Dr. Monika Hauser
ist Frauenärztin und Begründerin der internationalen Frauenrechtsorganisation „Medica
mondiale“. Einer inzwischen etablierten, weltweiten sozialen Einrichtung. Sie kämpft
gegen Gewalt in Krisengebieten, gegen sexuelle Gewalt - und für mehr Gleichberechtigung.
Gleichberechtigung für Frauen. Die heute in Köln wirkende Gynäkologin erhielt im vergangenen
Jahr den Alternativen Nobelpreis. Die gebürtige Schweizerin mit Südtiroler Wurzeln
sieht die Ehrung vor allem als Auftrag, weiter zu machen - trotz aller Widerstände.
Ihr Motto für die Zukunft lautet: „Ich möchte, dass die Welt für Frauen anders wird“.
- Aldo Parmeggiani hat mit Monica Hauser über ihre Arbeit gesprochen: Zunächst
ein paar Worte zum Alternativen Nobelpreis: der Right Livelihood Award, im Deutschen
Alternativer Nobelpreis genannt, wird an Persönlichkeiten, Organisationen und Repräsentanten
sozialer Bewegungen vergeben. Der Preis wurde 1980 vom Philatelisten, Journalisten
und zeitweiligen Mitglied des Europäischen Parlaments Jakob von Uexküll gestiftet
und ist heute einer der meist angesehenen und dotierten Preise weltweit. Seine Ziele
sind hochgesteckt: Hauptzweck ist es, Menschen in Not zu ehren und zu unterstützen,
praktikable Lösungen zu den dringendsten Problemen unserer Zeit zu finden und umzusetzen.
Die Preisträger werden ausgezeichnet für Verdienste in den Bereichen Umwelt, Frieden,
Abrüstung, Menschenrechte, Entwicklung, Kultur und Spiritualität, indigene Völker,
Verbraucherschutz, Bildung, Gesundheit, Energie und Ressourcen-Schonung. Hochgesteckte
Ziele, die auch die Kirche – in einigen Fällen allerdings mit gegensätzlichen Standpunkten
– verfolgt. Frau Dr. Hauser, Sie erhielten den alternativen Nobelpreis wegen Ihres
Einsatzes für unterdrückte Frauen, vergewaltigte Frauen in Kriegs- und Krisengebieten.
Zuerst in Bosnien, dann in Kosovo, Albanien, in Afghanistan und in Kongo, Liberia,
Indien und Indonesien. Ihre Hilfe gilt Menschen, sozialen Einrichtungen, karitativen
Institutionen. Beginnen wir am besten bei den traumatisierten Frauen: Wie haben Sie
zu diesem Thema gefunden, das Ihr bisherigen Leben so stark gekennzeichnet hat und
voraussichtlich Ihr ganzes, weiteres Leben begleiten wird? „Ja, für mich war
das Thema ‚Gewalt gegen Frauen‛ eigentlich schon immer ein sehr präsentes Thema solange
ich zurückdenken kann. Meine Großmutter zum Beispiel in meiner Vinschgauer Heimat
hat mir von eigenen Gewalterfahrungen erzählt. Ich haben von meinen Tanten erfahren,
dass sie von Dienstherren Übergriffe erleben muss†en. Je älter ich wurde, desto mehr
habe ich wahrgenommen, dass in meiner Umgebung Frauen dieser Gewalt unterliegen.“ Als
Monika Hauser dann eine junge Ärztin wurde, ist ihr das noch klarer geworden: sie
sah plötzlich, dass bei vielen ihrer Patientinnen, seien es deutsche oder italienische
Patientinnen, aber auch Migranten und Flüchtlingsfrauen, die Gewalt, die sie erleben
mussten, ihren persönlichen Alltag und ihre gesundheitliche Situation bestimmte. Daher
war es für Monika Hauser logisch, Gynäkologin zu werden und sehr genau darauf zu achten,
was diesen Frauen in Wirklichkeit geschah, sie darin zu unterstützen und gleichzeitig
immer auch die Hierarchien, die Krankenhausleitungen, anzumahnen, dass dieses Thema
nicht vergessen werden darf, sondern dass hier Frauen ganz strukturell unterstützt
werden müssen. Im Zentrum der Arbeit von Monika Hauser stand von nun an die Hilfe
für Frauen und Mädchen, all dies, was Frauen in Kriegen angetan wurde und weiter angetan
wird. Heute kennt Monika Hauser die Grenzen der Menschenwürde, aber auch jene Grenzen,
die die Menschwürde überschreiten. Denn auch die gibt es. Dinge über die selbst sie
kaum sprechen kann. Tabus, über die man keine Worte mehr findet. „Ich würde
unterscheiden zwischen einem Tabu und einem sehr schmerzbesetzten Thema, was für Frauen,
auf Grund dessen, dass sie sich mit anderen Frauen identifizieren, für sie kaum aushaltbar
ist. Das letztere erlebe ich immer wieder, oder habe ich in meiner Laufbahn erlebt,
dass gerade in Bosnien Frauen so schreckliche Geschichten erlebt haben, dass ich die
Verantwortung übernommen habe - sozusagen stellvertretend für die Welt - mir diese
Geschichten anzuhören. Aber es war oft ganz schwer zu ertragen, auch wenn ich heute
Geschichten aus dem Kongo oder aus Liberia erzähle, wo Frauen ‚nicht nur‛ eine Vergewaltigung
erleben, sondern auch wirklich die ganze Bestialität, zu der Männer fähig sind, erleben.
Wo sie verstümmelt werden. Das ist dann manchmal schon so, dass ich denke, ich hätte
schon alles gehört! Aber das ich das dann wieder revidieren muss. Das ist aber ein
Schmerz, mit dem man auch nach 15 Jahren Menschenrechtsarbeit lernt, einigermaßen
umzugehen. Ich nehme auch professionelle Supervision in Anspruch, um diese auch mich
sehr belastenden Themen abladen zu können. Aber es bleibt immer ein Stück dieser Gewalt
als Stachel zurück. Wir, die wir langfristig mit diesem Thema zu tun haben, müssen
sehr gut auf uns aufpassen, dass dieser Stachel der Gewalt nicht auch in uns wirken
kann, sondern dass wir das zurückweisen, und auf uns aufpassen.“ Das kann Monika
Hauser vor allem auch deswegen gut tun, weil sie diese Arbeit auch als eine politische
Verpflichtung versteht. Sie will – das sagt sie ganz bewusst - nicht ‚nur‛ Caritas
tun, sie will nicht nur Frauen direkt unterstützen, sondern sie will an diesen Frauen
verachtenden Verhältnissen etwas ändern.
„Ich will, dass diese Welt
für Frauen insgesamt besser wird, weil sie für alle Menschen besser wird. Ich sehe
in dieser politischen Arbeit auch eine Möglichkeit meinen eigenen Schmerz begegnen
zu können.“ Wie vielen vom Krieg traumatisierten Frauen hat Monika Hauser als
Therapeutin und Fachärztin für Gynäkologie medizinisch und psychologisch inzwischen
helfen können? Eine schwierige Frage, meint die Frauenärztin, weil natürlich auch
mitberechnet werden muss, was ihre Mitarbeiterinnen vor Ort leisten. Sie selbst ist
mehr und mehr zur Managerin und Leiterin dieser Organisation geworden. Die eigentliche
Arbeit mit den Patientinnen verrichten infolgedessen einheimische Fachfrauen, die
sich jeden Tag diesem schweren Thema und den Folgen der Gewalt aussetzen. Monika Hauser
denkt, dass über die Jahre vielen zehntausenden von Frauen geholfen werden konnte.
Allein in Bosnien sind es über hunderttausend Frauen, die mit neuer Würde ins Leben
zurückkehren konnten. Wo und wie aber findet man die Gelder zur Unterstützung von
Hilfsprojekten - heute Fundraising genannt?
„Eine sehr wichtige Frage.
Wir machen viel fleißiges Fundraising, das heißt wir finanzieren uns etwa halb aus
Spendengeldern in erster Linie aus Deutschland, aber auch aus der Schweiz, aus Österreich
und auch Südtirol. Die andere Hälfte kommt von Drittmitteln, das heißt EU-Gelder von
deutschen Ministerien, von Stiftungen, Das ist sehr wichtig, diese Aufteilung, sodass
wir politisch unabhängig bleiben können, agieren können und auf der anderen Seite
mit den Spenden auch immer in die Öffentlichkeit gehen und Aufklärung machen können.
Denn das ist ja auch unser Auftrag: immer wieder Aufklärung zu machen, dass die Bevölkerung
wirklich eine Sensibilität dafür entwickelt, was Gewalt gegen Frauen bedeutet.“ Vor
einigen Jahren hat Monika Hauser eine bedeutende Summe an Unterstützung von der Caritas
ausgeschlagen, weil die katholische Kirche Abtreibungen – auch nach Vergewaltigungen
– ablehnt. Stimmt das? „Ja, das stimmt. Mir schien das moralisch nicht integer,
dieses Geld anzunehmen. Wir unterstützen in unseren Projekten Frauen auch in dieser
Form. Stellen Sie sich vor: eine Frau, die schwanger geworden ist durch bestialische
Gewalt von Männern und als Folge suizidal ist. Weil sie sich nicht nur nicht vorstellen
kann, dass sie dieses Kind nicht bekommen will, weil es sie jeden Tag an die Gewalt
erinnern wird, sondern auch, und das ist ein Hauptpunkt, ihre Umgebung sie mit dem
Kind ablehnen wird. Ihre Familie sagt: du bist dreckig, dein Kind ist dreckig, weil
du ein Kind des Feindes bekommen hast! Wenn die Frauen nicht so alleine gelassen würden,
mit ihrer Not, mit dem Kind auch, dass sie kaum wissen, wei sie überleben können.
Wenn Frauen also mehr Unterstützung hätten, könnten sie sicher auch häufiger für das
Kind entscheiden, wenn sie eben in einer solidarischen Umgebung lebten. Die Realität
sieht aber leider ganz anders aus, darum muss diese Form der Unterstützung auch zu
unserem Arbeitsbereich gehören. Damals habe ich aber mit der Caritas einen Kompromiss
gefunden, Schließlich konnte ein Projektzweig doch noch von der Caritas unterstützt
werden.“ Monika Hauser kommt auf die Rolle der Kirche bei Hilfsprojekten zu
sprechen. Das sprichwörtliche Engagement der Kirche in der weltweiten Hilfe für die
Armen, für die Notleidenden und Kranken und allgemein Entrechteten ist bekannt. Die
Ärztin sieht aber auch kritische Seiten. Sie würde sich wünschen, dass ihre Einrichtung
von der katholischen Kirche ganz allgemein, eine massivere Unterstützung bekommen
würde. „Wir arbeiten ja nicht nur in islamisch geprägten Ländern, sondern durchaus
auch in Ländern wo wir sehr viele Katholikinnen haben. Hier wäre es sehr, sehr wichtig,
wenn von der katholischen Seite ganz deutliche Worte kämen. In Bosnien übrigens habe
ich immer wieder von Imamen Unterstützung bekommen. Es ist sogar ein Schiedsspruch
darüber gesprochen worden, dass diese vergewaltigten Frauen nichts dafür können, was
ihnen geschehen ist. Dass die Täter Schuld sind. Und dass die Gesellschaft die Verantwortung
hat, die Frauen wieder in ihre Mitte zurückzuholen. So etwas würde ich mir auch von
der katholischen Seite wünschen. Das habe ich damals in Kroatien absolut vermisst.
Aber auch in lateinamerikanischen oder afrikanischen Ländern, wo so viele Frauen noch
Gewalt erleben, wäre hier ein absolut klares Wort angebracht, auf welcher Seite die
Kirche steht, und das Frauen eben jede Form der Unterstützung bekommen, damit sie
wieder ins Leben zurückkommen können.“ Zur Jahrtausendwende übernimmt Monika
Hauser die politische Geschäftsführung der von ihr gegründeten Frauenrechtsorganisation
„Medica mondiale“, für die sie acht Jahre später mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt
wird. In der in Stockholm bekanntgegebenen Begründung heißt es: ‚Die Gründerin des
Vereins „Medica mondiale“ wird ausgezeichnet für ihren unermüdlichen Einsatz für Frauen,
die in Krisenregionen schrecklichste Gewalt erfahren haben, und für ihren Kampf, ihnen
gesellschaftliche Anerkennung und Entschädigung zu verschaffen‘. Ein Wort zu dieser
Ehrung? „Ja, ich freue mich sehr über diese Ehrung. Es war sehr mutig von der
Jury hier ein ganz politisches Signal zu Gunsten von vergewaltigten Frauen auszusprechen.
Weil es nicht nur im Kongo und in Afghanistan ein Tabuthema ist, sondern durchaus
auch in unseren westliche Industriestaaten immer noch schwierig ist, über dieses Thema
zu sprechen. Daher bin ich sehr froh, über diese Solidarität und Loyalität der Jury
und der Preis hat uns hohe Aufmerksamkeit beschert mit der wir weitere Aufklärung
machen können.“ Wie bezeichnen Sie sich selbst Frau Dr.Hauser? „Ich bezeichne
mich in erster Linie als engagierte Frauenrechtskämpferinnen, die nicht nachlässt,
die hartnäckig ist, aber die auch mittlerweile über die Jahre sehr viele weitere Mitarbeiterinnen
gefunden hat. Und ich freue mich über alle, die diese schwere Arbeit mit begleiten
und unterstützen.“ Wen würden Sie für den nächsten alternativen Nobelpreis
vorschlagen? „Das ist eine gute Frage, meint Monika Hauser abschließend und
weist auf eine ganz mutige Frau aus China hin, namens Rebiya Kadeer, eine der berühmtesten
Dissidentinnen Chinas, die sich seit Jahrzehnten bedingungslos trotz eigener Opfer
für das Volk der Uiguren einsetzt und dafür auch im Gefängis war.“ Und zum
Schluss: herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 50. Geburtstag Frau Hauser! „Ich danke
Ihnen.“ (rv 17.05.2009 ap)