen Aspekte?

„Ja, auf jeden Fall. Das ist gar keine Frage. Es gab zahlreiche Diskussionen in den letzten Monaten. In Vorträgen, Arbeitskreisen und Sachgruppen wurde ganz klar festgestellt, dass es sich hier nicht um eine technische Krise handelt. Es ist auch eine moralische Krise. Es soll zwar nicht nur das Verhalten verändert werden, sondern auch die Strukturen, die auf bestimmten Werten ruhen. Die Katholische Soziallehre geht ja nicht einfach nur von der Moral des Einzelnen aus, sie möchte vielmehr Institutionen und Strukturen schaffen, die den Menschen besser dienen. Der Mensch steht dabei im Mittelpunkt. Dazu braucht man natürlich auch eine Vorstellung vom Menschen. Was tut dem Menschen gut? Was ist langfristig für ihn gut? Da ist die Offenheit eine echte Gestaltung voranzubringen erheblich gestiegen. Ich kann mich jedenfalls vor Einladungen nicht retten. Ob diese Diskussion auf Dauer so bleiben wird, weiß man natürlich nie, aber die Erkenntnis, dass hier etwas Gravierendes passiert ist und nicht nur ein kleiner Fehler im System, das ist vielen klar geworden.“ 
Die Staats- und Regierungschefs werden sich nicht, wie zunächst geplant, in der noblen Ferienregion Sardinien treffen, sondern in einer Kaserne der Abruzzenstadt L´Aquila beraten - die Verwüstungen des verheerenden Erdbebens vom April dieses Jahres direkt vor Augen. Was bedeutet Ihrer Meinung nach dieser Ort für den G8-Gipfel?

„Ich hoffe nicht, dass es einfach nur eine spontane Idee war, die aus innenpolitischen Gründen getroffen wurde. Grundsätzlich ist es sicher gut, wenn man die Politiker nicht einfach in Nobelhotels abschirmt und sie auch mit Not und Herausforderungen konfrontiert. Das muss man den Veranstaltern überlassen, wie sie das organisieren und daraus ein Zeichen für andere machen möchten. Dann kann so eine Entscheidung eine sinnvolle Sache sein. Es sollte auf jeden Fall nicht nur Publicity sein, mit der man bestimmte Dinge durchsetzen will. Das wäre nicht gut. Wenn es wirklich eine Beschäftigung mit den Problemen der Menschen dort ist und gut gestaltet wird, dann kann das durchaus ein positives Zeichen sein.“ 
(rv 02.07.2009 mg)







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