Isrealische Medien sehen „Grenzen des Interreligiösen“
Israels große Zeitungen
zeigen auf Seite eins ein Foto des Papstes an der Klagemauer – doch die Berichterstattung
fällt viel spärlicher aus als am Tag zuvor. „Papst beklagt Emigration von Christen“,
titelt die „Jerusalem Post“; Benedikt habe bei seiner Messe in Jerusalem „ungenannte
Autoritäten“ zu mehr Respekt für Christen im Heiligen Land aufgerufen. Der Artikel
zitiert Stellungnahmen von Messbesuchern, die davon sprechen, dass es schwer sei,
in Israel Christ zu sein: „Wir können unsere Familie und Freunde nicht besuchen wegen
der Mauer“ – die Zeitung fügt vor dem Wort Mauer in Klammern das Wort „Sicherheits-„
hinzu. Dass Tausende von Christen wegen der strengen Sicherheitsvorkehrungen nicht
an der Eucharistiefeier teilnehmen konnten, wird von der „Post“ wie von anderen Zeitungen
kaum einmal erwähnt. Ein Leitartikler versucht auf Seite eins des Blattes, die
„Grenzen des Interreligiösen“ aufzuzeigen; er bezieht sich dabei auf die Brandrede
des islamischen Scheichs Tamimi bei einem Treffen mit dem Papst in Jerusalem. Tamimi
repräsentiere „noch nicht einmal die Hamas, sondern den moderaten Teil der religiösen
Palästinenser“, gibt die „Jerusalem Post“ zu bedenken. „Seine christlichen Volksgenossen
– nicht weniger moderat – schwenkten während der Papstmesse PLO-Fahnen… Und falls
Sie die Entschuldigung der Palästinensischen Autonomiebehörde für Tamimis Theater
nicht mitbekommen haben sollten – wir ja auch nicht. Die schmutzige kleine Wahrheit
über den interreligiösen Dialog heißt: Es sind die Nicht-Moslems, die ihn vorantreiben.“
Im Innenteil der Zeitung gibt es Berichte über Einwohner Jerusalems, die von den
Verkehrsproblemen genervt sind, oder darüber, dass Benedikt den Oberrabbinern „versprochen“
habe, „die Kirche werde jedwede Judenmission einstellen“. Dass Oberrabbiner Yona Metzger
sich so lobend über Johannes Paul II. ausgelassen habe, deutet das Blatt als „versteckte
Kritik an Benedikts Ansprache in Yad Vashem“. Diese Kritik, so führt ein weiterer
Artikel aus, habe „den Vatikan überrascht“, der Papst fühle sich „missverstanden“;
Benedikt sei außerdem als Jugendlicher nur „gegen seinen Willen in der Hitlerjugend
gewesen“. „Der Papst hat eine wichtige Gelegenheit zur Versöhnung verpasst“, schreibt
der Direktor des Simon-Wiesenthal-Centers Israel in einer Analyse zur Yad-Vashem-Rede:
Zwar waren „Benedikts Worte des Mitgefühls angemessen und willkommen – doch er verspielte
die Chance, einen Schritt vorwärts zu echter Versöhnung zu machen“. Die Zeitung
„Ha`aretz“, die schon gestern äußerst scharf zur Yad-Vashem-Meditation von
Papst Benedikt geurteilt hat, kennt auch an diesem Dienstag kaum ein anderes Thema.
„Verpasste Gelegenheit“, ist der Leitartikel auf Seite eins überschrieben. Ein Textauszug:
„Ein nichtgesagtes Wort kann manchmal mehr Schaden anrichten als tausend gesagte.
Die mühsame Vorbereitung seiner Reise und die Millionen von Schekeln, die man um der
Gastfreundschaft für den Papst willen ausgegeben hat, haben sich in Nichts aufgelöst,
als hätte es sie nie gegeben, weil in einer Rede ein einziges Wort fehlte: Sorry…
Vielleicht ist es für Katholiken sehr bewegend, den Papst an den Heiligen Stätten
des Christentums zu sehen. Aber für seine israelischen Gastgeber war das Ereignis
von Yad Vashem die Crux… Der Vatikan hätte besser überlegen sollen, an wen sich der
Papst da richtete. Seine wichtigen Statements gegen Antisemitismus und Holocaust-Leugnung
verloren ihre Kraft wegen seiner lauwarmen Ansprache in Yad Vashem. Der Papstbesuch
zeigt, dass es keinen wirklichen Dialog zwischen Israel und dem Vatikan gibt – und
dass es schwierig ist, an jahrhundertealte Wunden zu rühren… Bei seiner Afrikareise
löste Benedikt einen Sturm aus mit dem, was er sagte. In Jerusalem hat er viel Enttäuschung
ausgelöst mit dem, was er nicht sagte.“ „Ha`aretz“ hat gesprochen. Allerdings gibt
das Blatt dann auch im Innenteil Äußerungen des New Yorker Rabbiners Arthur Schneier
wieder, der den Papst verteidigt. Es sei „falsch, sich nur auf eine Rede zu beschränken“
– man müsse die Reise als Ganzes sehen und beurteilen. Als hätte sie diesen Rat
gehört, berichtet die palästinensische Presse sehr positiv über die Visite des „Rom-Papstes“,
wie sie ihn oft nennt. „Palestine Press“ betont, die islamischen Vertreter
auf dem Tempelberg hätten den Papst gedrängt, das Recht des palästinensischen Volkes
auf einen freien, unabhängigen und souveränen Staat zu bekräftigen. Die Zeitung hofft
auch, dass Benedikt sich für die palästinensischen Häftlinge einsetzt und ein Wort
gegen die „israelische Unterdrückung“ sagt. „Al Ayam“ berichtet fast ausschließlich
über den Papstbesuch auf dem Tempelberg; der Artikel betont die guten Beziehungen
zwischen Moslems und Christen und unterstreicht, der Papst setze sich für Dialog,
Frieden und Gerechtigkeit in der Welt ein. Die palästinensischen Redner auf dem Tempelberg
hätten dem Papst gegenüber das islamisch-christliche Zusammenleben als „modellhaft
für die ganze Welt“ gepriesen. Der Autor fährt fort, Jerusalem wirke angesichts der
strengen Sicherheitsvorkehrungen überall derzeit wie unter Belagerungszustand; wer
unter 55 Jahren alt sei, dürfe die Altstadt nicht betreten. „Al Hayat al-dschadida“
berichtet über die Kritik in Israel an der Yad-Vashem-Rede Benedikts und über die
Forderung des Großmufti von Jerusalem, der Papst solle sich für ein Ende der israelischen
Besatzung engagieren. Die bekannte Hauptstadtzeitung „El-Quds“ bringt als
Schlagzeile, der Vatikansprecher – gemeint ist Pater Lombardi – „minimisiere die Mitgliedschaft
des Papstes in der Hitlerjugend“. Aber die Araber seien an der Vergangenheit Benedikts
nicht interessiert und hätten ihm nichts vorzuwerfen; Israel habe offenbar beschlossen,
den Papst anzugreifen, um seine Reise zu stören. Die Zeitung betont, dass Benedikt
in Betlehem Flüchtlinge trifft; die im Lager Aida Wohnenden kämen aus fast 50 arabischen
Dörfern, die Israel 1948 zerstört habe; durch den Papstbesuch nehme jetzt die ganze
Welt „den Skandal der Mauer“ wahr, „ein Zeichen der Apartheid“ in der Region. Übrigens
sei es schon das dritte Mal, dass der Papst Abu Mazen treffe, notiert „El-Quds“.