Begegnungen mit Juden und Muslimen stehen im Mittelpunkt des zweiten Besuchstages
von Papst Benedikt XVI. in Israel. Am Morgen besichtigte das katholische Kirchenoberhaupt
den muslimischen Felsendom in der Jerusalemer Altstadt. Dabei traf er auch mit Großmufti
Mohammed Hussein zusammen. In seiner Ansprache rief das Oberhaupt der katholischen
Kirche dazu auf, die Konflikte der Vergangenheit zu überwinden. Die Religionen sollten
statt dessen einen ehrlichen Dialog führen und so zum Aufbau einer friedlichen und
gerechten Welt beitragen. Für 10 Uhr Ortszeit stand der Besuch des Papstes an der
jüdischen Klagemauer auf dem Programm. Der Papst verharrte allein und schweigend vor
der wichtigsten religiösen Stätte für die Juden. Zuvor hatte er der jüdischen Gebetstradition
folgend einen Zettel mit seinem Wunsch an Gott in eine der Mauerfugen gelegt. Im
Anschluss besuchte Benedikt XVI. die beiden israelischen Oberrabbiner Jona Metzger
und Shlomo Amar und den Abendmahlssaal. Es folgte die Begegnung mit Bischöfen und
Ordensleuten und ein Besuch am Lateinischen Patriarchat von Jerusalem. Es betreut
die rund 70.000 römisch-katholischen Christen im Heiligen Land. Seine Jurisdiktion
erstreckt sich über das Staatsgebiet von Israel, Jordanien, Zypern und die Palästinensischen
Gebiete. Am Nachmittag feierte der Papst am Fuß des Ölbergs seine erste Messe in
Israel unter freiem Himmel und versicherte den bedrängten Christen im Heiligen Land
die Solidarität der ganzen Kirche. „Im Heiligen Land ist Raum für alle!“, sagte Benedikt
XVI. und rief die staatlichen Autoritäten dazu auf, die Anwesenheit der Christen im
Heiligen Land zu achten und zu unterstützen. Am Vorabend hatte der 82-Jährige die
Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem besucht und dort der Millionen Juden gedacht,
die im Holocaust von den Nationalsozialisten ermordet wurden. In Anschluss traf er
mit Vertretern der Religionsgemeinschaften im Land zusammen. (rv) Hier zum Nachhören:
http://62.77.60.84/audio/ra/00161794.RM
Papst
betet in Stille an der Klagemauer 20 Minuten - „ein historischer Moment“: Benedikt
XVI. hat an der Klagemauer in Jerusalem gebetet. Der Papst verharrte allein und schweigend
vor der wichtigsten religiösen Stätte für die Juden. Stefan von Kempis berichtet vom
Besuch Benedikts XVI. an der Klagemauer: Kurz vor zehn Uhr Jerusalemer Zeit: das
Gefolge des Papstes kommt über eine Brücke vom Tempelberg direkt hinunter zur Klagemauer
hinunter. Es ist heiß vor der „Western Wall“; der Platz, wo sonst Juden beten und
singen, ist geräumt und wirkt auf einmal sehr leer, überall sieht man nur Journalisten
und Sicherheitsbeamte. Kardinal Bertone und der New Yorker Rabbiner Schneier unterhalten
sich angeregt; einige aus dem Papst-Gefolge wirken etwas nervös, alle tragen aus Respekt
eine jüdische Kippa auf dem Kopf; zwischen den dicken Steinquadern aus der Zeit des
Herodes ruht sich eine graue Taube aus. Benedikt kommt in einer schwarzen Limousine
vorgefahren; er steigt aus, begrüßt den Direktor und den Rabbiner dieses heiligen
Orts, er lächelt etwas verhalten, geht mit schnellen Schritten. Vor der Klagemauer
sind zwei Stehpulte aufgebaut; der Rabbiner der Klagemauer, Shmuel Rabinovich, trägt
mit lauter Stimme auf Hebräisch einen Psalm vor. Dann ist Benedikt dran; er setzt
sich die Lesebrille auf und fängt an, auf lateinisch zu lesen, seine Stimme ist leise,
anfangs kaum zu verstehen. Der Papst hat sich für einen Psalm entschieden, dessen
Kernsatz heißt: „Erbittet für Jerusalem Frieden“. Als er geendet hat, hört man das
Klicken der Lesebrille, als er sie aufs Pult zurücklegt. Benedikt XVI. geht zur
Klagemauer – es ist fast wie eine Heraufbeschwörung dieses magischen Moments, als
vor neun Jahren der kranke Johannes Paul diesen Weg ging. Der Papst schiebt einen
großen, zusammengefalteten Gebetszettel zwischen die Quader; das gelingt nicht gleich.
Dann verharrt er ein paar Minuten, mit gefalteten Händen, bewegungslos. Kein Kniefall,
keine demonstrative Geste. Über seinem Kopf flattern zwei Schwalben; die Stille wird
nur mal von den Rufen einiger Fotografen oder Sicherheitsbeamten unterbrochen. Der
Papst dreht sich um, geht zurück, die Hände immer noch gefaltet, und begrüßt einige
jüdische Rabbiner. Schneier ist da, ein Freund des Papstes, er spricht Benedikt auf
deutsch an; ein paar Gesprächsfetzen lassen sich verstehen, etwa: „dass wir weiterarbeiten“,
und dann: „Ich bin mit Ihnen“. Die Atmosphäre, bisher etwas konzentriert-gedrückt,
lockert sich auf, Schneier macht sogar einen Witz. „Ich bin der Oberrabbiner von Frankreich“,
sagt einer der Anwesenden zu Benedikt; ein anderer überreicht eine kleine Skulptur
und ein dickes Buch über die Klagemauer, Titel: „Die Steine unseres Erbes berühren“.
Zwanzig Minuten ungefähr, dann ist die Visite Benedikts an der Klagemauer vorüber.
Ein historischer Moment, gewiss – auch wenn jede spektakuläre Geste unterblieben ist.
Nur 24 Stunden später wird Benedikt wieder vor einer Mauer stehen – beim Besuch in
Bethlehem nämlich. Und das wird dann wirklich ein neues Bild sein, das es mit Johannes
Paul noch nicht gegeben hat – denn die Mauer von Bethlehem, eine Klagemauer ganz anderer
Art, steht erst seit ein paar Jahren. (rv) Hier zum Nachhören: http://62.77.60.84/audio/ra/00161711.RM
Gebet
für die ganze Menschheitsfamilie Hier das Gebet, das Papst Benedikt auf einem
zusammengefalteten Zettel in eine der Fugen der Klagemauer steckte: Gott aller
Zeiten, bei meinem Besuch in Jerusalem, der „Stadt des Friedens“, spirituelle
Heimat für Juden, Christen und Moslems gleichermaßen, bringe ich vor Dich die Freuden,
die Hoffnungen und Wünsche, die Bemühungen, das Leiden und den Schmerz all deiner
Völker in der Welt. Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, höre den Schrei der Bedrängten,
der Verängstigten, der Verlassenen, sende deinen Frieden auf dies Heilige Land,
auf den Nahen Osten, auf die ganze Menschheitsfamilie. Rühre die Herzen aller,
die deinen Namen rufen, damit sie demütig auf dem Weg der Gerechtigkeit und des
Mitleids gehen. „Gut ist der Herr zu dem, der auf ihn hofft, zur Seele, die ihn
sucht.“ (Klagelieder 3,25) (rv) Stichwort: Klagemauer: http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=286731 Papstpredigt
am Ölberg: „Im Heiligen Land ist Platz für alle“ An diesem Dienstagnachmittag
hat Benedikt XVI. eine Messe im Josafat-Tal am Fuße des Ölbergs zelebriert. Der Gottesdienst
wurde in hebräischer, arabischer und lateinischer Sprache gefeiert. Seine Predigt
trug der Papst auf Englisch vor. Dabei betonte er die Besonderheit des Ortes. Jesus
Christus selbst habe am Fuß des Ölbergs gebetet und gelitten. Die Christen im Heiligen
Land stünden in der direkten Nachfolge der ersten Jünger, so der Papst: „Wenn
ich heute vor euch stehe, möchte ich den Schwierigkeiten, dem Schmerz und dem Leid
Anerkennung zollen, die so viele von euch infolge der Konflikte ertragen mussten,
die diese Region heimgesucht haben, sowie den bitteren Erfahrungen der Vertreibung,
die so viele eurer Familien gemacht haben und – Gott verhüte es – vielleicht noch
machen müssen. Ich hoffe, meine Anwesenheit hier ist ein Zeichen, dass man euch nicht
vergessen hat, dass eure beharrliche Anwesenheit und euer Zeugnis wirklich wertvoll
sind vor Gott und dass sie für die Zukunft dieser Region wesentlich sind. Aufgrund
eurer tiefen Verwurzelung in diesem Land, eurer altehrwürdigen und starken christlichen
Kultur und eures unerschütterlichen Vertrauens in Gottes Verheißungen seid ihr, die
Christen des Heiligen Landes, dazu berufen, nicht nur ein Lichtstrahl des Glaubens
für die universale Kirche zu sein, sondern auch Sauerteig der Eintracht, der Weisheit
und des Gleichgewichts im Leben einer Gesellschaft, die traditionell stets pluralistisch,
multiethnisch und multireligiös war und dies auch weiterhin ist.“ Die Christen
im Heiligen Land seien also nicht vergessen. Ein Beispiel und ein Hoffnungszeichen
in ihrer schwierigen Lage im Heiligen Land solle ihnen der Gehorsam Jesu Christi im
Garten Getsemani sein, so der Papst. Paulus gebe mit seiner Mahnung, „nach dem
zu streben, was im Himmel ist“, einen weiteren Orientierungspunkt für die Verheißung
und Versöhnung, die Gott für die ganze Menschheitsfamilie im himmlischen Jerusalem
wolle. Diese Stück für Stück auch im irdischen Jerusalem zu verwirklichen, müsse weiter
das gemeinsame Anliegen aller Menschen im Heiligen Land sein, der Papst: „In
der Tat war Jerusalem schon immer eine Stadt, auf deren Straßen der Widerhall verschiedener
Sprachen zu hören ist, auf deren Pflaster Menschen aller Rassen und Sprachen einhergehen,
deren Mauern ein Symbol sind für Gottes Fürsorge um die ganze Menschheitsfamilie.
Als Mikrokosmos unserer globalisierten Welt muss diese Stadt, wenn sie ihrer universalen
Berufung gerecht werden will, ein Ort sein, der Universalität, Achtung der anderen,
Dialog und gegenseitiges Verständnis lehrt. Sie muss ein Ort sein, an dem Voreingenommenheit
und Unwissen sowie die Furcht, die sie nährt, durch Ehrlichkeit, Integrität und Streben
nach Frieden überwunden werden. Innerhalb dieser Mauern darf es keinen Platz geben
für Gewalt, Engstirnigkeit, Unterdrückung und Rache. Alle, die an einen gnädigen Gott
glauben – seien sie Juden, Christen oder Muslime – müssen als erste diese Kultur der
Versöhnung und des Friedens fördern, wie mühevoll und langsam der Prozess auch immer
sein mag und wie schwer die Last der Erinnerung auch immer wiegt.“ Ein besonderes
Augenmerk legte der Papst auf diejenigen Christen, die unter der gegenwärtigen Lage
zu leiden hätten. Die Jugend des Landes nahm das Kirchenoberhaupt dabei besonders
in den Blick: „An dieser Stelle möchte ich direkt eine tragische Realität ansprechen,
die alle, die diese Stadt und dieses Land lieben, mit großer Besorgnis erfüllen muss:
die Abwanderung so vieler Angehöriger der christlichen Gemeinde in den letzten Jahren.
Während verständliche Gründe viele und besonders junge Menschen dazu veranlassen auszuwandern,
so bringt diese Entscheidung für die Stadt eine große kulturelle und geistliche Verarmung
mit sich. Heute möchte ich das wiederholen, was ich bereits bei anderen Gelegenheiten
gesagt habe: Im Heiligen Land ist Raum für alle! Ich bitte die staatlichen Autoritäten
eindringlich, die Anwesenheit der Christen an diesem Ort zu achten und zu unterstützen,
und ich möchte euch auch die Solidarität, die Liebe und die Unterstützung der ganzen
Kirche zusichern.“
Bleiben, Ausharren, Zeugnis ablegen, das waren die Hauptanliegen
der Papstpredigt am Fuße des Ölbergs. Zeugnis ablegen für den christlichen Glauben,
der „die Herzen aufschließt und uns zur Ganzhingabe an den Herrn in Glaube, Hoffnung
und Liebe bewegt“, so die Worte Benedikts XVI. (rv)
„Ein unvergessliches
Erlebnis“ Eine bunte und festliche Messe war es, die tausende Gläubige gemeinsam
mit Papst Benedikt am Fuß des Ölbergs vor den Stadtmauern von Jerusalem feiert hat.
Mit dabei war auch unser Korrespondent Stefan von Kempis. Hier seine Eindrücke: Es
war ein malerisches Bild: Oben die Mauern von Jerusalem, geschmückt mit den Fahnen
des Vatikans und des Lateinischen Patriarchats, unten Christen vieler verschiedenen
Länder und Kulturen – dann Bischöfe, die alle anders aussahen, der eine mit Mitra,
der andere mit einer Art Krone, und Papst Benedikt mit goldenem Messgewand. Die Messtexte
waren in vielen verschiedenen Sprachen, darunter übrigens auch eine Fürbitte auf hebräisch.
Es wirkte ein bisschen wie Pfingsten, als alle die Frohe Botschaft in ihrer Muttersprache
hörten; allerdings schwebte oben über allem ein israelischer Beobachtungs-Zeppelin,
wie er auch bei Unruhen über dem Tempelberg auftaucht. Ein Wermutstropfen war, dass
nur die Hälfte der Erwarteten kommen konnte, nur etwa 3000 Menschen; viele kamen wegen
der strengen Sicherheitsvorkehrungen nicht durch – nicht einmal die Ordensfrauen aus
der Päpstlichen Nuntiatur. Die Messe wirkte bunt und festlich; schon nach den ersten
Worten der Papst-Predigt kam kräftiger Beifall auf, und Applaus gab es auch, als Benedikt
rief: „Ihr seid nicht vergessen!“, oder als er sagte: „Im Heiligen Land ist Platz
für jeden.“ Diese Messfeier wird nicht mit einem Schlag die Probleme des Heiligen
Landes oder der Christen hier lösen. Aber für jeden, der dabeisein konnte, wird sie
sicher unvergesslich bleiben. Jerusalem: Papstansprache am Felsendom Benedikt
XVI. hat an diesem Dienstag den muslimischen Felsendom in der Jerusalemer Altstadt
besucht. Dabei traf er mit Großmufti Mohammed Hussein zusammen. In seiner Ansprache
rief das Oberhaupt der katholischen Kirche dazu auf, die Konflikte der Vergangenheit
zu überwinden. Die Religionen sollten statt dessen einen ehrlichen Dialog führen und
so zum Aufbau einer friedlichen und gerechten Welt beitragen. Mufti Mohammed Hussein
appellierte seinerseits an Benedikt, sich aktiv für „ein Ende der Aggression“ Israels
gegen die Palästinenser einzusetzen. (rv) Die Ansprache im Englischen Original:http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=286723 Stichwort:
Felsendom http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=286730
Papst
im Abendmahlsaal: Reichtum christlicher Kirchen Papst Benedikt im Abendmahlsaal:
Mit seinem kurzen Aufenthalt zum Regina Coeli Gebet bei den Franziskanern hat Benedikt
einen der zentralen Schauplätze der christlichen Heilsgeschichte besucht. Der kleine,
fast intime gotische Raum aus dem 14. Jahrhundert erinnert an das letzte Abendmahl,
das Jesus hier mit den Jüngern einnahm; hier wusch er ihnen die Füße, hier setzte
er das Sakrament der Eucharistie ein. Intim auch die Gesellschaft, die Benedikt hier
empfing: die Ordinarien – Bischöfe, Vikare, Kustode – des Heiligen Landes und die
Franziskaner der Kustodie des Heiligen Landes, ein Grüppchen älterer und jüngerer
Brüder in ihrem charakteristischen braunen Ordensgewand. Die christliche Tradition
hat diesen Raum gleichgesetzt mit dem Ort, an dem die Jünger mit den Frauen und Maria
betend warteten und den Heiligen Geist empfingen. Daher sangen die Franziskaner nach
dem Einzug des Papstes das „Veni creator Spiritus“, sozusagen den Hymnus von Pfingsten
an diesem Ort des ersten Pfingstfestes der Heilsgeschichte. Der Papst erinnerte
an die Entstehung der christlichen Urgemeinde an diesem Ort sowie an den Reichtum
der verschiedenen christlichen Kirchen und beschwor ein „neues ökumenisches Bewusstsein“,
das unsere Zeit seit dem II. Vatikanischen Konzil kennzeichnet. Die „innere Disposition
zur Einheit unter der Leitung des Heiligen Geistes“ sei entscheidend, damit die Christen
ihre Sendung erfüllen könnten. Der Abendmahlsaal gehört heute dem Staat Israel,
eine Zeitlang erwog Tel Aviv freilich, diesen symbolträchtigen Ort der Kirche zu schenken.
Franziskanerkustos Pierbattista Pizzaballa bezeichnete den Abendmahlsaal vor dem Papst
als „den wenigsten glorreichen und vielleicht ungepflegtesten Ort“ der Heiligen Stätten
Jerusalems. In der „Armut“ dieses Ortes spiegelten sich aber die Widersprüche des
Heiligen Landes und einer „Geschichte, die nie zum Abschluss kommt“. Benedikt XVI.
schien sich dennoch wohl zu fühlen in diesem kargen, strengen Saal. Beim Auszug nach
dem Regina Coeli ließen es sich die jüngeren Franziskanerbrüder nicht nehmen, den
Papst mit Benedetto-Rufen zu feiern. (rv) Hier zum Nachhören: http://62.77.60.84/audio/ra/00161743.RM Wir
dokumentieren hier die Papstrede im Abendmahlsaal im Wortlaut in einer Arbeitsübersetzung:
http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=286809
Oberrabbinat:
„Beispiel des Vetrauens und Dialogs“ Der Weg der Versöhnung zwischen katholischer
Kirche und Judentum ist nach den Worten von Papst Benedikt XVI. unumkehrbar. Bei einem
Treffen mit beiden israelischen Oberrabbinern, Jona Metzger und Shlomo Amar, an diesem
Dienstag in Jerusalem bekräftigte der Papst die ungebrochene Gültigkeit des Zweiten
Vatikanischen Konzils (1962-65). Die Kirche sei unwiderruflich der authentischen und
dauerhaften Versöhnung zwischen Christen und Juden verpflichtet. Vor dem Oberrabbinat
waren zuvor Luftballons in den tief blauen Himmel über Jerusalem gestiegen. Es war
ein Kontrastprogramm für das Kirchenoberhaupt, stand er doch keine halbe Stunde zuvor
noch im Schatten der Klagemauer und am Vortag im bedrückenden Dunkel der Gedenkstätte
Yad Vashem. Nach einem Rundgang durch das Zentrum „Hechal Shlomo“ in unmittelbarer
Nähe zur Großen Synagoge und einem persönlichen Gespräch hinter verschlossenen Türen
folgt der Festakt: Ansprachen der beiden Oberrabbiner auf Hebräisch, Papst Benedikt
hat einen Simultanübersetzer zur Seite. Dann brüderliche Worte des Papstes auf
Englisch: „Ich versichere euch meines Wunsches, das gegenseitige Verständnis
und die Zusammenarbeit zwischen dem Heiligen Stuhl, dem Oberrabbinat von Israel und
dem jüdischen Volk weltweit zu vertiefen. … Ich vertraue darauf, dass unsere Freundschaft
sich auch weiterhin als ein Beispiel des Vertrauens und des Dialogs für die Juden
und die Christen auf der ganzen Welt präsentiert.“ Benedikt XVI. würdigte die
schon erreichten Fortschritte im interreligiösen Dialog. Das gelte besonders für laufende
Arbeiten der gemeinsamen Kommission des Heiligen Stuhls und des Oberrabbinats. Juden
und Christen seien gleichermaßen daran interessiert, den Schutz des Lebens und der
Familie, gute Bildung sowie Religions- und Gewissensfreiheit für eine „gesunde Gesellschaft“
zu garantieren. „Diese Themen des Dialogs stellen nur eine Anfangsphase dessen
dar, was, so hoffen wir, ein solider, beständiger Weg hin zu einem besseren gegenseitigen
Verständnis sein wird. Wenn wir die dringendsten ethischen Fragen unserer Tage angehen,
finden sich unsere beiden Gemeinschaften vor der Herausforderung, die Menschen guten
Willens auf der Ebene der Vernunft miteinzubeziehen und ihnen gleichzeitig die religiösen
Fundamente zu zeigen, welche die unveränderlichen moralischen Werte am besten stützen.“ Christen
und Juden müssten gemeinsam daran arbeiten, die Wertschätzung der Gesellschaft „für
die spezifischen Beiträge unserer religiösen und ethischen Traditionen zu steigern“. Gerade
in Israel schätze die kleine Gruppe der Christen die Möglichkeiten des Dialogs mit
„ihren jüdischen Nachbarn“. Der Papst wörtlich: „Wie die Konzilserklärung ,Nostra
Aetate’ klarstellt, würdigt die Kirche weiterhin das gemeinsame spirituelle Erbe von
Christen und Juden und wünscht ein immer tieferes gegenseitiges Verständnis und gegenseitigen
Respekt durch biblische und theologische Studien ebenso wie durch den brüderlichen
Dialog.“ Im Blick auf die bereits erzielten Ergebnisse könnten Christen und
Juden vertrauensvoll auf eine immer überzeugtere Zusammenarbeit zusteuern – „gemeinsam
mit allen Menschen guten Willens, im Zurückweisen von Hass und Verfolgung auf der
ganzen Welt“. (rv) Hier zum Nachhören: http://62.77.60.84/audio/ra/00161792.RM Wir
dokumentieren die Ansprache an die Rabbiner in einer Arbeitsübersetzung: http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=286755 Patriarchat:
„Frieden für Jerusalem erbitten“ Nach dem Mittagsgebet und der Begegnung mit
den Bischöfen im Abendmahlssaal auf dem Zionsberg hat Benedikt XVI. das nahe gelegene
Lateinische Patriarchat von Jerusalem besucht. Bei Ordensleuten aus dem Heiligen Land,
rund 300 hatten sich in der Konkathedrale Jerusalems versammelt, herrschte Begeisterung. Das
Kirchenoberhaupt erinnerte an die „Frohe Botschaft“, die Petrus „in dieser Stadt“
erstmals verkündet habe. „Von Jerusalem ging das Evangelium, in die ganze Welt
hinaus ... bis zu den Enden der Erde’ (Ps 19,4), doch die Missionsarbeit der Kirche
wurde stets von den Gebeten der Gläubigen getragen, die um den Altar des Herrn versammelt
waren und die mächtige Kraft des Heiligen Geistes auf den Dienst der Verkündigung
herabriefen.“ Er freue sich, so Benedikt XVI., selbst an den Ort zu kommen,
an dem sich seit den ersten Tagen der Kirche gläubige Christen versammelten; doch
auch in Jubelrufen mahnte er zum Einsatz für den Frieden im Heiligen Land: „Mit
den Worten des Psalmisten bitte ich euch auch, Frieden für Jerusalem zu erbitten (vgl.
Ps 122,6) und ohne Unterlass für ein Ende des Konflikts zu beten, der so viel Leid
über die Menschen dieses Landes gebracht hat.“ (rv) Hier zum Nachhören:
http://62.77.60.84/audio/ra/00161793.RM Papstworte in
der lateinischen Konkathedrale in Jerusalem Vor dem Gottesdienst besuchte Benedikt
XVI. die Konkathedrale – de facto: die Patriarchatskirche der Lateiner von Jerusalem.
Rund 300 Gläubige und Geistliche hatten ihn dort am Dienstagvormittag jubelnd in Empfang
genommen. Nach seinem Gebet vor dem Allerheiligsten und den Grußworten des lateinischen
Patriarchen von Jerusalem, Fouad Twal, richtete Benedikt XVI. seinerseits einige Grußworte
an die Gläubigen. Wir dokumentieren hier die Grußworte des Papstes in deutscher
Übersetzung: http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=286791
Papstbesuche
in „drei verschiedenen Welten“ Auch der zweite Tag des Papstes in Jerusalem
war gespickt mit Programmpunkten. Dabei stand der Dienstagvormittag ebenfalls ganz
im Zeichen des interreligiösen Dialogs. Unser Kollege, Stefan Kempis, hat die einzelnen
Etappen Benedikts vor Ort mitverfolgt. Ihn haben wir gefragt, wie denn der zweite
Tag des Papstaufenthaltes in Jerusalem bisher gelaufen ist? „Der Vormittag wirkte
wie Papstbesuche in drei verschiedenen Welten: Erst ein Termin auf dem islamischen
Tempelberg, Benedikt umgeben von muslimischen Würdenträgern, die ihm die goldene Kuppel
des Felsendoms erklären. Danach der Papst mit gefalteten Händen an der Klagemauer
und, von Juden mit Kippa umgeben, im Großrabbinat. Und drittens ein etwas steifer
Termin mit lauter Franziskanern im Abendmahlssaal, wieder mit Papstrede und mit einem
gesungenen „Regina Coeli“, und zu guter Letzt dann ein Abstecher in die so genannte
„Lateinische Konkathedrale“. Drei Welten, die räumlich ganz nahe beieinander liegen,
aber schon visuell und erst recht religiös völlig verschieden voneinander sind. Das
merkt man auch an den Sprachen: Arabisch auf dem Tempelberg, Hebräisch 15 Meter tiefer
an der Klagemauer, englisch und italienisch dann ein paar Kilometer weiter im Abendmahlssaal.“
Beim Abendmahlssaal liegen ja auch alle drei großen Religionen dieser Stadt
auf engstem Raum zusammen… „Ja, und darum wäre es für Israel wohl auch schwierig,
den Katholiken den Abendmahlssaal zurückzugeben; man hört sogar von einigen Franziskanern
der Kustodie der Heiligen Stätten, dass sie den Saal eigentlich gar nicht wollen,
weil sie sich damit nur ständigen Ärger einhandeln würden. Denn dieser Saal, der im
ersten Stock liegt, ist richtiggehend eingezwängt zwischen einem jüdischen Heiligtum
(dem angeblichen Grab Davids) im Erdgeschoß und einer Moschee auf dem Dach. Für Benedikt
XVI. war das sicher ein anstrengender Vormittag, das hat man ihm auch ein bisschen
angesehen. Gewundert hat mich, dass er im Abendmahlssaal nicht mal einen Moment innegehalten,
still gebetet oder sich etwas umgesehen hat. Dafür ist es dann in der „Konkathedrale“
zu einem gelösten Moment gekommen, mit „Viva il Papa“- Rufen und einem Mini-Bad in
der Menge.“ Am Montag Abend war Benedikt ja zum interreligiösen Treffen im
Zentrum Notre Dame, wo auch die Radio-Vatikan-Journalisten untergebracht sind – habt
ihr davon etwas mitbekommen? „Vom Treffen selbst leider nicht, und zwar aus
einem ganz einfachen Grund: Die Polizisten haben uns nicht durchgelassen, auch wenn
wir hundertmal erklärt haben, dass wir hier wohnen. Wir konnten erst hin, als der
Papst schon wieder abgefahren war: Da standen dann allerdings im Eingang viele Teilnehmer
des interreligiösen Treffens und unterhielten sich: Kardinal Bertone sprach mit Rabbi
Schneier aus New York, Kardinal Kasper mit dem evangelischen Propst von Jerusalem,
der es schade fand, dass der Papst nicht auch zu einem kurzen Gebet in die evangelische
Kirche der Heiligen Stadt kommen kann.“ Wurde auch über die Brandrede von
Scheich Tamimi gesprochen? „Ja, die war natürlich Thema Nummer eins; der Ärger
und die Betretenheit waren allgemein. ‚Das kann doch nicht sein, dass immer derselbe
Mann diese Treffen platzen lässt‛, meinte jemand, ‚warum hat man den denn überhaupt
wieder eingeladen‛. Jemand von den Hausherren, den ‚Legionären Christi‛, sagte aber,
man solle sich nicht zu sehr darüber aufregen: Die Lage in der Stadt sei nun mal sehr
aufgeheizt, das sei hier einfach einmal mehr deutlich geworden. Kardinal Kasper meinte
gesprächsweise über die Papstrede in Yad Vashem, das sei eine „sehr schöne Meditation“
gewesen. Vielleicht hätten sich die Israelis beziehungsweise die Juden „etwas anderes
erwartet“, aber der Papst sei ja schon am Flughafen sehr klar auf das Thema Holocaust
eingegangen. Also, den Papst bekommen wir Radio-Vatikan-Journalisten auf dieser Reise
mal wieder nicht zu Gesicht – das ist ja oft so –, aber die Leute aus seiner engeren
Umgebung doch. Die sind ja auch im „Notre-Dame“-Zentrum untergebracht. Palästinensische
Geistliche stoßen abends mit Biergläsern in der Hand in der Bar auf den Papst an,
und an der Rezeption steht der vatikanische Zeremonienmeister Monsignore Marini und
kauft sich einen Bon, um ins Internet zu kommen…“ (rv) Hier zum Nachhören:
http://62.77.60.84/audio/ra/00161828.RM Papstrede beim
interreligiösen Treffen in Jerusalem Am Montagabend ist Benedikt XVI. im „Notre
Dame of Jerusalem Centre“ mit den Repräsentanten verschiedener Organisationen für
den interreligiösen Dialog zusammengetroffen. In seiner Ansprache vor rund 500 Gästen
aus verschiedenen Religionsgemeinschaften, darunter hohe jüdische, muslimische, drusische,
samaritanische und christliche Geistliche, betonte Benedikt XVI. die wichtige Bedeutung
der Religionen in der zeitgenössischen Kultur. Der Papst hielt seine Ansprache
in englischer Sprache. (rv) Wir dokumentieren die Rede hier im vollen Wortlaut:
http://www.oecumene.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=286785
EINDRÜCKE,
INTERVIEWS UND NACHRICHTEN:Yad Vashem: Gemischtes Echo in Israel Die
Ansprache des Papstes in Yad Vashem stößt auf gemischtes Echo. Der Direktor der Gedenkstätte,
Avner Shalev, sprach unmittelbar nach dem Besuch des Kirchenoberhaupts von einem „wichtigen
und positiven Besuch“ sowie „einem Schritt vorwärts“. Die Ansprache habe gezeigt,
dass sich der Papst intensiv mit dem Judentum beschäftigt habe und sich dafür interessiere.
Allerdings hätte er sich noch einmal eine Verurteilung des Holocaust wie am Vormittag
am Flughafen erwartet, so Shalev. Zudem hätte der Papst „etwas persönlicher“ auftreten
und die Täter benennen können. Insgesamt sei seine Meinung zu der Rede etwas gespalten. Ähnlich
äußerte sich Rabbi Meir Lau. Im israelischen Fernsehen sprach er von einem positiven
Aspekt, dass der Papst die Leugnung des Holocaust deutlich verurteilt habe. Der Rabbiner
bedauerte jedoch, dass Benedikt XVI. nicht sein tiefes Mitgefühl, sondern das der
katholischen Kirche ausgesprochen habe. „Ich habe ein ,Es tut mir Leid, ich entschuldige
mich’ vermisst“, so der Rabbiner. Er sprach vom Gefühl einer verpassten Gelegenheit.
Insgesamt sei es aber ein guter Tag gewesen. Besonders lobte Lau die Rede des Papstes
bei dessen Ankunft. Das katholische Oberhaupt hatte sich am ersten Tag seines Besuches
in Israel mit klaren Worten gegen das Leugnen oder Verharmlosen des Holocausts gewandt.
„Mögen die Namen dieser Opfer niemals ausgelöscht werden! Mögen ihre Leiden niemals
geleugnet, verharmlost oder vergessen werden!“ sagte Benedikt. Bereits am Flughafen
in Tel Aviv verurteilte er jede Form von Antisemitismus, der „immer noch in vielen
Teilen der Welt sein hässliches Haupt erhebt“. (kna/ansa/rv) Israel:
Botschafter würdigt Papstansprachen Der Botschafter Israels beim Hl. Stuhl,
Mordechai Lewy, hat den Papst an diesem Dienstag gegen die Angriffe zu seiner Rede
in Yad Vashem verteidigt. Der Papst sei kein Politiker und nicht dazu, da alle Erwartungen
zu erfüllen, sagte der Diplomat vor Journalisten. Die Ansprache müsse eher religiös
als politisch gelesen werden und stehe in engem Zusammenhang mit der Begrüßungsansprache
des Papstes am Flughafen in Tel Aviv. Benedikt XVI. habe sehr klar die sechs Millionen
Opfer genannt und den Antisemitismus verurteilt, erklärte Lewy. Sein Besuch habe sehr
wohl auch politische Bedeutung und sei ein „Ereignis von historischer Dimension“.
Damit beginne eine Tradition von Papstbesuchen im Rhythmus von zehn Jahren. (asca/ansa) Deutschland:
Lob und Tadel in deutschen Medien Die deutschen Zeitungen kommentieren den
Besuch von Papst Benedikt XVI. in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem sehr unterschiedlich.
Einhellig betonen sie an diesem Dienstag, dass das aus Deutschland stammende Kirchenoberhaupt
einen schwierigen Balance-Akt habe vollbringen müssen. „Die Welt“ bemerkt,
der Papst habe sich auffallend oft auf die gemeinsamen alttestamentarischen Wurzeln
von Juden und Christen bezogen, um das Einende zu betonen. „Seine Ansprache war vom
verständlichen Bemühen geprägt, nur nichts falsch zu machen“, notiert die Zeitung. Die
„Frankfurter Rundschau“ bilanziert, bislang sei das Kirchenoberhaupt in Jordanien
und Israel bescheiden und vorsichtig aufgetreten. Benedikt XVI. habe noch nichts Falsches
gesagt. Doch das sei „kein Grund, ihn zu loben, denn der Preis für Zurückhaltung ist
Oberflächlichkeit“. Die Shoah zu verurteilen, sei keine intellektuelle Leistung, sondern
moralische Selbstverständlichkeit. Die Warnung vor der ,hässlichen Fratze’ des Antisemitismus
sei „wohlfeil, wenn das Kirchenoberhaupt mit dem Finger auf die Welt zeigt, ohne dazu
zu sagen, dass er es war, der einen Holocaustleugner in den Schoß der katholischen
Kirche zurückgeholt hat“. Auch die „Süddeutsche Zeitung“ zieht eine gemischte
Bilanz über den Auftakt des Israel-Besuchs. Einerseits lobt sie klare Aussagen des
Papstes zu Holocaust und Antisemitismus und spricht von teils bewegenden Worten, die
Benedikt XVI. für die Opfer des Holocaust gefunden habe. Über die Täter allerdings
und die Rolle der Kirchen im Dritten Reich habe er nicht gesprochen. Die „Rheinische
Post“ betont, die Ansprache des Papstes sei ein „eindringliches Nein zur Schande
des Antisemitismus, ein Ja zu menschlichem und religiösem Miteinander“ gewesen. „Vergessen
wir die Mäkeleien seiner stets sprungbereiten Gegner, die ihm Unglaubwürdigkeit vorhielten,
weil er dem verbohrten Schein-Bischof Williamson die Versöhnungshand ausstreckt“,
heißt es in dem Kommentar. (kna) Lombardi weist Kritik an Yad-Vashem-Rede
zurück Vatikansprecher Pater Federico Lombardi hat die Kritik an der Rede des
Papstes in Yad Vashem zurückgewiesen. Bereits vor dem Besuch habe Benedikt XVI. die
Shoah und Antisemitismus mehrmals verurteilt. Seine besondere Situation als Deutscher
sei in Auschwitz Thema gewesen. Nicht in jeder Ansprache könnten alle im Bezug auf
die Shoah relevanten Themen wiederholt werden, so der Vatikansprecher vor Journalisten.
Am Holocaust-Denkmal selbst habe Benedikt XVI. den Fokus auf das Gedenken an die Opfer
gelegt. Der Papst müsse sich nicht als ehemaliger Wehrmachtssoldat für den Judenmord
entschuldigen. Dass er gegen Kriegsende zusammen mit anderen Seminaristen als Flakhelfer
eingezogen worden sei, beruhe nicht auf einer freien Entscheidung.
Die Adressaten
müssten bereit sein, „mit offenem Herzen zu hören“, sagte Lombardi im Gespräch mit
unserem Korrespondenten Stefan von Kempis. Er hat ihn zunächst nach seinem Eindruck
des Papstbesuchs an der Klagemauer gefragt. Lombardi: „Das war ein tiefer Moment
des Gebets für den Frieden. Der Psalm, den der Papst gewählt hat, ist ein Psalm der
Pilgerschaft nach Jerusalem im Frieden – und der Wunsch für Jerusalem ist Frieden!
Auch das Gebet auf dem Zettel, den der Papst in die Klagemauer gesteckt hat, ist ein
Gebet für den Frieden- für Jerusalem als ,Stadt des Friedens für alle Völker’. Diese
Reise ist ganz klar eine Pilgerschaft für den Frieden – das haben wir auch an der
Klagemauer erfahren.“ Es gab allerdings Unfrieden nach der Ansprache des Papstes
in Yad Vashem – unter anderem beim Zentralrat der Juden in Deutschland. Was meinen
Sie dazu? „Ich war ganz zufrieden mit der Ansprache des Papstes in Yad Vashem!
Ich glaube, das Problem ist gar nicht so sehr die Rede des Papstes, sondern die Bereitschaft
der Hörer, zu verstehen, was der Papst sagt. Wenn du schon im Kopf hast, was der andere
sagen muss, dann bist du praktisch nie zufrieden mit seiner Rede! Aber wenn du bereit
bist, das mit offenem Herzen zu hören, was der andere dir sagt, dann bist du immer
zufrieden. Ich glaube, das ist eigentlich das Problem…“ (rv) Hier zum Nachhören:
http://62.77.60.84/audio/ra/00161741.RM
Verhaltene
Reaktionen in israelischer Presse Israels Zeitungen berichten ausführlich über
den ersten Tag des Papstbesuchs in ihrem Land; Fotos auf den Titelseiten zeigen Benedikt
XVI. im Holocaust-Memorial von Yad Vashem. Doch die Reaktionen auf die Papstrede dort
sind verhalten bis rundheraus negativ: Die „Ha’aretz“ titelt „Überlebende verärgert
über Benedikts lauwarme Ansprache“. Der Artikel erwähnt, dass der deutsche Papst in
Hitler-Jugend und Wehrmacht war, das aber in Yad Vashem nicht einmal erwähnt habe.
Auch von den Holocaust-Überlebenden, die dem Papst nach seiner Rede kurz die Hand
gaben, hätten einige „gemischte Gefühle“ geäußert. Die „Ha’aretz“ bringt
auf ihrer ersten Seite zwei Kommentare, die an Schärfe kaum zu überbieten sind. Der
erste trägt die Überschrift „Gleichgültigkeit und Banalität einer Rede“ und führt
aus, man hätte vom Papst „einen intelligenteren Text erwarten dürfen“. Vielleicht
werde man „in 500 Jahren“ bei einer vatikanischen Archivöffnung verstehen, wie es
zu einer „so gezwungen wirkenden Ansprache“ kommen konnte. Dabei sei doch eigentlich
„nichts einfacher, als echten Horror auszudrücken, wenn man vom Holocaust spricht“.
„Wenn das nicht getan wird, dann, weil da jemand entschieden hat, das nicht zu tun.
Keine Kirchenglocke wäre gesprungen, wenn der Papst etwas über christlichen Antisemitismus
gesagt hätte… Was er über den Holocaust sagte, klang zu kalkuliert, zu diplomatisch
und professionell – er empfahl Mitgefühl, als wäre das eine Art Aspirin.“ Ein weiterer
Kommentar auf Seite eins ist etwas milder: „Er hat zu seinen eigenen Leuten gesprochen“,
heißt der Titel. Die Autorin meint, die Worte des Papstes hätten „noch vor zehn Jahren
als mutige Schritte angesehen werden können“. „Aber heute, nach diesem Vorgänger,
wirkt das wie too little, too late – zu wenig, zu spät.“ Erst auf Seite zwei geht
die Zeitung auf andere Aspekte der Papstreise ein. Der Artikel zum interreligiösen
Treffen ist unaufgeregt; der Titel heißt „Papst verlässt Konferenz, als Moslem Israel
des Mordes bezichtigt“. Wie andere israelische und übrigens auch palästinensische
Medien interpretiert „Ha’aretz“ den Abbruch des interreligiösen Treffens nach Tamimis
Rede als Protest Benedikts gegen die Rede des Scheichs. Eine Karikatur auf Seite vier
zeigt Verteidigungsminister Barak als Papst verkleidet, der entschlossen ein Weihrauchfass
schwenkt; im Hintergrund stehen einige israelische Politiker in der Uniform der Schweizergarde. Im
Vergleich zur „Ha’aretz“ wirkt die „Jerusalem Post“ viel gemäßigter: Ihr Titel
heißt „Papst vermeidet knapp eine Entschuldigung in Yad Vashem“. Der Untertitel gibt
Worte des Tel Aviver Oberrabbiners Meir Lau wieder: „Etwas hat gefehlt – wenn schon
keine Entschuldigung, dann wenigstens ein Ausdruck des Bedauerns.“ Im Artikel heißt
es, die Papstrede sei zwar „mit Bibelzitaten gewürzt, bezog sich aber nie auf die
Nazis und auf alle Streitfragen, die mit dem Holocaust zusammenhängen“. Ein kleinerer
Aufsatz auf Seite eins titelt dann: „Palästinensischer Geistlicher verdirbt päpstlichen
interreligiösen Abend“, und sehr ausführlich und positiv, mit zahlreichen Fotos, berichtet
das Blatt dann auf der zweiten Seite von der Ankunftsrede Benedikts und seinem Treffen
mit Präsident Shimon Peres. Ausführlich wird dann auch an anderer Stelle das Versprechen
des Papstes wiedergegeben, er werde sich für die Freilassung des entführten israelischen
Soldaten Gilad Shalit einsetzen. Ein kleiner Kommentar erwähnt, dass das Papstflugzeug
beim Abflug aus Jordanien mit der Flagge des Vatikans und Israels verziert war: „Das
entsprach zwar dem Protokoll, war aber dennoch ein bemerkenswerter Anblick. Ein islamisches
Flugzeug fliegt den katholischen Pontifex in den jüdischen Staat.“ Die „Post“ bringt
ansonsten einen langen Aufsatz über einen britischen Holocaust-Forscher, der sich
sehr kritisch zum derzeitigen Stand der katholisch-jüdischen Beziehungen äußert: „So
wie die Juden versuchen, einen Zaun um die Tora zu ziehen, zieht der Papst anscheinend
einen Zaun um die Kirche.“ Der Forscher beklagt, dass man mit Richard Williamson „einen
Antisemiten in die Kirche wiederaufgenommen hat. Bei einem Priester, der eine Homo-Ehe
schließt, hätte man das nie gemacht.“ Das Massenblatt „Jedijot Achronot“
spricht von einer „Verpassten Chance des Papstes“. Benedikt habe nicht von „Ermordeten“,
sondern nur von „Getöteten“ gesprochen. Im israelischen Radio und Fernsehen kommen
Überlebende des Holocaust und Experten zu Wort, die sich verwundert oder enttäuscht
über den Papst-Auftritt in Yad Vashem zeigen. Die palästinensischen Zeitungen
berichten hingegen eher positiv über den ersten Tag Benedikts in Israel und Palästina.
Dabei konzentrieren sie sich vor allem auf den „Eklat“ beim interreligiösen Treffen
im Notre-Dame-Zentrum. „Der Vatikan verurteilt die Blitz-Rede von Scheich Tamimi“,
heißt die Schlagzeile der arabischsprachigen „El-Quds“; der Moslemvertreter
habe zum Dschihad aufgerufen und Jerusalem als „ewige Hauptstadt Palästinas“ bezeichnet,
und zwar in „politischer, nationaler und spiritueller“ Hinsicht, schreibt das Blatt.
„Israelischer Ärger über die Worte Tamimis“ – das ist der Titel eines weiteren Aufsatzes;
er gibt an, dass das Großrabbinat den Dialog mit dem Islam für eine Weile boykottieren
werde. Auch das israelische Tourismusministerium habe in einer Stellungnahme die Brandrede
des Scheichs als inakzeptabel bezeichnet; Tamimi habe dem Einsatz für Frieden einen
Bärendienst erwiesen, indem er Angst und Hass zwischen Israelis und Palästinensern
sowie zwischen Angehörigen der verschiedenen Religionen geschürt habe. Das Blatt hofft,
dass sich der Papst am Dienstag bei seinem Besuch in Betlehem zum „Anwalt für Gerechtigkeit
und Freiheit“ machen wird, und unterstreicht wie auch andere palästinensische Medien
den Ruf Benedikts nach freiem Zutritt aller Gläubigen zu ihren Heiligen Stätten. „El-Quds“
berichtet aber auch über den Auftritt Benediks XVI. in Yad Vashem; der Artikel gibt
die Kritik und Enttäuschung wieder, die Tel Avivs Oberrabbiner Meir Lau zur Rede des
Papstes geäußert hat. „Al-Ayam“ legt hingegen den Akzent darauf, dass Benedikt
Antisemitismus verurteilt und Angehörige aller Religionen zum Dialog aufgerufen habe;
das Blatt zitiert Teile aus der Rede Benedikts am Flughafen, um dann den Kommentar
eines ultrarechten jüdischen Knesset-Abgeordneten wiederzugeben. Dieser ruft zum Boykott
der Visite auf, weil der Papst den Seligsprechungsprozess von Pius XII. vorantreibe.
Mehrere Schas-Politiker seien tatsächlich nicht zur Begegnung mit dem Papst im Präsidentenpalast
gegangen. „Al-Hayat al-dschadida“ titelt: „Papst fordert gerechte Lösung
für Schaffung eines Staates Palästina“. Der Artikel berichtet ausführlich über die
Schließung eines palästinensischen Pressezentrums, das aus israelischer Sicht illegal
eröffnet worden war. Wenn man israelische und palästinensische Zeitungen nebeneinander
hält, wirkt das manchmal wie Berichte aus zwei verschiedenen Welten. Oder von zwei
verschiedenen Papstreisen. (rv) Hier zum Nachhören: http://62.77.60.84/audio/ra/00161733.RM
Rabbiner:
Holocaust-Leugner sollen sich Beispiel am Papst nehmen Von einem historischen
und beispielhaften Papstbesuch spricht der New Yorker Rabbiner Arthur Schneier. Unser
Korrespondent Stefan von Kempis ihn am Ende des ersten Tages Benedikts XVI. in Jerusalem
getroffen. „Es war ein historischer Besuch für Israel. Die Menschen, die die
Legitimation des Holocaust und des Staates Israel leugnen, sollen sich ein Beispiel
am Papst nehmen.“ Schneier der den deutschen Papst 2008 in New York in seiner
Synagoge empfangen hatte, pflegt enge Kontakte zu Benedikt. Der Besuch in der Gedenkstätte
Yad Vashem habe ihn sehr gerührt, bekennt der Rabbiner, selbst Holocaust-Überlebender. „Leider
habe ich meine Familie in Auschwitz verloren, ich alleine habe die Shoah in Budapest
überlebt. Ich danke dem Ewigen, dass wir beide, Benedikt und ich, am Leben geblieben
sind, dass wir zusammenarbeiten können, dass wir eine heilige Arbeit für den Frieden
leisten können.“ Schneiders Reaktion zum nicht geplanten Auftritt Scheichs
Tamini und dem Verbal-Angriff auf Israel seitens des Chefs des obersten Scharia-Gerichtes
von Palästina: „Das war eine Frechheit. Ich habe mit ihm gesprochen und ihm
das auch gesagt. Religiöse Führer müssen Disziplin haben, wir können zum Frieden beitragen
und in Konflikten das Problem sein. Leider, leider sind die, die nicht an ein friedliches
Zusammenleben glauben, mit unserem Weg von ,Leben und Leben lassen’ nicht zufrieden.“
(rv) Im Audiofile hören Sie das ganze Interview: http://62.77.60.84/audio/ra/00161703.RM Deutschland:
Bischöfe zufrieden, Juden enttäuscht Der Zentralrat der Juden in Deutschland
hat die Rede von Papst Benedikt XVI. in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem kritisiert.
Dagegen zeigte sich die Deutsche Bischofskonferenz sehr zufrieden mit den Worten des
Kirchenoberhaupts. Zollitsch „sehr dankbar“ „Die Kirche in Deutschland
ist dem Papst für seine klaren Worte - auch gegen jede Form des Antisemitismus - sehr
dankbar“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert
Zollitsch, der „Bild“-Zeitung (Dienstag). Der Papst habe deutlich gemacht, dass jede
Generation die Verpflichtung habe, an das Geschehene zu erinnern und alles dafür zu
tun, dass sich der Holocaust nie wiederhole“, so Zollitsch. Münchens Erzbischof Reinhard
Marx sagte „Bild“, Benedikts Besuch in Israel unterstreiche, „wie wichtig für die
Kirche ein besonderes Verhältnis zum jüdischen Volk ist.“ Kirche auf Seite
der Opfer Mit seinem Besuch in Yad Vashem habe Benedikt XVI. den kontinuierlichen
und unaufgebbaren Dialog der katholischen Kirche mit dem Judentum fortgesetzt. Das
erklärte an diesem Dienstag der Vorsitzende der Unterkommission der Deutschen Bischofskonferenz
für die Beziehungen zum Judentum, Bischof Heinrich Mussinghoff. Vor allem sei dem
Papst um „die Erinnerung in Stille“ gegangen, „weil es für ihn Orte gibt, an denen
nur schwerlich ins Wort gefasst werden kann, was man empfindet“. Für das Grauen des
Holocaust gebe es keine Worte, wohl aber die Verneigung vor den Opfern, so Mussinghoff
weiter. „Deshalb hat Benedikt XVI. den Millionen ermordeten Juden die Ehre erwiesen
und die Verpflichtung der Kirche besiegelt, immer an der Seite der Opfer zu stehen.“
Benedikt XVI. habe mit seiner Rede in Yad Vashem bewiesen, „dass er nahtlos an die
Worte anknüpft, die schon sein Vorgänger, Papst Johannes Paul II. an diesem Ort gefunden
hat“, betonte der Bischof. Zentralrat enttäuscht Der Zentralrat
der Juden hat sich dagegen enttäuscht über den ersten Besuchstag von Benedikt XVI.
in Israel geäußert. Dies liege vor allem daran, dass der Papst keine klare Distanzierung
zu den Pius-Brüdern und ihrem Holocaust-Leugner Williamson habe erkennen lassen, sagte
die Zentralratsvorsitzende, Charlotte Knobloch, im ARD-Fernsehen. In den Tagesthemen
sprach sie von einem „Graben“ zwischen Vatikan und Juden. Mit seinem Aufruf zum Kampf
gegen Antisemitismus habe Benedikt zwar „ein positives Signal in Richtung Judentum
ausgesandt“. Die Geste erscheine jedoch halbherzig. „Dass der Papst die Holocaust-Leugnung
verurteilt, daran zweifelt niemand“, sagte der Generalsekretär des Zentralrats der
Juden, Stephan Kramer, dem Nachrichtensender N 24. Gerade in Yad Vashem hätte man
sich aber eine klare Distanzierung von der Piusbruderschaft und der Juden-Missionierung
gewünscht. (pm/kna/tagesschau.de) Jerusalem: Reaktionen der Evangelischen
Kirche Über die Rede des Kirchenoberhaupts vor Verantwortlichen für den interreligiösen
Dialog am Montagabend „wird man nachdenken müssen“. Das sagte der Propst der Evangelischen
Kirche des Heiligen Landes, Uwe Gräbe, im Gespräch mit unserem Korrespondenten Stefan
von Kempis in Jerusalem. Benedikt XVI. hatte im Päpstlichen Institut „Notre Dame
of Jerusalem Centre“ die Gemeinsamkeiten der Religionen betont. Die Unterschiede der
Kulturen seien keine Hindernisse, sondern eine Herausforderung. Propst Gräbe kommentierte
direkt im Anschluss: „Der Papst hat eine sehr hoch philosophische Rede gehalten,
eine sehr anspruchsvolle Rede. Ich denke, man wird sie erst nachlesen müssen, um genau
zu verstehen, was er hat sagen wollen. Da wird man darüber nachdenken müssen.“ Der
Papst habe an seinem ersten Tag in Israel „sehr verschiedene Botschaften“ gegeben. „Beim
Staatspräsidenten war es sehr klug, wie er darauf aufmerksam gemacht hat, dass Sicherheit
nur aus Vertrauen wachsen kann und nicht aus Verteidigung. Das war sehr klug an die
israelische Seite gerichtet, zugleich mit der Aussage, dass gegen den Antisemitismus
stärker vorzugehen ist. Diese Abgrenzung gegen jede Form von Antisemitismus war sehr
klug.“ Zum Zwischenfall um Scheich Tayssir Attamimi, der in einem ursprünglich
nicht vorgesehenen Redebeitrag mit scharfen Worten Israel angegriffen hatte, bemerkte
der evangelische Theologe konsterniert: „Das kennen wir von ihm. Den Herrn wird
man fesseln und knebeln müssen, damit er solch ein Treffen nicht sprengt. Sonst wird
er das immer tun.“ Attamimi, der Chef des obersten Scharia-Gerichtes von Palästina,
hatte bereits an gleicher Stelle im Jahr 2000 für einen Eklat gesorgt, als er beim
Papstreffen eine polemische Rede gegen Israel hielt und dann unmittelbar die Konferenz
verließ. (rv) Im Audiofile hören Sie das ganze Interview: http://62.77.60.84/audio/ra/00161702.RM Stichwort:
Christen und Juden Spannungen und Hass zwischen christlichen Gemeinden und
Juden lassen sich schon in der Frühphase des Christentums nachweisen, als sich die
Anhänger des Juden Jesus aus ihrer ursprünglichen Religionsgemeinschaft lösten und
zu einer eigenen Glaubensgemeinschaft wurden. Christen wurden in dieser Phase von
Juden verfolgt. Umgekehrt polemisierten christliche Kirchenväter gegen die Juden.
So wurden diese unter Berufung auf das Neue Testament für den Kreuzestod Jesu verantwortlich
gemacht und als „Gottesmörder“ beschuldigt. Judenfeindliche Haltung von Christen
brach vor allem in gesellschaftlichen Krisensituationen wie den Kreuzzügen oder dem
Ausbruch der Pest im 14. Jahrhundert aus. Sie wurde genährt durch antijüdische Legenden
über angebliche Hostienfrevel, Ritualmorde oder die Vergiftung von Brunnen. Auch wirtschaftliche
Ursachen wie die, den Juden, aber nicht den Christen im Mittelalter erlaubte Geld-
und Pfandleihe mündeten in Gewalttaten, Vertreibungen und Zwangsbekehrungen. Vielerorts
mussten in den Städten die Juden in abgesonderten Judengassen oder Gettos leben. Im
Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde dieser christlich motivierte Antijudaismus von
einem Antisemitismus überlagert, der sich vor allem aus der Rassenideologie und nationalistischen
Quellen speiste. Er führte unter anderem in Russland und Polen zu schweren Pogromen.
Seine furchtbarste Ausprägung erhielt der Antisemitismus in der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft, die die völlige Ausrottung des Judentums plante und mehr als sechs
Millionen Juden umbrachte. In der Folge des Holocaust kam es in den christlichen
Großkirchen zu einem Umdenkungsprozess. Die katholische Kirche räumte ein, dass kirchlicher
Antijudaismus und Antisemitismus zum millionenfachen Mord an Juden beigetragen und
eine verbreitete Gleichgültigkeit vieler Christen gegenüber der Shoah begünstigt hätten.
Einen vielbeachteten Wendepunkt für die katholische Kirche brachte das Zweite Vatikanische
Konzil (1962-1965), das die Juden als „unsere von Gott geliebten Brüder und Schwestern“
bezeichnete. In einem 1998 veröffentlichten Vatikan-Dokument zum Holocaust äußerte
die Kirche zwar Bedauern über das „Versagen ihrer Söhne und Töchter aller Generationen“
gegenüber den Juden. Eine Mitschuld der Kirche als Institution wurde aber abgelehnt. Im
Jahr 2000 sprach mit Johannes Paul II. erstmals in der Geschichte der Kirche ein Papst
ein umfassendes „Mea culpa“ für die Fehler und Sünden von Christen in den zurückliegenden
2.000 Jahren aus. In jüngster Zeit kam es wiederholt zu Spannungen zwischen der
Kirche und dem Judentum. Ein Konfliktpunkt ist die erneuerte Karfreitagsfürbitte und
die damit verbundene Frage der Judenmission. Vertreter beider Seiten betonten jedoch,
das inzwischen starke Fundament der gegenseitigen Beziehungen sei durch die jüngsten
Querelen nicht dauerhaft zu erschüttern. (kna/rv)