Benedikt XVI. hat an diesem Dienstag den muslimischen Felsendom in der Jerusalemer
Altstadt besucht. Dabei traf er mit Großmufti Mohammed Hussein zusammen. In seiner
Ansprache rief das Oberhaupt der katholischen Kirche dazu auf, die Konflikte der Vergangenheit
zu überwinden. Die Religionen sollten statt dessen einen ehrlichen Dialog führen und
so zum Aufbau einer friedlichen und gerechten Welt beitragen. Mufti Mohammed Hussein
appellierte seinerseits an Benedikt, sich aktiv für „ein Ende der Aggression“ Israels
gegen die Palästinenser einzusetzen. Wir dokumentieren hier die Ansprache des
Papstes :
Liebe muslimische Freunde!
As-salámu ‘aláikum! Der Friede
komme über euch!
Herzlich danke ich dem Großmufti, Muhammad Ahmad Hussein,
gemeinsam mit dem Direktor der Jerusalemer islamischen Waqf-Stiftung, Scheich Mohammed
Azzam al-Khatib al-Tamini, und dem Leiter des Awqaf-Rats, Scheich Abdel Azim Salhab,
für den freundlichen Empfang, den sie mir in Ihrem Namen bereitet haben. Ich bin sehr
dankbar für die Einladung, diesen heiligen Ort zu besuchen, und bekunde Ihnen und
den Verantwortlichen der islamischen Gemeinschaft in Jerusalem meine Hochachtung.
Der
Felsendom regt unser Herz und unseren Verstand zum Nachdenken über das Geheimnis der
Schöpfung und über den Glauben Abrahams an. Hier treffen sich die Pfade der drei großen
monotheistischen Religionen, und wir werden an all das erinnert, was sie gemeinsam
haben. Jede von ihnen glaubt an einen Gott, den Schöpfer und Lenker des Alls. Jede
sieht in Abraham einen ihrer Vorfahren, einen Mann des Glaubens, den Gott mit einem
besonderen Segen beschenkt hat. Jede hat im Lauf der Jahrhunderte eine große Zahl
von Gläubigen versammelt und wurde zur Inspiration für ein reiches geistliches, intellektuelles
und kulturelles Erbe.
In einer Welt, die leider durch Trennungen zerrissen
ist, stellt dieser heilige Ort einen Ansporn dar und fordert die Menschen guten Willens
heraus, sich für die Überwindung von Mißverständnissen und Konflikten vergangener
Tage einzusetzen und den Weg eines aufrichtigen Dialogs einzuschlagen, der auf den
Aufbau einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens für die nachfolgenden Generationen
abzielt.
Die Lehren der Religionsgemeinschaften behandeln letztlich die Wirklichkeit
Gottes, den Sinn des Lebens und das gemeinsame Ziel der Menschheit, also all das,
was uns am heiligsten und am kostbarsten ist. Daher kann die Versuchung aufkommen,
in einen solchen Dialog mit Widerwillen und mit Unsicherheit über seine Erfolgsaussichten
einzutreten. Wir können jedoch zum Ausgangspunkt den Glauben nehmen, daß der eine
Gott die unendliche Quelle der Gerechtigkeit und des Erbarmens ist, da in ihm diese
beiden in vollkommener Einheit existieren. Die seinen Namen bekennen, haben den Auftrag,
unermüdlich nach Rechtschaffenheit zu streben und zugleich seine Vergebungsbereitschaft
nachzuahmen, denn beides ist wesentlich auf das friedliche und harmonische Zusammenleben
der Menschheitsfamilie ausgerichtet.
Aus diesem Grund ist es so wichtig, daß
jene, die den einen Gott anbeten, sichtbar machen, daß sie sowohl auf dem Boden der
Einheit der ganzen Menschheitsfamilie stehen als auch auf sie ausgerichtet sind. Man
könnte mit anderen Worten sagen, daß die Treue zu dem einen Gott, dem Schöpfer, dem
Allerhöchsten, dazu führt anzuerkennen, daß alle Menschen grundlegend miteinander
verbunden sind, da alle ihr Dasein einer einzigen Quelle verdanken und auf ein gemeinsames
Ziel hingeordnet sind. Ihnen allen ist das unauslöschliche Abbild des Göttlichen eingeprägt
und sie sind dazu berufen, aktiv an der Heilung der Trennungen mitzuarbeiten und die
Solidarität unter den Menschen zu fördern.
Dies erlegt uns eine große Verantwortung
auf. Die den einen Gott verehren, glauben, daß er von den Menschen Rechenschaft für
ihr Tun einfordern wird. Die Christen halten fest, daß die Gaben der Vernunft und
der Freiheit dieser Rechenschaftspflicht zugrunde liegen. Die Vernunft öffnet den
Geist für die Erkenntnis des gemeinsamen Wesens und des gemeinsamen Ziels der Menschheitsfamilie,
während die Freiheit das Herz anspornt, den anderen anzunehmen und ihm in Liebe zu
dienen. So werden die ungeteilte Liebe zu dem einen Gott und die Liebe zum Nächsten
zum Angelpunkt, um den sich alles andere dreht. Aus diesem Grund arbeiten wir unermüdlich
daran, die Herzen der Menschen vor Haß, Groll und Rachegelüsten zu bewahren.
Liebe
Freunde, ich bin auf einer Reise des Glaubens nach Jerusalem gekommen. Ich danke Gott
für diese Gelegenheit, Ihnen als Bischof von Rom und als Nachfolger des Apostels Petrus
zu begegnen, aber auch als ein Sohn Abrahams, „durch den alle Völker der Erde Segen
erlangen“ (Gen 12,3; vgl. Röm 4,16-17). Ich versichere Ihnen, daß die Kirche den innigen
Wunsch hat, zum Wohl der Menschheitsfamilie beizutragen. Sie glaubt fest, daß die
Erfüllung des Versprechens, das Gott Abraham gegeben hat, ihrem Ziel nach universal
ist und alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem gesellschaftlichen
Status umfaßt. Ich bete, daß Moslems und Christen bei der Weiterführung des bereits
begonnen respektvollen Dialogs darüber nachdenken, wie das Einsein Gottes untrennbar
mit der Einheit der Menschheitsfamilie verbunden ist. Mögen alle Angehörigen dieser
Religionen, wenn sie sich Gottes liebevollem Plan für die Schöpfung fügen, wenn sie
das Gesetz erforschen, das dem Kosmos eingeschrieben und dem Herz des Menschen eingeprägt
ist, und wenn sie über das geheimnisvolle Geschenk der Selbstoffenbarung Gottes nachdenken,
ihren Blick fest auf sein absolutes Gutsein richten und nie aus den Augen verlieren,
wie diese Güte sich in den Gesichtern der Mitmenschen wiederspiegelt.
Mit diesen
Gedanken bitte ich den Allmächtigen demütig, daß er Ihnen Frieden schenke und alle
Glieder des geliebten Volkes dieser Region segne. Bemühen wir uns, in einem Geist
der Harmonie und der Zusammenarbeit zu leben und durch unseren großzügigen Dienst
am Nächsten für den einen Gott Zeugnis abzulegen. Vielen Dank!