2009-04-28 10:04:20

Abruzzen: Papst besucht Erdbebenregion


RealAudioMP3 Papst Benedikt XVI. hat an diesem Dienstag das Erdbebengebiet in den mittelitalienischen Abruzzen besucht. Er versicherte den Opfern die Anteilnahme und Solidarität der Kirche und appellierte an Institutionen und Unternehmen, zum Wiederaufbau der Region beizutragen. Die verheerenden Erdstöße vom 6. April hatten insgesamt 296 Menschenleben gefordert. Rund 1.500 Menschen wurden verletzt und mehr als 55.000 Personen obdachlos. Wegen starken Regens und Wind legte er die rund 90 Kilometer von Rom aus mit dem Auto und nicht wie geplant mit dem Hubschrauber zurück.
 
Onna
Um 10 Uhr 30, eine Stunde später als geplant, traf das Kirchenoberhaupt in der Zeltstadt von Onna ein. Das zu 90 Prozent zerstörte Dorf ist zum Symbol für die getroffene Gegend geworden, 40 der rund 280 Einwohner starben. Behutsam, abtastend machte Benedikt die ersten Schritte in Richtung der wartenden Menschen. Beherzt ergriff er schließlich die Hände einiger Helfer und Mitarbeiter des Zivilschutzes und ließ sich dann vom Pfarrer Onnas zu den Einwohnern und durch die Zeltstadt führen. Nicht kraftvoll, sondern voll Mitgefühl trat Benedikt XVI. in der Menge vor das Mikrofon:
„Ich habe die Nachrichten mit Sorge verfolgt. Ich teile eure Bestürzung und eure Tränen um die Toten, ebenso wie eure bange Frage, wie viel ihr in einem Augenblick verloren habt. Jetzt bin ich hier bei euch. Ich möchte euch voll Zuneigung umarmen, einen nach dem anderen. Die ganze Kirche steht mit mir hier, ist euren Leiden nahe, teilt mit euch den Schmerz um den Verlust von Angehörigen und Freunden und will euch helfen, Häuser, Kirchen und Betriebe wieder aufzubauen…. Ich habe den Mut, die Würde und den Glauben bewundert, mit dem ihr diese harte Prüfung auf euch genommen habt. Es war nicht das erste Erdbeben in eurer Region, und wie in der Vergangenheit habt ihr nicht aufgegeben, habt den Mut nicht verloren…. Mein Besuch bei euch soll ein greifbares Zeichen sein, dass der gekreuzigte Herr auferstanden ist und euch nicht verlässt; er lässt eure Fragen nach der Zukunft nicht unerhört, er ist nicht taub gegenüber dem besorgten Schrei vieler Familien, die alles verloren haben.“
Keine Tribüne, kein Teppich trennte den Papst von den Menschen. Das weiße Papstgewand stach aus dunklen Regenjacken und gelben Sicherheitswesten hervor, Privatsekretär Georg Gänswein versuchte den Papst vor dem Regen zu schützen, doch der scheute weder das Wetter noch den direkten Kontakt mit Menschen in der Zeltstadt. Er segnete Kinder, umschloss wortlos die Hände trauernder junger Frauen und gehbehinderter Greise. Beim Gebet für die Toten und dem abschließenden Segen für die Überlebenden stahl sich die Sonne durch die Wolken. „Danke für euren Mut, euren Glauben und eure Hoffnung“, sagt Benedikt da und geht weiter - ohne Rücksicht auf Sicherheitspersonal und vorher minutiös festgelegten Zeitplan - von Kindern zu Großeltern, von Frauen zu Männern.
Bewegende Bilder, bewegte Menschen: „Das ist wunderschön. Der Besuch ist einfach schön, ist eine innere Kraft und sagt ,L’Aquila, geh weiter, schau nach vorn’. Er hat Mut gemacht, das Leben geht weiter. – Was sollen wir tun? Wir sind in den Händen des Herrn. Wir hoffen natürlich, dass die Behörden uns helfen und dass auch der Papst dazu drängt, dass uns geholfen wird. – Der Papst hat magnetische Anziehungskraft. Wo er auch hinkommt, verbreitet er Enthusiasmus und vor allem Hoffnung. – Diese Nähe ist es, die berührt, diese unendliche Menschlichkeit und die Tatsache, dass er den großen Schmerz mit uns teilt.“

Basilika von Collemaggio
Am Rand der Regionshauptstadt L’Aquila besuchte das Kirchenoberhaupt die romanische Basilika Santa Maria di Collemaggio. Die berühmte Kirche aus dem 13. Jahrhundert wurde vom Erdbeben schwer beschädigt, große Teile des Chors und Teile des Seitenschiffs stürzten ein. Der Schrein mit den Überresten des heiligen Papstes Coelestin V. (1210-1296) konnte wenige Tage nach den Erdstößen unversehrt aus den Trümmern geborgen werden. Benedikt XVI. betrat das Gotteshaus aus dem 13. Jahrhundert durch die Heilige Pforte für den jährlichen Ablass - Höhepunkt des Glaubenslebens in den Abruzzen. An der Urne Coelestins legte er ein Pallium als Zeichen der Verbundenheit nieder, verharrte einige Augenblicke im stillen Gebet und segnete die verantwortlichen Priester und Sicherheitsleute der Basilika.
 
Begegnung mit Studenten
Der anschließende kurze Aufenthalt am eingestürzten Studentenheim von L’Aquila lebte von der Begegnung mit einer Gruppe Studierenden. Benedikt XVI. sprach einzeln mit einem Dutzend junger Männer und Frauen. Unter den Trümmern des Betonbaus waren acht junge Menschen gestorben. Den Überlebenden der Erdstöße vom 6. April werden der interessierte, wache Blick und das warme, zukunftsweisende Lächeln des Papstes in Erinnerung bleiben - ohne Blick auf die Uhr, die Wolken und das Sicherheitspersonal. Vor den weiterhin unbewohnbaren Häusern lauschte Benedikt statt dessen einem Feuerwehrmann und dankte ihm stellvertretend für den noch lange nötigen Einsatz der Hilfskräfte.

Der Studentenseelsorger Luigi Epicoco berichtet aus der Erdbebennacht:
„Diese Nacht war schrecklich, jeder hat versucht zu fliehen. Doch das Schöne war, dass die Menschen den Instinkt der Solidarität bewahrt haben. Die Studenten suchten einander gegenseitig, hatten, obwohl ja die Beben weitergingen, keine Angst, zurück in die Stadt zu gehen. Sie suchten ihre Freunde und wühlten mit bloßen Händen in den Trümmern, haben zwei Kinder unter deren toten Eltern lebend geborgen. Hier herrschte Aufregung und Chaos, und doch habe ich dieses Verantwortungsbewusstsein erlebt. Ich denke, dass diese jungen Menschen in einer Nacht um dreißig Jahre gereift sind.“
 
Zuspruch an Bürgermeister, Priester und Menschen in Zeltstädten
Vor den Toren der rund 70.000 Einwohner zählenden Stadt L'Aquila sprach der Papst gegen Mittag mit den Pfarrern und Bürgermeistern der vom Erdbeben betroffenen Orte. In einer Kaserne der Guardia di Finanza wechselte er mit jedem einzelnen einige Worte. Draußen auf dem Exerzierplatz hatten sich rund 2000 Menschen versammelt, stellvertretend für die rund 55.000 Menschen, die nach dem Erdbeben obdachlos geworden sind und die mehreren Tausend Hilfskräfte von Heer, Zivilschutz und Feuerwehr. Nach einigen hundert Metern im offenen Militärjeep steht das Kirchenoberhaupt anders als in Onna hier auf einer Tribüne. Mit Holzthron, Kerzen und Holzkreuz haben die Organisatoren des Papstbesuchs einen Altar improvisiert, die geladenen Gäste sitzen vor ihm, Zaungäste aus der Region drängen sich am Rand.
Alle, die nach den verheerenden Erdstößen Hand bei der Soforthilfe anlegten, beim Namen zu nennen, sei schwierig, so Benedikt XVI., doch an jeden Einzelnen wolle er ein besonderes Wort der Wertschätzung richten. „Danke für alles, was ihr getan habt. Danke vor allem für die Liebe, mit der ihr es getan habt. Danke für das Beispiel, das ihr gegeben habt. Geht vereint und gut aufeinander abgestimmt voran, damit es baldmöglichst wirksame Lösungen für die Menschen gibt, die jetzt in Zeltstädten wohnen. Das wünsche ich von ganzem Herzen und dafür bete ich.“
Benedikt ließ seinen Vormittag in der Region Revue passieren und versicherte, er trage alle Opfer dieser Katastrophe im Herzen. „Während ich durch die Straßen der Stadt gefahren bin, habe ich noch mehr begriffen, wie schwer die Konsequenzen des Erdbebens gewesen sind.“
Die Kaserne in L’Aquilas Ortsteil Coppito wird Schauplatz des nächsten G8-Gipfels sein, hier zelebrierte der Kardinalstaatssekretär am Karfreitag das Requiem für die Erdbebentoten. Die Überlebenden sind dankbar für die Papstworte, doch wischen sie in Erinnerung an die Ereignisse und die Probleme, die noch bevorstehen, wieder Tränen aus den Augen. Stille liegt über dem Platz.
„Nun bin ich hier auf diesem Platz, an dem die Schule der Finanzpolizei liegt, die von Beginn an das Hauptquartier war, an dem die Hilfsmaßnahmen koordiniert wurden. Dieser Ort ist vom Gebet und von den Tränen um die Opfer geweiht. Er ist das Symbol für euren beharrlichen Willen, nicht den Mut zu verlieren.“
Benedikt XVI. erinnerte an die zahlreichen Hilfs- und Solidaritätsaufrufe und berichtete von Zuschriften und Spenden auch orthodoxer Kirchenführer. Solidarität, die sich in diesen Krisenzeiten zeige, sei wie Feuer, das unter der Asche verborgen war. „Solidarität ist ein höchst ziviles und christliches Gefühl und zeigt die Reife einer Gesellschaft.“
In den vergangenen Wochen waren erhebliche Mängel an mehreren Bauten in der Erdbebenregion festgestellt worden. Anti-Mafia-Beauftragte überwachen jetzt den Wiederaufbau. Papst Benedikt nannte die Proteste nicht beim Namen, appellierte jedoch an die Verantwortung von Gesellschaft und Institutionen.
„Die Zivilgesellschaft muss sich einer ernsthaften Gewissensprüfung unterziehen, damit die Verantwortung in keinem Moment nachlasse. Unter dieser Bedingung wird L’Aquila - zu deutsch: der Adler - auch wenn er verwundet ist, wieder fliegen können.“
Die Holzstatue der Madonna di Monte Roio war zum Besuch des Papstes aus einer Wallfahrtskirche der Region vor die Kaserne gebracht worden; Johannes Paul II. hatte bei seinem Abruzzenbesuch 1980 in der Kirche gebetet; Benedikt XVI. schenkte der Marienfigur eine Goldene Rose. Diese besondere päpstliche Auszeichnung, auch Tugendrose genannt, gibt es seit rund 1000 Jahren, Benedikt verlieh sie zuletzt einigen Wallfahrtsorten, unter anderem Altötting.
Zivile Opfer und Militärangehörige sangen gemeinsam das Regina Coeli, noch eine gute halbe Stunde später dankte der Papst Bürgermeistern und Hilfspersonal mit beiden Händen und umarmte trauernde Überlebende. Benedikt XVI. hatte in den vergangenen Wochen wiederholt für die Opfer gebetet und den Überlebenden seinen Beistand versichert. Für die Begräbnisfeierlichkeiten am Karfreitag hatte das Kirchenoberhaupt die Sondergenehmigung für eine Messfeier erteilt, sein Privatsekretär Georg Gänswein verlas in L’Aquila eine persönliche Grußbotschaft.
(rv 28.04.2009 bp)








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