D: „Müde, aber glücklich!“ – Erste orthodoxe Rabbinerordination in Deutschland nach
Shoah
„Wer hätte
das denken können, dass jemand, der aus einer kleinen Stadt aus der Ukraine kommt,
einen Teil der Geschichte schreiben würde.“ Der 24-jährige Avraham Rabdil
hat in dieser Woche ein Stück deutsch-jüdischer Geschichte geschrieben. Denn er ist
einer der beiden ersten orthodoxen Rabbiner, die seit der Shoah, seit mehr als 70
Jahren, wieder in Deutschland ordiniert worden sind. Am Dienstag wurde der gebürtige
Ukrainer in der Münchner Synagoge Ohel Jakob feierlich in sein Amt eingeführt, zusammen
mit seinem aus Ungarn stammenden Freund und Kommilitonen, Zsolt Balla, mit dem er
am Hildesheimerschen Rabbinerseminar zu Berlin studiert hat. Die Präsidentin des Zentralrats
der Juden in Deutschland sprach bei der Ordinationsfeier von einem „Sieg über Hitler“.
Avraham
Radbil ist nicht nur neu ordinierter Rabbiner, sondern seit ein paar Wochen auch frisch
gebackener Vater. Wie man sich fühlt, wenn man als solcher Geschichte schreibt? Im
Interview mit Radio Vatikan fasst er das so zusammen:
„Sehr müde, aber auch
sehr glücklich. Es gab wirklich viel zu viele Events in letzter Zeit, aber, Gott sei
Dank, ist alles überstanden und alles ist gut gegangen. Für mich ist nicht der Tag
selbst ausschlaggebend, sondern das, was danach kommt.“ Rabbi Radbil wird
künftig als Vollzeitrabbiner und Assistent des Kölner Großrabbiners, Jaron Engelmayer,
in der Rheinmetropole im Einsatz sein. Momentan beendet er noch sein Psychologiestudium
in Berlin.
„…, weil ich es mag und weil ich denke, dass es mir bei der Arbeit
mit den Menschen helfen wird.“ Avrahim Radbil kam mit zwölf Jahren aus der
Ukraine nach Deutschland, lebte dort mit seiner Familie zunächst in einer sächsischen
Kleinstadt, dann in Leipzig. Dort entstand auch sein Wunsch, Rabbiner zu werden, erzählt
Radbil.
„Das Problem in der Ukraine war, dass ich dort nicht wirklich die
Möglichkeit hatte, mich der Religion zu nähern, weil es einfach nicht die nötigen
Infrastrukturen dazu gegeben hat. Natürlich, wenn ich in Kiew oder Odessa und nicht
in einer Kleinstadt aufgewachsen wäre, dann wäre das nicht der Fall gewesen. Denn
dort ist das jüdische Leben sehr ausgeprägt. Aber beide dieser Städte waren weit weg
von mir. Nachdem ich nach Deutschland kam, habe ich den Religionsunterricht in der
jüdischen Gemeinde besucht und später auch die Seminare und Ferienlager der Lauder
Foundation. Und dann hat es mich immer mehr angesprochen und ich habe mich mehr und
mehr dort gefunden und irgendwann kam ich in das Lehrhaus.“ Eine außergewöhnliche
Biographie für einen Jugendlichen. Doch auf gewisse Weise ist Avraham Radbil ein typischer
Repräsentant für das jüdische Leben in Deutschland. Viele Jüdischgläubige sind aus
den osteuropäischen Ländern zugewandert und haben das Gemeindeleben wieder gestärkt.
Doch trotz wachsender Gemeinschaften – Deutschland ist im Bezug auf das Judentum nach
wie vor Entwicklungsland, meint Rabbi Radbil.
„Ich glaube, das Problem ist,
dass wurde auch am Dienstag angesprochen, dass es einfach nicht genug Rabbiner, orthodoxe
Rabbiner gibt, die das Wissen an Menschen vermitteln würden. Und das ist auch einer
der Gründe, warum unser Rabbinerseminar gegründet wurde.“ Auf seinen künftigen
Dienstort Köln freut er sich ganz besonders, und das auch wegen des multireligiösen
Gesichts der Stadt. Die Domstadt ist nicht nur eine katholische Hochburg. Die jüdische
Gemeinde in Köln ist die älteste Europas nördlich der Alpen und auch das muslimische
Leben ist dort sichtbar vertreten:
Es ist sehr bemerkenswert, dass das koschere
Essen in Köln von einem Iraner verkauft wird, in seinem iranischen Laden und der Kinderarzt
zu dem normalerweise die Familien aus der Gemeinde gehen ist ein Palästinenser. Ich
persönlich finde es sehr gut, weil ich glaube, dass man die Politik und Religion nicht
unbedingt vermischen sollte und wenn man sie voneinander trennt, dann ist es auch
besser und leichter für alle zusammenzuleben. Das heißt auch, die Probleme, die sich
gerade in Israel abspielen, nicht auf Deutschland zu übertragen, obwohl das vielleicht
auch vielen sehr schwer fällt. Die Renaissance jüdischer Gemeinden in Deutschland
ist ein „Geschenk mit dem wir sorgsam umgehen müssen“, so hatte es Bundesinnenminister
Wolfgang Schäuble bei der Ordinationsfeier der beiden neuen Rabbiner in München formuliert.
Leider noch viel zu oft begegnen Juden in Deutschland Rechtsextremismus und Antisemitismus.
Das hat auch Avraham Radbil erfahren, als er 1997 nach Sachsen kam.
„Wir
kamen nicht gleich nach Leipzig, sondern erst in eine Kleinstadt zwischen Leipzig
und Dresden. Zwei Wochen, nachdem wir angekommen sind, bin ich schon in die Schule
gegangen, um Deutsch zu lernen. Und in solchen Kleinstädten in Sachsen oder vielleicht
auch in anderen Bundesländern, meistens im Osten, gibt es sehr viel Rechtsradikalismus.
Ich muss ganz ehrlich sagen, am Anfang war es ziemlich schwer, wobei ich niemals versteckt
habe, das ich jüdisch bin. Als ich nach Leipzig kam, war es zwar leichter, aber als
meine Klassenkameraden erfahren haben, dass ich jüdisch bin, waren die ersten Fragen,
die auf mich zukamen, „Wo ist Deine Judennase?“ oder „Wo hast Du Dein ganzes Geld
versteckt?“. Ich glaube, das liegt zum Teil einfach daran, dass die Leute noch nie
in ihrem Leben einen Juden gesehen haben und die Vorstellung, die sie von einem Juden
haben, haben sie auch nur aus irgendwelchen Nazifilmen, die sie im Internet gefunden
haben. Und vielleicht fehlt es ein bisschen an der Aufklärung, in diesen kleinen Orten…“ Auf
der anderen Seite gebe es aber auch eine große Aufgeschlossenheit gegenüber dem Judentum
und das Bemühen, aus der Geschichte zu lernen. Positiv erinnert sich Avraham Radbil
zum Beispiel an einen Besuch in Polen zusammen mit evangelischen und katholischen
Schülern:
„Wir haben alle ehemaligen jüdischen Städten besucht und auch
die KZs und wir haben viele Gespräche und Diskussionen geführt, wie es dazu kommen
konnte und was man halt tut, um dies in der Zukunft zu verhindern und wir hatten auch
ein sehr gutes Ergebnis dabei.“ (rv 05.06.2009 ad)