Ha’aretz: „Nicht jedes Papst-Wort auf die Goldwaage legen“
„Israel sollte nicht
jedes Wort (oder Nicht-Wort) des Papstes auf die Goldwaage legen“ – dazu rät ein Kommentar
der linksliberalen „Ha’aretz“. Man müsse doch „daran erinnern, dass er auf
seiner Reise in die Heimat die Synagoge von Köln und dort ausdrücklich vom Holocaust
gesprochen hat. Noch wichtiger ist, dass er als Kardinal Ratzinger einen entscheidenden
Einfluss hatte auf die Änderung der kirchlichen Haltung zu den Juden.“ Der Kommentar
fährt fort: „Die Sensibilität von Holocaust-Überlebenden ist verständlich, aber sie
sollten den Papstreden hier keine übertriebene Bedeutung beimessen. Es ist wichtiger,
zuzuhören, was die Chameneis in Teheran so sagen.“
„Der Papst und ich“ ist
ein Kommentar des Rabbiners und Autors Reuven Hammer überschrieben. Darin dankt er
dem Papst ironisch dafür, „dass er meine zionistischen Überzeugungen gestärkt und
meinen Israel-Patriotismus vergrößert hat“. Israel habe richtig gehandelt, als es
1948 „nach nur 1.900-jähriger Wartezeit“ seinen eigenen Staat ausgerufen habe: Dadurch
sei es möglich geworden, dem Papst „von gleich auf gleich zu begegnen“. Schließlich
stehe der Papst für eine Kirche, die Jahrhunderte lang Ressentiments gegen Juden genährt
habe – auch wenn sie im Zweiten Vatikanischen Konzil davon abgerückt sei („eine Wende,
die nicht weniger bemerkenswert war als der Zusammenbruch der Sowjetunion“). Die Gründung
des Staates Israel sei sicher „eine bittere Pille für die Kirche gewesen“. Aber sie
habe diese Pille geschluckt – das sei auf der Papstreise „dramatisch ins Bild gesetzt
worden“. Wörtlich schreibt Rabbi Hammer: „Was für ein unglaublicher Kontrast zwischen
diesen Bildern und der Art und Weise, in der Juden in vergangenen Jahrhunderten vor
dem Papst kriechen mussten! Hier war der Papst unser Gast – er konnte die Heiligen
Stätten nur besuchen, weil wir ihn dazu willkommen hießen.“ Benedikts Israel-Reise
– auch der Auftritt in Yad Vashem – hätten öffentlich signalisiert, „welche Position
Israel, das Judentum und das jüdische Volk heute haben. Nach allem, was Juden gelitten
haben, u.a. durch die Kirche, können wir jetzt stolz darauf sein, dass wir überlebt
und triumphiert haben!“
„Der Papst lässt viele enttäuschte Seelen zurück“,
ist ein weiterer Kommentar des Blattes überschrieben. Vermutlich seien die Erwartungen
im Vorfeld zu hoch gewesen; die Enttäuschung rühre nun „vom Missverständnis der Grenzen
dessen, was der Gast tun konnte“, her. Israelis und Palästinenser hätten sich in Vereinnahmungsversuchen
während der Reise gegenseitig überboten; die Autorin urteilt, dass in diesem Wettbewerb
offenbar die Palästinenser gesiegt hätten.
„Ende einer Pilgerfahrt“, titelt
die „Jerusalem Post“ in ihrer Freitagsausgabe. Sie vergleicht in einem Artikel
den „kalten, distanzierten Benedikt“ mit dem „päpstlichen Rock-Star Johannes Paul“
und zitiert den Rabbiner David Rosen, der sehr im Gespräch mit dem Vatikan engagiert
ist. Nach seiner Auffassung habe „die negative Reaktion auf die Papstrede in Yad Vashem
vor allem damit zu tun, dass der Mann keine emotionale Persönlichkeit ist; und was
die Israelis wollten, war ein emotionaler Ausdruck, der auf jüdische Schmerzen reagierte.
Die Kritik lässt eine unrealistische Erwartungshaltung durchschimmern, die mit dem
Präzedenzfall Johannes Paul zu tun hat.“ Zu einem ähnlichen Eindruck kommt eine lange
Analyse im Innenteil des Blattes; viele jüdische Religionsvertreter seien „von vornherein
nicht dazu bereit gewesen, die Dialog- und Friedensgesten des Papstes zu akzeptieren“.
Dass sich dennoch viele Rabbiner im Gespräch mit dem Christentum engagierten, habe
einen ganz pragmatischen Grund: Sie hofften, dass sie dadurch bedrängten Juden in
mehrheitlich christlichen Ländern helfen können. Eine als „gemäßigte, modern-orthodox“
beschriebene Rabbinergruppe nennt nach Auskunft des Artikels den Papstbesuch „einen
Schlag ins Gesicht der Christenheit“. Jetzt, wo die „Ära des Messias“ näher rücke,
seien die Christen „gezwungen, den Primat des Judentums anzuerkennen“ sowie „die Auserwähltheit
des jüdischen Volkes“.
Eine politische Analyse der Papstreden in der „Post“
kommt zu dem Schluss, dass Benedikt vom israelisch-palästinensischen Konflikt einfach
nichts verstehe. Schlimmer als seine Bemerkungen in Yad Vashem sei sein „ohrenbetäubendes
Schweigen zu Iran“ gewesen. Viele in Israel gehen fest von einem bevorstehenden Konflikt
zwischen ihrem Land und dem Iran aus.
Die palästinensische Presse räumt der
Papstreise an diesem Freitag nicht mehr sehr viel Raum ein, doch alle Kommentatoren
zeigen sich beeindruckt von der Messe Benedikts in Nazareth. Die palästinensische
Nachrichtenagentur „Wafa“ bringt ein Interview mit dem Bürgermeister der Stadt,
der sich von diesem Besuch ein starkes Friedenssignal für die ganze Region verspricht.
Der Minister Ziad Bandak bekräftigt gegenüber der Agentur, Benedikts Worte in den
palästinensischen Autonomiegebieten würden in die Geschichtsbücher eingehen. Die Tageszeitung
„Al Ayam“ bringt die Schlagzeile: „Benedikt XVI. ermuntert in Nazareth zu friedlichem
Zusammenleben von Moslems und Christen im Heiligen Land“; der Artikel zitiert lange
Auszüge aus der Papstpredigt, vor allem seinen Appell, an den durch Jesu Leben geheiligten
Stätten zu bleiben. „Al hayat al dschadida“ bringt die Schlagzeile: „Große
Messe des Papstes in Nazareth – er ruft die Christen dazu auf, nicht zu emigrieren“.
Die Homepage „Jughouruna“ gibt eine Äußerung des Lateinischen Patriarchen Fouad
Twal wieder: Die Zahl der Christen im Heiligen Land sei seit 1970 von drei auf nur
noch zwei Prozent zurückgegangen. „Al-Quds“ macht an diesem Freitag auf
mit der Schlagzeile: „Papst beendet seinen Besuch mit einem Gebet am Heiligen Grab“.
Der Artikel geht davon aus, dass Benedikt seine Visite mit Appellen zum Frieden und
zum Zusammenleben der Völker und Religionen abschließen werde. Zum Treffen Benedikts
mit Israels Premier Netanjahu notiert die Zeitung, Israel verweigere Priestern und
Ordensleuten aus arabischen Staaten die Visa; das werfe immer mehr Probleme für die
Kirche auf. Der Vatikan habe jetzt um Visa für 500 Priester aus arabischen Ländern
gebeten – doch obwohl der Papst Netanjahu sehr ausdrücklich darauf angesprochen habe,
verweigere Israel die Geste. Das könnte zu Spannungen zwischen dem Vatikan und Israel
führen, glaubt (oder hofft?) „Al-Quds“.