2009-06-12 10:55:33

Türkei: Willkommene Ohrfeige


RealAudioMP3 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei verurteilt, weil der Staat eine Frau, ihre drei Kinder und ihre Mutter nicht ausreichend vor der Gewalt des Ehemannes geschützt hat. Die Türkei muss der 37-Jährigen mehr als 30.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen. Der Straßburger Beschluss stößt quer durch die Lager auf Beifall, obwohl ähnliche Kritik von außen sonst häufig als Eingriff in innere Angelegenheiten verstanden wird.
„Eine Lektion für den Respekt vor Frauen“ nannte es das Boulevardblatt „Hürriyet“ am Donnerstag, von einer verdienten „schallenden Ohrfeige“ schrieb die regierungsnahe Zeitung „Yeni Safak“. Die Frau wurde von ihrem Ehemann über mehrere Jahre, zum Teil mit Messerstichen, körperlich misshandelt. Nach jeder Anzeige seitens der Frau kam der Mann mit einer Geldstrafe wieder frei. Die Türkin wurde Berichten zufolge immer wieder mit dem Tod bedroht, wenn sie nicht die Anzeigen zurücknehmen würde. Als sie sich vor sieben Jahren von ihm trennen wollte, erschoss er die Mutter der Frau. Der Türke bekam dafür eine lebenslange Haftstrafe, gegen die er Berufung einlegte. Bis zum Abschluss des Verfahrens ist er auf freiem Fuß. Erst nach dem Urteil vor dem Gerichtshof erteilte die türkische Regierung Auflagen gegen den Mann, dass er sich der Frau nicht mehr nähern dürfe.
Das Urteil und die zugrunde liegende Tragik haben in der Türkei eine neue Debatte über Männergewalt ausgelöst. Auch Polizei und Justiz, die solche Gewalt auch nach entsprechenden Gesetzesreformen augenscheinlich noch zu oft hinnehmen, stehen in der öffentlichen Kritik. Das Straßburger Gericht berief sich in der Urteilsbegründung auf Berichte von Frauengruppen. Mehreren Untersuchungen zufolge werden 40 Prozent der türkischen Frauen Opfer häuslicher Gewalt, nur wenige gehen zur Polizei.
Die türkische Presse bewertet das Urteil als historisch, weil es in seiner Begründung über den Einzelfall hinaus eine „Kultur der Gewalt“ benennt, die oft toleriert werde. Der Rechtsexperte der regierenden AKP forderte seine Regierung auf, nun „das Nötige zu tun“. Frauen-Aktivistinnen nannten das Urteil „eine Chance für die Türkei, die Augen zu öffnen“. Die einzige laute Kritik kam bislang von der AKP-Abgeordneten Güldal Aksit, sie findet das Urteil „unfair“. Aksit ist die Vorsitzende des Gleichberechtigungsausschusses im Parlament. „Leider“, wie die Zeitung „Radikal“ prompt kommentierte.
(sz/pm 12.06.2009 bp)








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