2009-06-05 17:23:13

D: „Müde, aber glücklich!“ – Erste orthodoxe Rabbinerordination in Deutschland nach Shoah


RealAudioMP3 „Wer hätte das denken können, dass jemand, der aus einer kleinen Stadt aus der Ukraine kommt, einen Teil der Geschichte schreiben würde.“ 
Der 24-jährige Avraham Rabdil hat in dieser Woche ein Stück deutsch-jüdischer Geschichte geschrieben. Denn er ist einer der beiden ersten orthodoxen Rabbiner, die seit der Shoah, seit mehr als 70 Jahren, wieder in Deutschland ordiniert worden sind. Am Dienstag wurde der gebürtige Ukrainer in der Münchner Synagoge Ohel Jakob feierlich in sein Amt eingeführt, zusammen mit seinem aus Ungarn stammenden Freund und Kommilitonen, Zsolt Balla, mit dem er am Hildesheimerschen Rabbinerseminar zu Berlin studiert hat. Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland sprach bei der Ordinationsfeier von einem „Sieg über Hitler“.

Avraham Radbil ist nicht nur neu ordinierter Rabbiner, sondern seit ein paar Wochen auch frisch gebackener Vater. Wie man sich fühlt, wenn man als solcher Geschichte schreibt? Im Interview mit Radio Vatikan fasst er das so zusammen:

„Sehr müde, aber auch sehr glücklich. Es gab wirklich viel zu viele Events in letzter Zeit, aber, Gott sei Dank, ist alles überstanden und alles ist gut gegangen. Für mich ist nicht der Tag selbst ausschlaggebend, sondern das, was danach kommt.“ 
Rabbi Radbil wird künftig als Vollzeitrabbiner und Assistent des Kölner Großrabbiners, Jaron Engelmayer, in der Rheinmetropole im Einsatz sein. Momentan beendet er noch sein Psychologiestudium in Berlin.

„…, weil ich es mag und weil ich denke, dass es mir bei der Arbeit mit den Menschen helfen wird.“ 
Avrahim Radbil kam mit zwölf Jahren aus der Ukraine nach Deutschland, lebte dort mit seiner Familie zunächst in einer sächsischen Kleinstadt, dann in Leipzig. Dort entstand auch sein Wunsch, Rabbiner zu werden, erzählt Radbil.

„Das Problem in der Ukraine war, dass ich dort nicht wirklich die Möglichkeit hatte, mich der Religion zu nähern, weil es einfach nicht die nötigen Infrastrukturen dazu gegeben hat. Natürlich, wenn ich in Kiew oder Odessa und nicht in einer Kleinstadt aufgewachsen wäre, dann wäre das nicht der Fall gewesen. Denn dort ist das jüdische Leben sehr ausgeprägt. Aber beide dieser Städte waren weit weg von mir. Nachdem ich nach Deutschland kam, habe ich den Religionsunterricht in der jüdischen Gemeinde besucht und später auch die Seminare und Ferienlager der Lauder Foundation. Und dann hat es mich immer mehr angesprochen und ich habe mich mehr und mehr dort gefunden und irgendwann kam ich in das Lehrhaus.“ 
Eine außergewöhnliche Biographie für einen Jugendlichen. Doch auf gewisse Weise ist Avraham Radbil ein typischer Repräsentant für das jüdische Leben in Deutschland. Viele Jüdischgläubige sind aus den osteuropäischen Ländern zugewandert und haben das Gemeindeleben wieder gestärkt. Doch trotz wachsender Gemeinschaften – Deutschland ist im Bezug auf das Judentum nach wie vor Entwicklungsland, meint Rabbi Radbil.

„Ich glaube, das Problem ist, dass wurde auch am Dienstag angesprochen, dass es einfach nicht genug Rabbiner, orthodoxe Rabbiner gibt, die das Wissen an Menschen vermitteln würden. Und das ist auch einer der Gründe, warum unser Rabbinerseminar gegründet wurde.“ 
Auf seinen künftigen Dienstort Köln freut er sich ganz besonders, und das auch wegen des multireligiösen Gesichts der Stadt. Die Domstadt ist nicht nur eine katholische Hochburg. Die jüdische Gemeinde in Köln ist die älteste Europas nördlich der Alpen und auch das muslimische Leben ist dort sichtbar vertreten:

Es ist sehr bemerkenswert, dass das koschere Essen in Köln von einem Iraner verkauft wird, in seinem iranischen Laden und der Kinderarzt zu dem normalerweise die Familien aus der Gemeinde gehen ist ein Palästinenser. Ich persönlich finde es sehr gut, weil ich glaube, dass man die Politik und Religion nicht unbedingt vermischen sollte und wenn man sie voneinander trennt, dann ist es auch besser und leichter für alle zusammenzuleben. Das heißt auch, die Probleme, die sich gerade in Israel abspielen, nicht auf Deutschland zu übertragen, obwohl das vielleicht auch vielen sehr schwer fällt. 
Die Renaissance jüdischer Gemeinden in Deutschland ist ein „Geschenk mit dem wir sorgsam umgehen müssen“, so hatte es Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bei der Ordinationsfeier der beiden neuen Rabbiner in München formuliert. Leider noch viel zu oft begegnen Juden in Deutschland Rechtsextremismus und Antisemitismus. Das hat auch Avraham Radbil erfahren, als er 1997 nach Sachsen kam.

„Wir kamen nicht gleich nach Leipzig, sondern erst in eine Kleinstadt zwischen Leipzig und Dresden. Zwei Wochen, nachdem wir angekommen sind, bin ich schon in die Schule gegangen, um Deutsch zu lernen. Und in solchen Kleinstädten in Sachsen oder vielleicht auch in anderen Bundesländern, meistens im Osten, gibt es sehr viel Rechtsradikalismus. Ich muss ganz ehrlich sagen, am Anfang war es ziemlich schwer, wobei ich niemals versteckt habe, das ich jüdisch bin. Als ich nach Leipzig kam, war es zwar leichter, aber als meine Klassenkameraden erfahren haben, dass ich jüdisch bin, waren die ersten Fragen, die auf mich zukamen, „Wo ist Deine Judennase?“ oder „Wo hast Du Dein ganzes Geld versteckt?“. Ich glaube, das liegt zum Teil einfach daran, dass die Leute noch nie in ihrem Leben einen Juden gesehen haben und die Vorstellung, die sie von einem Juden haben, haben sie auch nur aus irgendwelchen Nazifilmen, die sie im Internet gefunden haben. Und vielleicht fehlt es ein bisschen an der Aufklärung, in diesen kleinen Orten…“ 
Auf der anderen Seite gebe es aber auch eine große Aufgeschlossenheit gegenüber dem Judentum und das Bemühen, aus der Geschichte zu lernen. Positiv erinnert sich Avraham Radbil zum Beispiel an einen Besuch in Polen zusammen mit evangelischen und katholischen Schülern:

„Wir haben alle ehemaligen jüdischen Städten besucht und auch die KZs und wir haben viele Gespräche und Diskussionen geführt, wie es dazu kommen konnte und was man halt tut, um dies in der Zukunft zu verhindern und wir hatten auch ein sehr gutes Ergebnis dabei.“ 
(rv 05.06.2009 ad)







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