Wie wirkt Benedikt
XVI. auf orientalische Christen? Darüber hat Stefan von Kempis mit dem Propst der
Evangelischen Kirche des Heiligen Landes, Uwe Gräbe, und mit Petra Heldt von der „Ökumenischen
Bruderschaft christlicher Kirchen in Jerusalem“ gesprochen. Vielleicht fehle es ihm
„ein wenig an Herzenswärme“, sagen die beiden Protestanten, aber dass das katholische
Kirchenoberhaupt sich am Freitag mit dem Griechisch-Orthodoxen Patriarchen trifft,
sei „großartig“. Benedikt XVI. solle weiter daran arbeiten, „dass die Jünger Jesu
eins seien“. Das Interview mit Uwe Gräbe und Petra Heldt führte unser Korrespondent
Stefan von Kempis.
Frau Heldt, was ist Ihr Eindruck vom Papstbesuch
bisher?
Heldt: Der Papst ist ein sehr intelligenter Mann. Er hat seine
Arbeit sehr gut vorbereitet. Israel ist bereit, ihn mit großer Liebe und Herzlichkeit
zu empfangen. Wir erleben den Papst als jemanden, der nicht gewohnt ist, spontan herzlich
zu sein - und in Israel ist das sofort ein Punkt der Diskussion. Israel ist ein sehr
herzliches Land und wenn jemand, so wie der Papst, als ein Intellektueller betrachtet
wird, als einer, der über allem und allen steht, dann ist man verunsichert. Aus der
Unsicherheit kommt dann oft eine Reaktion, die sagt: Was will der eigentlich? Man
kann damit im Grunde nicht umgehen. Man guckt sich die Rede an, die der Papst in Yad
Vashem gehalten hat, die, als ich sie nachgelesen habe, mir recht gut erschien. Die
Rede an sich, glaube ich, ist in Ordnung, aber es fehlt die Herzlichkeit. Nun kann
man aber nicht sage, der Papst muss herzlich sein. So versucht man an der Rede das
eine oder andere herauszunehmen und zu interpretieren. Das zeigt im Allgemeinen die
Unsicherheit, man weiß nicht, wie man damit umgehen soll.
Heißt das, der
Papst ist zu unorientalisch?
Gräbe: Vielleicht kann man es so benennen.
Also, ich würde von Herzenswärme sprechen, die so nicht rüberkommt. Und diesen manchmal
sehr steifen, intellektuellen Stellungnahmen. Und Herzenswärme ist wirklich, wie Frau
Held sagt, hier eine ganz zentrale Sache, die rüberkommen muss, wenn man die Herzen
der Menschen gewinnen will.
Der Papst macht sehr viele Gespräche und Besuche
in diesen Tagen auch in Jerusalem, aber es kommt nicht zu einem ökumenischen Gottesdienst
oder zu einem Besuch in Ihrer Kirche. Sie hatten ihn aber dazu eingeladen, nicht wahr?
Gräbe:
Ich hatte den Papst in die Erlöserkirche eingeladen. Ich hatte mir gedacht, auf dem
Weg vom griechischen Patriarchat zum armenischen Patriarchat muss er ja irgendwie
bei uns vorbeikommen, und dann wäre es schön, ein kurzes Gebet bei uns zu halten.
Ich habe einen sehr freundlichen, sehr höflichen Brief aus dem Vatikan erhalten, der
besagt hat, dass der Papst sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt hat und dass
es dann aus zeitlichen Gründen leider doch nicht möglich war. Ökumenischer Gottesdienst
ist ein sehr hoch gegriffenes Wort. Also, man muss gucken, wie die Ökumene in Jerusalem
funktioniert, wie sensibel ökumenische Fragen sind, wie zentral in alle dem der Status
Quo ist. Wir haben im Rahmen der Woche des Gebets für die Einheit der Christen seit
einigen Jahren erlebt, wie es ist, wenn auch die Griechisch-Orthodoxen daran teilnehmen
und auch in der Grabeskirche solche Gebete stattfinden. Wir merken jedes Mal, dass
es sehr heikel ist, mit dem Status Quo umzugehen und dass eigentlich es nicht vorgesehen
ist, dass Katholiken, Orthodoxe und Evangelische dort auch nur nebeneinander, geschweige
denn miteinander beten. Auf Rücksicht auf diesen Status Quo wäre es im Moment doch
sehr, sehr schwierig, so etwas zu halten.
Aber wenn es diesen Präzedenzfall
von der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen her schon gibt, dann wäre es
doch ein schöner Fortschritt gewesen, zum Beispiel einen kleinen ökumenischen Gottesdienst
mit griechisch gesprochenem Glaubensbekenntnis in der Grabeskirche am Grab zu haben.
Sind die Jerusalemer Christen zu zerstritten, oder ist der Vatikan da zu unbeweglich?
Heldt:
Ich glaube, dass ist genau eine Sache, die man nicht planen kann. Wir hatten das schon
mehrmals in Jerusalem, aber das war eine spontane Sache. Ich kann auch sagen, das
war eine Sache des Heiligen Geistes. Aber eine Papstreise muss man sehr sorgfältig
protokollarisch planen - und so etwas kann man in Jerusalem nicht planen. Aber was
ganz großartig ist und was richtig aufregend ist, ist, dass der Papst mit dem griechisch-orthodoxen
Patriarchen ein ökumenisches Gespräch haben wird.
Warum ist das aufregend?
Heldt:
Weil das als ein ökumenischer Besuch deklariert ist. Es ist kein Besuch, sondern ein
ökumenischer, und das heißt, es ist ein Besuch, wo die beiden sich sozusagen auf Augenhöhe
begegnen. Normalerweise war das bisher nicht der Fall, beziehungsweise es war ein
Höflichkeitsbesuch. Aber dadurch dass der griechisch-orthodoxe Patriarch es als ein
ökumenisches Ereignis darstellt, zeigt es, dass er diesen Papstbesuch sehr besonders
aufwertet. Ich verstehe das als einen weiteren Zusammenschluss zwischen dem Vatikan
und der Orthodoxie in Jerusalem. Wie wir damit als Protestanten, die wir im Moment
nicht so wirklich dazu gehören, in der Zukunft umgehen werden, ist zu sehen. Aber
wir sehen hier eine starke Konstellation der Ökumene, wo diese beiden Positionen –
Katholiken und Orthodoxie - zusammen gehen.
Gräbe: Das steht ja auch besonders
auf der Agenda dieses Papstes: die Fühler auszustrecken zu den Orthodoxen, wo wir
Evangelischen uns schon manchmal fragen: wo bleiben wir da?
Heldt: Ich glaube,
wir sollten sehen, dass wir als Evangelische hier vor Ort auch uns stärker integrieren
können, als wir es bisher tun. Und das, was wir im Weltrat der Kirche verfolgen, als
Politik, zwar gut ist für Genf, aber nicht notwendigerweise gut ist für Jerusalem.
Der Papst ist da sehr viel beweglicher, der Vatikan, und lässt sich ganz und gar ein
auf die Bedingungen und Notwendigkeiten, die hier vor Ort im Orient, im Heiligen Land,
sind.
Warum? Der Papst und der Vatikan sind doch eher unspontan?
Heldt:
Es stimmt, sie planen langfristig, und deswegen können sie auch langfristig eine solche
neue Linie der Ökumene hier in Jerusalem anlegen und durchführen. Das hat nichts mit
Spontaneität zu tun. Also, ein ökumenischer Gottesdienst, das ist eine spontane Situation.
Das ist schön, wenn es passiert, das kann man aber nicht ins Protokollbuch schreiben.
Das wäre ein Präzedenzfall und müsste jeweils wiederholt werden. Das ist, glaube ich,
im Moment überhaupt nicht drin, und ich kann mir das auch gar nicht für die nächsten
100 Jahre vorstellen. Aber dass wir zusammen beten, miteinander beten unter dem Dach
Jesu Christi, auch in der Grabeskirche, wie der Probst das gerade gesagt hat, uns
jeweils zusammen finden, das ist eine gute Sache.
Wenn Sie zwei Minuten
hätten, im Moment, wo der Papst vorbeiläuft, um ihm etwas zu sagen. Was würden Sie
ihm sagen? Hier zu Jerusalem, aus Ihrer Erfahrung heraus?
Gräbe: Am Flughafen,
als er aus dem Flugzeug ausstieg und auf dem roten Teppich ging und uns allen die
Hand drückte, habe ich ihm gesagt, dass ich ihn willkommen heiße im Heiligen Land,
wo Jesus selbst für seine Jünger gebetet hat, dass alle eins seien. Und dass ich ihn
darum bitte, an dieser Vision Jesu zu arbeiten. Da denke ich natürlich zunächst als
Ansprechpartner auch an uns Evangelische, wo das Verhältnis mit dem Vatikan ja ein
wenig abgekühlt ist. Diese Fäden wieder aufzunehmen, die schon da waren, und weiter
zu arbeiten. Und vielleicht das nächste Mal dann doch in die Erlöserkirche zu kommen
zu einem gemeinsamen Gebet.
Heldt: Ich war in Yad Vashem und ich habe mir
eine Sache sehr gewünscht – das habe ich ihm natürlich nicht sagen können: Als der
Kranz niedergelegt wurde auf die Asche der vielen ermordeten Juden in der Halle des
Gedenkens, dass er an der Stelle einfach niedergekniet wäre und gebetet hätte. Diese
eine kleine Geste hätte die ganze Welt erschüttert und verändert. Und alles, was jetzt
an Kritik kommt, wäre nie geäußert worden. (rv 13.05.2009 sk)