Papst Benedikt XVI. feierte in Nazareth mit 45.000 Gläubigen Eucharistie. Wir dokumentieren
hier den vollen Wortlaut seine Predigt in der offiziellen Übersetzung des Heiligen
Stuhles.
Liebe Brüder und Schwestern!
„In eurem Herzen herrsche
der Friede Christi; dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes“ (Kol
3,15). Mit diesen Worten des Apostels Paulus grüße ich euch alle herzlich im Herrn!
Ich freue mich, nach Nazareth gekommen zu sein, dem Ort, der gesegnet ist durch das
Geheimnis der Verkündigung; dem Ort, der Zeugnis gibt von den verborgenen Jahren Christi,
in denen er heranwuchs und an Weisheit und Gnade zunahm (vgl. Lk 2,52). Ich
danke Erzbischof Elias Chacour für seine herzlichen Grußworte und umarme mit dem Friedensgruß
meine Brüder im bischöflichen Amt, die Priester und Ordensleute, und alle Gläubigen
Galiläas, die in der Vielfalt ihrer Riten und Traditionen die Universalität der Kirche
Christi zum Ausdruck bringen. Besonders danken möchte ich allen, die diese Feier möglich
gemacht machen, besonders jenen, die an der Planung und dem Bau dieser neuen Stätte
beteiligt waren, von dem man einen wunderschönen Ausblick auf Nazareth hat. Wir
sind hier in der Heimatstadt Jesu, Marias und Josefs zusammengekommen, um das Jahr
der Familie ausklingen zu lassen, das die Kirche im Heiligen Land heuer gefeiert hat.
Als Zeichen der Hoffnung für die Zukunft werde ich den Grundstein eines internationalen
Zentrums für die Familie segnen, das in Nazareth gebaut werden soll. Lasst uns beten,
dass das Zentrum dem Familienleben in dieser Region starken Auftrieb gebe, Familien
überall Unterstützung und Beistand gewähre und sie dazu anspornen möge, ihre unersetzliche
Sendung in der Gesellschaft zu erfüllen. Diese Etappe meiner Pilgerreise, ich bin
da voll Vertrauen, wird die Aufmerksamkeit der ganzen Kirche auf die Stadt Nazareth
lenken. Wie schon Papst Paul VI. hier gesagt hat, müssen wir alle nach Nazareth zurückkehren,
um immer neu die Stille und die Liebe der Heiligen Familie zu betrachten, die das
Vorbild allen christlichen Familienlebens ist. Hier kommen wir noch mehr dazu, am
Beispiel Marias, Josefs und Jesu die Heiligkeit der Familie zu würdigen, die im Plan
Gottes auf der im heiligen Bund der Ehe geschlossenen Beziehung zwischen Mann und
Frau basiert, die sich ein Leben lang die Treue halten und das von Gott geschenkte
neue Leben annehmen. Wie notwendig ist es doch, dass sich die Männer und Frauen unserer
Zeit wieder diese grundlegende Wahrheit zu eigen machen, die das Fundament der Gesellschaft
bildet; wie wichtig ist doch das Zeugnis von Ehepaaren für die Bildung gesunder Gewissen
und den Aufbau einer Kultur der Liebe! In der ersten Lesung des heutigen Tages
aus dem Buch Jesus Sirach (3, 3-7.14-17) wird uns die Familie durch das Wort Gottes
als erste Schule der Weisheit gezeigt; eine Schule, die ihre Mitglieder in der Übung
jener Tugenden unterrichtet, die zu wahrem Glück und dauerhafter Erfüllung führen.
Im Plan Gottes für die Familie trägt die Liebe zwischen dem Ehemann und der Ehefrau
Frucht in neuem Leben; eine Liebe, die Tag für Tag in dem liebevollen Bemühen der
Eltern zum Ausdruck kommt, ihren Kindern eine umfassende menschliche und spirituelle
Bildung zu geben. In der Familie wird jede Person, das kleinste Kind ebenso wie das
älteste Familienmitglied, um seiner selbst willen geschätzt, und nicht als Mittel
betrachtet, das irgendeinem anderen Zweck dient. Hier können wir bereits die ersten
Anzeichen der wesentlichen Rolle erkennen, die der Familie als Grundstein einer wohlgeordneten
und aufnahmebereiten Gesellschaft zukommt. Und wir lernen nun auch – innerhalb eines
weiteren Rahmens der Gesellschaft – die Pflicht des Staates schätzen, die Familien
in ihrer erzieherischen Sendung zu unterstützen, die Institution Familie und deren
Rechte zu schützen, und zu gewährleisten, dass alle Familien unter würdigen Bedingungen
leben und gedeihen können. Der Apostel Paulus spricht in seinem Brief an die Kolosser
unwillkürlich von der Familie, als er die Tugenden veranschaulichen will, die „den
einen Leib“ bilden, der die Kirche ist. Als „von Gott geliebte, auserwählte Heilige“
sind wir gerufen, in Frieden und Harmonie miteinander zu leben, uns gegenseitig zu
ertragen und einander zu vergeben, vor allem aber einander zu lieben, denn die Liebe
ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht (vgl. Kol 3,12–14).
Ebenso wie die Liebe im Bund der Ehe durch die Gnade erhöht wird, um an der Liebe
Christi und der Kirche Anteil zu haben und deren Ausdruck zu werden (vgl. Eph
5,32), so ist auch die Familie, die auf diese Liebe gründet, gerufen, „Hauskirche“
zu sein, ein Ort des Glaubens, des Gebets und der liebevollen Sorge um das wahre und
dauerhafte Wohl jedes ihrer Glieder. Während wir hier, in dieser Stadt der Verkündigung,
über all das nachdenken, gehen unsere Gedanken ganz selbstverständlich zu Maria, die
„voll der Gnade“ ist, zur Mutter der Heiligen Familie und unserer Mutter. Nazareth
gemahnt uns an unsere Pflicht, die besondere Rolle der Frau und die ihr von Gott gegebene
Würde anzuerkennen und zu respektieren, ebenso wie ihre besonderen Charismen und Talente.
Ganz gleich, ob sie nun als Mütter in Familien leben, als wichtiger Part im Arbeitsleben
und in den gesellschaftlichen Einrichtungen oder in einer besonderen Berufung unserem
Herrn durch die evangelischen Räte der Keuschheit, Armut und des Gehorsams folgen:
die Frauen spielen stets eine unersetzliche Rolle dabei, jene „Humanökologie“ (vgl.
Centesimusannus, 39) zu schaffen, derer unsere Welt und dieses Land
so dringend bedürfen: ein Umfeld, in dem Kinder lernen zu lieben und für andere Sorge
zu tragen, zu allen ehrlich und respektvoll zu sein, sich in der Tugend der Barmherzigkeit
und Vergebung zu üben. Wir denken hier auch an den heiligen Josef, den gerechten
Mann, den Gott zum Haupt seines Hauses machen wollte. Das starke, väterliche Vorbild
Josefs hat Jesus die Tugenden einer mannhaften Frömmigkeit, der Treue zum Wort, der
Integrität und der harten Arbeit gelehrt. Der Zimmermann aus Nazareth hat ihm gezeigt,
dass eine in den Dienst der Liebe gestellte Autorität unendlich fruchtbringender ist
als eine Macht, die zu beherrschen sucht. Wie sehr bedarf unsere Welt doch des Vorbilds,
der Führung und der stillen Stärke von Männern wie Josef! Beim Betrachten der
Heiligen Familie von Nazareth wenden wir uns schließlich dem Kind Jesus zu, dessen
Weisheit und Verstand im Heim Marias und Josefs zunahmen, bis zu dem Tag, an dem sein
öffentliches Wirken begann. An dieser Stelle möchte ich den hier versammelten jungen
Menschen gerne einen kleinen Denkanstoß geben. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt
uns, dass die Kinder bei der Heiligung ihrer Eltern eine besondere Rolle spielen (vgl.
Gaudium et spes, 48). Ich bitte euch eindringlich, darüber nachzudenken und
euch vom Vorbild Jesu leiten zu lassen, also euren Eltern nicht nur Respekt zu zollen,
sondern ihnen auch zu helfen, jene Liebe in ihrer ganzen Fülle zu erkennen, die unserem
Leben erst seinen tiefsten Sinn gibt. In der Heiligen Familie von Nazareth war es
Jesus, von dem Maria und Josef von der Größe Gottes, seines himmlischen Vaters, erfahren
haben, jener letzten Quelle aller Liebe, dem Vater, nach dessen Namen jedes Geschlecht
im Himmel und auf der Erde benannt wird (vgl. Eph 3,14-15). Liebe Freunde,
im Tagesgebet der heutigen Messe haben wir den Vater gebeten, „uns zu helfen, wie
die Heilige Familie zu leben, vereint in Respekt und Liebe“. Lasst uns hier erneut
unsere Verpflichtung bekräftigen, in der Welt, in der wir leben, Sauerteig des Respekts
und der Liebe zu sein. Der Berg des Absturzes gemahnt uns, wie schon Generationen
von Pilgern, daran, dass die Botschaft unseres Herrn für jene, die sie hörten, manchmal
eine Quelle des Widerspruchs und Konflikts war. Wie wir alle wissen, hat es in Nazareth
in den letzten Jahren leider Spannungen gegeben, die den Beziehungen zwischen den
hier lebenden christlichen und muslimischen Gemeinden geschadet haben. Ich ersuche
die Menschen guten Willens in beiden Gemeinden dringend, den bereits angerichteten
Schaden wieder gutzumachen und in der Treue im Glauben an den einen Gott, den Vater
der Menschheitsfamilie, Brücken zu bauen und den Weg zu einem friedlichen Zusammenleben
zu finden. Mögen wir alle der zerstörerischen Macht von Hass und Vorurteil, die zuerst
die Seelen der Menschen und dann ihre Körper tötet, eine klare Absage erteilen! Lasst
mich abschließend ein Wort des Dankes und des Lobes an all jene richten, die darum
bemüht sind, den Kindern dieser Stadt die Liebe Gottes zu bringen und neue Generationen
in den Wegen des Friedens zu unterweisen. Besonders danken möchte ich den Ortskirchen,
die sich vor allem in ihren Schulen und karitativen Einrichtungen darum bemühen, Mauern
einzureißen und zu einem Hort der Begegnung, des Dialogs, der Versöhnung und der Solidarität
zu werden. Ich ermutige die engagierten Priester, Ordensleute, Katechisten und Lehrer,
gemeinsam mit den Eltern und allen, denen das Wohl unserer Kinder am Herzen liegt,
im Zeugnis für das Evangelium und die Wahrheit auszuharren und darauf zu vertrauen,
dass Gott jede Initiative gedeihen lassen wird, die der Verbreitung seines Reiches
der Heiligkeit, Solidarität, Gerechtigkeit und des Friedens zuträglich ist. Zugleich
erkenne ich mit Dankbarkeit die Solidarität an, die so viele unserer Brüder und Schwestern
gegenüber den Gläubigen im Heiligen Land üben, indem sie die lobenswerten Programme
und Aktivitäten der „Catholic Near East Welfare Association“ unterstützen. „Mir
geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Möge Unsere Liebe Frau von der
Verkündigung, die ihr Herz mutig dem geheimnisvollen Plan Gottes geöffnet hat und
die Mutter aller Gläubigen wurde, uns durch ihre Gebete leiten und stützen. Möge sie
für uns und unsere Familien die Gnade erwirken, unsere Ohren jenem Wort des Herrn
zu öffnen, das die Kraft hat, aufzubauen (vgl. Apg 20,32); uns zu mutigen Entscheidungen
anzuregen und unsere Schritte auf den Weg des Friedens zu führen! (Offizielle
Übersetzung des Heiligen Stuhles)