Papst Benedikts Ansprache vor Moslems, Diplomaten und Rektoren
Königliche Hoheit! Exzellenzen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Es ist für
mich Grund zu großer Freude, heute morgen mich mit Ihnen in dieser herrlichen Umgebung
zu treffen. Ich danke Prinz Ghazi Bin Muhammed Bin Talal für seine freundlichen Worte
der Begrüßung. Die zahlreichen Initiativen Eurer Königlichen Hoheit zur Förderung
des interreligiösen und interkulturellen Dialogs und Austauschs werden von den Menschen
im Haschemitischen Königreich geschätzt und sind bei der internationalen Gemeinschaft
weithin angesehen. Ich weiß, daß diese Bemühungen die aktive Unterstützung sowohl
anderer Mitglieder der königlichen Familie als auch der Regierung des Landes erfährt
und großen Widerhall in den vielen Initiativen der Zusammenarbeit unter den Jordaniern
findet. Für all das möchte ich meine aufrichtige Bewunderung zum Ausdruck bringen. Stätten
des Kultes, wie diese prachtvolle, nach dem verehrten letzten König benannte Al-Hussein-Bin-Talal-Moschee,
erheben sich wie Juwele über den ganzen Erdkreis. Die alten wie die modernen Stätten,
die herrlichen wie die einfachen, sie alle verweisen auf das Göttliche, auf den Einen
Transzendenten, auf den Allmächtigen. Und Jahrhunderte hindurch haben diese Heiligtümer
Menschen zu ihren heiligen Orten angezogen, damit sie dort verweilen, beten, sich
der Gegenwart des Allmächtigen bewußt werden und erkennen, daß wir alle seine Geschöpfe
sind. Aus diesem Grund können wir nicht anders, als besorgt zu sein, daß heutzutage
einige mit zunehmender Intensität behaupten, daß die Religion mit ihrem Anspruch scheitert,
von ihrem Wesen her Brückenbauer und Stifter von Harmonie, ein Ausdruck der Gemeinschaft
unter den Menschen und mit Gott zu sein. In der Tat beteuern manche, daß die Religion
zwangsläufig eine Ursache von Spaltungen in unserer Welt ist; und so vertreten sie
die Ansicht, daß es um so besser ist, je weniger Beachtung der Religion in der Öffentlichkeit
geschenkt wird. Gewiß, der Widerspruch von Spannungen und Spaltungen zwischen Anhängern
verschiedener religiöser Traditionen kann leider nicht bestritten werden. Ist es nicht
dennoch auch der Fall, daß oft die ideologische Manipulierung der Religion, manchmal
zu politischen Zwecken, den wahren Katalysator für Spannung und Spaltung und gelegentlich
sogar für Gewalt in der Gesellschaft darstellt? Angesichts dieser Situation, in der
die Gegner der Religion nicht nur danach trachten, ihre Stimme zum Schweigen zu bringen,
sondern sie durch ihre eigene zu ersetzen, verspürt man um so brennender den Bedarf
an Gläubigen, die ihren Prinzipien und Überzeugungen genau entsprechen. Gerade wegen
der Bürde ihrer gemeinsamen Geschichte, die so oft von Mißverständnis gekennzeichnet
war, müssen Muslime und Christen bestrebt sein, als Gläubige erkannt und anerkannt
zu werden, die treu beten, die bemüht sind, die Gebote des Allmächtigen zu halten
und ihnen gemäß zu leben, die barmherzig und mitfühlend sind, die konsequent alles
Wahre und Gute bezeugen, die stets den gemeinsamen Ursprung und die Würde aller Menschen
bedenken, die der Höhepunkt des göttlichen Schöpfungsplans für die Welt und die Geschichte
bleiben. Die Entschlossenheit der Erzieher wie der religiösen und weltlichen
Führer Jordaniens zu gewährleisten, daß das öffentliche Gesicht der Religion ihr wahres
Wesen widerspiegelt, ist lobenswert. Das Beispiel von einzelnen und Gemeinschaften,
zusammen mit der Bereitstellung von Kursen und Programmen, zeigt den konstruktiven
Beitrag der Religion zu den Bereichen Erziehung, Kultur, Soziales und anderen wohltätigen
Sektoren Ihrer Gesellschaft. Manches von dieser Einstellung konnte ich aus erster
Hand erfahren. Gestern lernte ich die berühmte Erziehungs- und Rehabilitationsarbeit
des Regina-Pacis-Zentrums kennen, wo Christen und Muslime das Leben ganzer Familien
verwandeln, indem sie ihnen helfen zu gewährleisten, daß deren Kinder mit Behinderung
ihren berechtigten Platz in der Gesellschaft erhalten. Heute morgen segnete ich den
Grundstein der Madaba-Universität, wo junge muslimische und christliche Erwachsene
Seite an Seite vom dritten Bildungsweg profitieren werden, der sie dazu befähigt,
in geeigneter Weise zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung ihres Landes beizutragen.
Großes Verdienst kommt auch den zahlreichen Initiativen des interreligiösen Dialogs
zu, die von der königlichen Familie und der diplomatischen Gemeinschaft unterstützt
werden und zeitweise in Verbindung mit dem Päpstlichen Rat für den Interreligiösen
Dialog durchgeführt wurden. Dazu gehören auch die laufende Arbeit des Königlichen
Instituts für Interreligiöse Studien und Islamisches Denken, die Amman Message
von 2004, die Amman Interfaith Message von 2005 und der jüngste Brief Common
Word, der ein Thema widerspiegelt, das im Einklang mit meiner ersten Enzyklika
steht: die unlösliche Verschränkung von Gottes- und Nächstenliebe und der fundamentale
Widerspruch der Gewaltanwendung oder des Ausschlusses im Namen Gottes (vgl. Deus
caritas est, 16). Solche Initiativen führen klar zu einer tieferen gegenseitigen
Kenntnis und fördern eine zunehmende Achtung sowohl vor dem, was wir gemeinsam haben,
als auch vor dem, was wir unterschiedlich sehen. Sie sollten daher Christen und Muslime
dazu veranlassen, die wesentliche Beziehung zwischen Gott und seiner Welt noch gründlicher
zu erforschen, so daß wir miteinander bestrebt sein mögen sicherzustellen, daß die
Gesellschaft mit der göttlichen Ordnung in Harmonie mitschwingt. Diesbezüglich gibt
die hier in Jordanien erreichte Zusammenarbeit der Region wie der Welt überhaupt ein
ermutigendes und überzeugendes Beispiel für den positiven, konstruktiven Beitrag,
den die Religion für die Gesellschaft leisten kann und muß. Verehrte Freunde,
ich möchte mich heute auf eine Aufgabe beziehen, die ich bei verschiedener Gelegenheit
angesprochen habe und die, wie ich fest glaube, Christen und Muslime wahrnehmen können,
besonders durch unsere jeweiligen Beiträge für Lehre und Wissenschaft und für den
Dienst an der Allgemeinheit. Diese Aufgabe ist die Herausforderung, im Rahmen von
Glaube und Wahrheit das enorme Potential menschlicher Vernunft zum Guten heranzubilden.
Tatsächlich beschreiben die Christen Gott unter anderem als schöpferische Vernunft,
die die Welt ordnet und leitet. Und Gott hat uns mit der Fähigkeit ausgestattet, an
seiner Vernunft teilzuhaben und so gemäß dem Guten zu handeln. Die Muslime verehren
Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Und
als an den einen Gott Glaubende wissen wir, daß die menschliche Vernunft selbst Gabe
Gottes ist und daß sie zu ihrem höchsten Niveau aufsteigt, wenn sie in das Licht der
göttlichen Wahrheit getaucht ist. Denn wenn die menschliche Vernunft demütig zuläßt,
daß sie selber vom Glauben geläutert wird, dann ist sie fern davon, geschwächt zu
werden; vielmehr wird sie gestärkt, um der Überheblichkeit zu widerstehen und über
ihre eigenen Grenzen hinauszugreifen. Auf diese Weise wird die menschliche Vernunft
ermutigt, ihrem erhabenen Zweck zu folgen, der Menschheit zu dienen, wobei sie unser
gemeinsames innerstes Streben zum Ausdruck bringt und den öffentlichen Diskurs lieber
ausweitet, als ihn zu manipulieren oder einzuschränken. Daher – weit davon entfernt,
den Geist einzuengen – erweitert ein ernsthaftes Festhalten an der Religion den Horizont
menschlichen Verstandes. Sie schützt die Gesellschaft von den Auswüchsen eines ungezügelten
Ego, das danach strebt, das Endliche zu verabsolutieren und das Unendliche in den
Schatten zu stellen; sie stellt sicher, daß Freiheit Hand in Hand mit der Wahrheit
ausgeübt wird, und sie schmückt die Kultur mit Einblicken bezüglich allem, was wahr,
gut und schön ist. Dieses Verständnis von Vernunft, das unaufhörlich den menschlichen
Geist auf der Suche nach dem Absoluten über sich selbst hinaus zieht, stellt eine
Herausforderung dar; es umfaßt ein Gefühl der Hoffung als auch der Vorsicht. Christen
und Muslime werden gemeinsam dazu angespornt, alles zu suchen, was recht und richtig
ist. Wir sind verpflichtet, über unsere eigenen Interessen hinauszugehen und andere,
insbesondere staatliche Beamte und Führungskräfte, zu ermutigen, das gleiche zu tun,
um die große Genugtuung zu erfahren, die der Dienst zum Wohl der Allgemeinheit selbst
unter persönlichen Opfern bereitet. Und wir werden daran erinnert, daß unsere gemeinsame
menschliche Würde es ist, welche die allgemeinen Menschenrechte begründet, die für
jeden Mann und jede Frau in gleicher Weise gelten, unabhängig von religiöser, sozialer
oder ethnischer Zugehörigkeit. In dieser Hinsicht müssen wir feststellen, daß das
Recht auf Religionsfreiheit sich über die Frage des Kultes hinaus erstreckt und das
Recht – besonders der Minderheiten – auf fairen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu anderen
Bereichen des gesellschaftlichen Lebens einschließt. Bevor ich Sie heute morgen
verlasse, möchte ich in besonderer Weise festhalten, daß der Patriarch von Bagdad,
Seine Seligkeit Eminenz Emmanuel III Delly, in unserer Mitte zugegen ist, den ich
sehr herzlich grüße. Seine Anwesenheit erinnert an die Menschen im benachbarten Irak,
von denen viele hier in Jordanien Zuflucht und Aufnahme gefunden haben. Die Bemühungen
der Internationalen Gemeinschaft, zusammen mit denen der örtlichen Führer, den Frieden
und die Versöhnung zu fördern, müssen fortgesetzt werden, damit sie im Leben der Iraker
Frucht bringen. Ich möchte all denen meine Wertschätzung bekunden, die bei den Anstrengungen
mitarbeiten, das Vertrauen zu vertiefen sowie die Einrichtungen und die Infrastruktur,
die für das Wohl dieser Gesellschaft wesentlich sind, wieder aufzubauen. Und noch
einmal dränge ich die Diplomaten und die Internationale Gemeinschaft, die sie repräsentieren,
zusammen mit den örtlichen politischen und religiösen Führern alles Mögliche zu unternehmen,
um der alten christlichen Gemeinschaft dieses herrlichen Landes ihr grundlegendes
Recht auf ein friedvolles Zusammenleben mit ihren Mitbürgern zu garantieren. Verehrte
Freunde, ich vertraue darauf, daß die Gedanken, die ich heute zum Ausdruck gebracht
habe, uns mit neuer Hoffnung für die Zukunft zurücklassen. Unsere Liebe und Ehrerbietung
gegenüber dem Allmächtigen drücken wir nicht nur im Gottesdienst aus, sondern auch
in unserer Liebe und Sorge für die Kinder und jungen Menschen – für Ihre Familien
– und für alle Jordanier. Für sie arbeiten Sie, und sie motivieren Sie, das Wohl eines
jeden Menschen in die Mitte der Einrichtungen, Gesetze und Arbeit der Gesellschaft
zu stellen. Möge die Vernunft, die von der Größe der göttlichen Wahrheit geadelt wird
und in Demut vor ihr steht, fortfahren, das Leben und die Institutionen dieser Nation
zu formen. So mögen die Familien blühen und alle in Frieden leben und dabei zur Kultur
beitragen und von ihr Nutzen ziehen, die dieses ehrwürdige Königreich eint!(Offizielle
Übersetzung des Heiligen Stuhles) (rv 09.05.2009 bp)