Am Freitag, dem letzten
Tag seiner Pilgerreise ins Heilige Land, besucht Papst Benedikt die Grabeskirche in
Jerusalem. Sie steht an den überlieferten Stätten der Kreuzigung und Auferstehung
Jesu und zählt daher zu den bedeutendsten Heiligtümern des Christentums. Ein Ort der
Verheißung und des Friedens, sollte man meinen. Seit Jahrhunderten ist die Grabeskirche
auch Zankapfel der unterschiedlichen christlichen Konfessionen im Heiligen Land, die
um Eigentumsfragen und Nutzungsansprüche streiten. Dennoch - für Pilger aus aller
Welt ist sie ein faszinierender und heiliger Ort. Unser Korrespondent Stefan Kempis
hat der Grabeskirche einen Besuch abgestattet:
Abends um neun Uhr: Ein junger
Moslem steigt auf eine Leiter und schließt die hölzerne Tür der Grabeskirche zu. Einige
Touristen beobachten das Spektakel; von innen aus der Kirche schauen orthodoxe Mönche
und Franziskaner zu. Seit Jahrhunderten schon hat eine islamische Familie den Schlüssel
des heiligsten Orts der Christen – weil die sich nicht einigen können untereinander. Auf
einmal ist es sehr still in der Kirche. Mehr als eine Kirche: ein Irrgarten. Alte,
geschwärzte Mauern, Kerzenlicht, Treppchen hier, Kapelle dort – ein Wald nahezu, mit
unregelmäßigem Fußboden.
Wie ein Riegel schiebt sich gleich am Eingang der
so genannte Salbungsstein in den Weg, wo der Leichnam Jesu für das Grab bereitet worden
sein soll. Rechts führt eine sehr steile Treppe hinauf nach Golgotha. Zur Zeit Jesu
befand sich dieser Ort außerhalb der Stadtmauern; Kaiser Hadrian baute hier einen
Tempel, was dazu führte, dass der Ort der Kreuzigung Jesu ziemlich genau lokalisierbar
und erhalten blieb. Unter einem orthodoxen Altar ist ein Teil des Felsens von Golgotha
zu erkennen – und sogar eine Art Ring, der vor ein paar Jahren hier entdeckt wurde.
Er könnte dazu gedient haben, Kreuze im Boden zu befestigen.
Drei Treppen runter:
Die Helenakapelle. Hier soll die Mutter von Kaiser Konstantin das Kreuz Jesu entdeckt
haben. Die Decke der Kapelle bildet der untere Teil des Felsens von Golgotha. Wieder
zwei Treppen hoch und dann immer rechts an der orthodoxen Mauer entlang: Das Heilige
Grab, immer wieder zerstört, immer wieder restauriert, heute eine Art Kapelle inmitten
der Kirche; im engen Raum beugen sich Pilger über die mutmaßliche Grablege Jesu, eine
lange Marmorplatte. Wer eine Vorstellung davon bekommen will, wie dieser Ort zur Zeit
Jesu aussah, der sollte mit einer Taschenlampe in der Hand in einer Seitenkapelle,
ein paar Schritte weiter, in eine Art Höhle hineinkriechen: Es ist ein völlig erhaltenes,
aber ebenfalls leeres Grab aus der Zeit Christi, mit zwei kleinen Grabkammern, man
nennt es das Grab des Joseph von Arimathäa.
Beim Morgengrauen öffnet die Grabeskirche
wieder: Die Pilger können kommen. Viele von ihnen werden hier wieder Verwirrung spüren
angesichts dieses unübersichtlichen Baus. Vielleicht werden sie auch das fühlen, was
der Engel hier am Grab sagte: Er ist nicht hier. Er ist auferstanden.