Vatikan/Nahost: „Israelis und Palästinenser sollen von Europa lernen“
Israel täte gut daran,
vor Verhandlungen mit den Palästinensern bereits getroffene bilaterale Vereinbarungen
zu respektieren. Das denkt der Nuntius in Israel, Antonio Franco. Das jüngste Angebot
Benjamin Netanjahus an die Palästinenser, „bedingungslosen Friedensverhandlungen“
aufzunehmen, sei grundsätzlich zu begrüßen, so der vatikanische Diplomat. Allerdings
habe der israelische Präsident in derselben Rede Bedingungen an die palästinensische
Seite gestellt.
„Positiv ist dieser große Wunsch nach Frieden - diese Einladung
an die Palästinenser zu Verhandlungen. Israel müsste da aber zusätzlich eine Selbstverpflichtung
eingehen, nämlich die, bisher getroffene Vereinbarungen zu berücksichtigen. Ich denke
an die Kontrolle der Siedlungen: keine neuen Siedlungen zuzulassen, die bestehenden
Siedlungen zu erhalten. Das stand bereits in der Vereinbarung von Annapolis. In diesem
Punkt müsste Netanjahu noch einen Schritt nach vorne tun.“
Verhandlungen
müssten in jedem Fall auch Jerusalem betreffen, „ein harter Brocken“, meint der Nuntius
wörtlich. Sowohl Israel als auch die Palästinenser erheben einen Alleinanspruch auf
die heilige Stadt als jeweiligem Regierungssitz. Der Heilige Stuhl versucht auf diplomatischen
Weg, für einen internationalen Sonderstatus für Jerusalem Stimmung zu machen. Papst
Benedikt XVI. hatte bei seinem Besuch im Heiligen Land das höchst heikle Thema Jerusalem
ausgespart, dafür aber gleich die erste Ansprache auf israelischem Boden genutzt,
um für die Zwei-Staaten-Lösung zu werben. Doch ohne internationalen Beistand ist das
nicht zu machen, meint der Nuntius:
„Wenn die Verhandlungen wieder aufgenommen
werden, wenn die internationale Gemeinschaft Garantien gibt und sich wirklich einsetzt,
könnte sie sicherstellen, dass die Identität beider Staaten respektiert wird. Dem
Staat Israel muss garantiert werden, dass auch die Staatengemeinschaft seine Grenzen
schützt. Und dem palästinensischen Volk muss garantiert werden, dass seine Identität
und seine Bestrebungen, ein wirklicher Staat und eine Heimat für dieses Volk zu sein,
ohne Einschränkungen geschützt wird. Denn heute würde niemand akzeptieren, ein Staat
zweiter, dritter, vierter Klasse zu sein.“
Ohne gegenseitigen Respekt
für die jeweilige Identität des anderen ist der Friede zwischen Israelis und Palästinensern,
zwischen Juden und Moslems mit einer winzigen christlichen Minderheit dazwischen schlechterdings
nicht zu bewerkstelligen, sagt der Nuntius. Der Papst habe das in eindringlichen Worten
klar gemacht.
„Wenn es um den Nahostkonflikt geht, dann weise ich immer
auf Europa hin. Von Europa lernt man, dass der Zusammenhalt der Völker und sogar die
Aufhebung der Grenzen nur dann erreichbar sind, wenn man die einzelnen Identitäten
respektiert. Wenn dies nicht geschieht, dann gibt es Konflikte. Denken wir hierbei
an die Geschichte Jugoslawiens. Die Papstreise ins Heilige Land war sozusagen prophetisch.
Denn er brachte dort eine Botschaft, die unserem Herrn Jesus Christus gehört. Diese
Botschaft ist gekennzeichnet vom Wunsch für den Frieden in jener Region.“
Weit
weniger konfliktreich seien die Auseinandersetzungen in der Steuerdebatte zwischen
katholischer Kirche und Israel. Seit Jahren diskutieren der Heilige Stuhl und der
israelische Staat über eine adäquate Steuerzahlung von kirchlichen Institutionen.
„Es
gab vor kurzem eine leichte Verzögerung bei den Verhandlungen. Das lag aber daran,
dass in Israel eine neue Regierung gebildet wurde. Dabei wurden auch die Verantwortlichen
der israelischen Ministerien gewechselt. Die neuen Mitarbeiter brauchen also Zeit,
um sich in die Materie einzuarbeiten. Es gibt noch einige Punkte, bei denen wir noch
verschiedene Sichtweisen haben. Für uns geht es darum, unsere Mission als Kirche erfüllen
zu können. Die israelischen Behörden bezeichnen unsere Mission hingegen als soziale
oder karitative Tätigkeit. Auch muss gesagt werden, dass die Christen in Israel wenig
finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Ohne Auslandshilfen und der Hilfe des Heiligen
Stuhls müssten unsere Einrichtungen schließen.“
Die nächste Plenarsitzung
der Bilateralen Kommission ist Anfang Dezember in Rom. Ob sich dann bereits eine Lösung
abzeichnen könnte? Erzbischof Franco:
„Ein großer Fortschritt wäre, wenn
es uns in den nächsten Monaten gelingen würde, die Studie über die Steuerfragen zu
besprechen. Diese Analyse wurde von beiden Seiten durchgeführt. Darin werden die Meinungsverschiedenheiten
aufgezählt. Doch es handelt sich um ein Gemeinschaftspapier. Und aufgrund dieser Tatsache
könnte man Punkt für Punkt die Differenzen ansprechen und beseitigen. Wenn uns das
gelingen würde, dann könnte die Steuerfragen in circa einem halben Jahr gelöst werden.“
Der
Vertreter des Heiligen Stuhles in Israel nimmt an der gegenwärtigen ROACO-Versammlung
im Vatikan teil. Die ROACO (Riunione delle Opere di Aiuto alle Chiese Orientali) ist
eine Vereinigung von Hilfswerken aus verschiedenen Ländern, die sich finanziell beim
Bau von Kirchen und bei der Schaffung schulischer und sozialer Einrichtungen für die
Ostkirchen einsetzen. (rv 24.06.2009 gs)