Interview der Woche: 100 Tage Obama und die Kirche
Seit 20. Januar ist
US-Präsident Barack Obama im Amt. Die katholischen Bischöfe hatten ihm die Bereitschaft
zum Dialog und zur Zusammenarbeit signalisiert. Obamas Positionen in Fragen des Lebensschutzes,
die Legalisierung der Abtreibung und eine staatliche Förderung der Forschung mit embryonalen
Stammzellen etwa, hatten die Oberhirten stets kritisiert. Wie ist das Verhältnis zwischen
der katholischen Kirche in den USA und dem Hoffnungsträger Obama? Darüber hat kurz
vor der traditionellen 100-Tage-Bilanzmarke Stefan von Kempis mit dem USA-Experten
und katholischen Journalisten Ferdinand Oertel gesprochen.
Lesen Sie hier Auszüge
aus dem Interview:
„Wie kommt es, dass zumindest in Europa Obama als eine
Art Messias wahrgenommen wird, während er im eigenen Land von der Kirche heftig angegriffen
wird?“
„Zunächst muss man sagen, dass er auch in Amerika
weiterhin zumindest als großer Visionär gesehen wird. Er wird auch nicht von der ganzen
Kirche, von allen Bischöfen und vom ganzen Kirchenvolk angegriffen, sondern nur von
Teilen. Zum Beispiel hat er vor 14 Tagen an der katholischen Jesuitenuniversität Georgetown/Washington
einen Vortrag gehalten und ist begeistert empfangen worden. Er hat über die Wirtschaftskrise
gesprochen und sich dabei mehrfach auf die biblischen Aspekte bezogen, die für eine
Gerechtigkeit unter den Völkern und den Menschen plädieren. Es stimmt also nicht,
dass die ganze Kirche stets gegen Obama ist. Es stimmt auf der anderen Seite, dass
nicht alle seine Visionen mit der Kirchenlehre übereinstimmen.“
„Aber die
Lebensschützer-Gruppe dominiert zumindest in der Wahrnehmung nach Außen das Bild der
US-Kirche. Ist das ein verzerrtes Bild?“
„Ja, das muss man so sagen. Das
ist das veröffentlichte Bild der Strömungen, die Lebensschutz in den Vordergrund stellen
und als entscheidend ansehen. Es scheint jetzt so, als ob in der öffentlichen Meinung
eine Wende angestrebt wird. Denn nach dem letzen großen Protest gegen die Einladung
Obamas von einer der führenden katholischen Universitäten Notre Dame, die Ansprache
zur Abschlussfeier der Studenten zu halten und ihm gleichzeitig die Ehrendoktorwürde
zu verleihen, hat dazu geführt, dass es jetzt gegnerische Reaktionen gibt, die sagen,
wer so einseitig den amerikanischen Präsidenten betrachtet, ihn sogar ausladen will,
vergibt sich jede Möglichkeit eines Dialogs.“
„Wie könnte oder sollte sich
Ihrer Meinung nach der Vatikan in dieser Sache verhalten? Obama wird sicher in den
nächsten Monaten zu einer ersten Audienz mit Papst Benedikt zusammentreffen. Sollte
der Papst versuchen, in Sachen Lebensschutz auf ihn einzuwirken, oder sollte der Papst
umgekehrt versuchen, auf die US-Kirche, die er ja vor einem Jahr besucht hat, einzuwirken?“
„Das
ist aus meiner Sicht ein sehr heikles Thema und ein heißes Eisen. Von den Päpsten
– von Johannes Paul II. genauso wie jetzt von Benedikt – weiß man, dass sie sich sehr
diplomatisch verhalten, dass sie in Gesprächen mit Präsidenten von säkularen Staaten,
ich will das ganz neutral sagen, durchaus die Position und die Sicht der Kirche darstellen,
aber nicht mit Forderungen an sie herantreten. Es wird auch gesagt, dass der Papst
im direkten Ansprechen dieser Punkte den Bischöfen nicht in den Rücken fallen kann.
Es scheint mir eher wichtig zu sein, dass zwischen dem Papst, zwischen Rom und den
US-amerikanischen Bischöfen verstärkt ein Gespräch über das Verhältnis zwischen Kirche
und Staat geführt wird. Die Kirche in Amerika muss aufpassen, dass sie sich durch
diese einseitigen politischen Proteste nicht ins gesellschaftliche Abseits rückt.
Ich würde es für sinnvoller erachten, und dafür gibt es auch Stimmen, dass man die
eigenen Bemühungen auf die Pastoral legt, den Katholiken den Rücken stärkt in der
Auffassung, dass jedes Leben geschützt werden muss und die Katholiken aber in der
Gesellschaft ihre Positionen so weit wie möglich vertreten. Auch Johannes Paul II.
hat immer gesagt, es kann nur das politisch Erreichbare angestrebt werden.“