Predigt am Gründonnerstag während der Messe In Coena Domini in der Lateranbasilika
Liebe Brüder und Schwestern!
Qui, pridie quam pro nostra omniumque salute
pateretur, hoc est hodie, accepit panem: So werden wir heute beim Hochgebet der
heiligen Messe sagen. „Hoc est hodie“ – die Liturgie des Gründonnerstags fügt
in den Wortlaut des Gebets das „Heute“ ein und unterstreicht damit die besondere Würde
dieses Tages. „Heute“ war es, daß er dies getan, uns für immer sich selbst im Sakrament
seines Leibes und Blutes geschenkt hat. Dieses „Heute“ ist zunächst Erinnerung an
das Pascha von damals. Aber es ist doch mehr. Mit dem Hochgebet treten wir in dieses
Heute hinein. Unser Heute berührt sich mit seinem Heute. Er tut es jetzt. Die Liturgie
der Kirche will uns mit diesem Wort „Heute“ dazu bringen, mit großer innerer Wachheit
auf das Geheimnis dieses Tages zu achten, auf die Worte, in denen es sich ausdrückt.
Versuchen wir also, neu dem Einsetzungsbericht zuzuhören, wie ihn die Kirche von der
Schrift her im Hinschauen auf den Herrn selber formuliert hat.
Da wird uns
als erstes treffen, daß der Einsetzungsbericht gar kein selbständiger Satz ist, sondern
mit einem Relativpronomen beginnt: qui pridie. Dieses „qui“ hängt den
ganzen Bericht an das vorhergehende Gebetswort an: „Mache sie uns … zum Leib und Blut
deines geliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus“. Der Einsetzungsbericht ist
so mit dem vorausgehenden Gebet, mit dem ganzen Hochgebet verknüpft und selbst zum
Gebet gemacht. Er ist gar nicht einfach ein Bericht, der hier eingeschoben wäre, und
es sind auch nicht selbständige Vollmachtsworte, die etwa das Gebet unterbrechen würden.
Er ist Gebet. Und nur im Beten vollzieht sich der priesterliche Akt des Verwandelns,
der Transsubstantiation unserer Gaben von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi.
Betend steht die Kirche in diesem zentralen Moment ganz im Einklang mit dem Geschehen
im Abendmahlsaal, denn Jesu Tun wird beschrieben mit den Worten: „Gratias agens
benedixit –Danksagend segnete er“. Die römische Liturgie hat damit in
zwei Wörter auseinandergenommen, was im hebräischen Berakha eins ist und im
Griechischen hingegen auch in den zwei Worten Eucharistia und Eulogia
erscheint. Der Herr dankt. Im Danken anerkennen wir, daß etwas Gabe ist, die von einem
anderen kommt. Der Herr dankt und gibt damit das Brot, „die Frucht der Erde und der
menschlichen Arbeit“, an Gott zurück, um es von ihm her neu zu empfangen. Danken wird
segnen. Was Gott in die Hand gegeben ist, kehrt von ihm gesegnet, verwandelt zurück.
Die römische Liturgie hat recht, wenn sie unser Beten in diesem heiligen Moment mit
den Worten auslegt: „wir bringen [die Opfergaben] dar“, „wir flehen“, „wir bitten,
nimm diese Opfergaben an“, „segne sie“. All das verbirgt sich in dem Wort „Eucharistia“
Im
Einsetzungsbericht des Römischen Kanons gibt es noch eine Besonderheit, die wir in
dieser Stunde bedenken wollen. Die betende Kirche blickt hin auf die Hände und auf
die Augen des Herrn. Sie will gleichsam zusehen, sie will die Gebärde seines Betens
und Tuns in dieser einzigartigen Stunde wahrnehmen, gleichsam auch über die Sinne
der Gestalt Jesu begegnen. „Er nahm das Brot in seine heiligen und ehrwürdigen Hände…“
Wir schauen auf die Hände hin, mit denen er Menschen geheilt hat; auf die Hände, mit
denen er Kinder gesegnet hat; auf die Hände, die er Menschen aufgelegt hat; und auf
die Hände, die am Kreuz angenagelt wurden und die für immer die Wundmale als Zeichen
seiner todbereiten Liebe tragen. Nun sind wir beauftragt zu tun, was er getan hat:
das Brot in die Hände zu nehmen, damit es durch das eucharistische Gebet verwandelt
werde. In der Priesterweihe sind unsere Hände gesalbt worden, damit sie Segenshände
werden. Bitten wir den Herrn, daß unsere Hände immer mehr dem Heil, dem Segen, der
Vergegenwärtigung seiner Güte dienen!
Aus der Einleitung zum hohepriesterlichen
Gebet Jesu (vgl. Joh 17, 1) entnimmt der Kanon die Worte: „Er erhob seine Augen
zum Himmel, zu dir, seinem Vater, dem allmächtigen Gott.“ Der Herr lehrt uns, unsere
Augen und vor allem unser Herz zu erheben. Aufzuschauen aus den Dingen dieser Welt
und uns betend auf Gott hin auszurichten und aufzurichten. In einem Hymnus des Stundengebets
bitten wir den Herrn, daß er unsere Augen behüte, damit sie nicht „vanitates“
schöpfen und in uns einlassen – das Eitle, das Nichtige, den bloßen Schein. Wir bitten
darum, daß nicht durch die Augen das Böse in uns eintritt und unser Sein von innen
her verfälscht und beschmutzt. Wir wollen aber vor allem darum bitten, daß wir Augen
haben für alles Wahre, Helle, Gute; daß wir sehend werden für die Gegenwart Gottes
in der Welt. Daß wir mit Augen der Liebe, mit Jesu Augen in die Welt schauen und so
die Brüder und Schwestern erkennen, die unser bedürfen, die auf unser Wort und unsere
Tat warten.
Segnend bricht der Herr dann das Brot und teilt es seinen Jüngern
aus. Brotbrechen ist die Gebärde des Hausvaters, der für seine Familie sorgt und ihr
gibt, was sie zum Leben braucht. Es ist aber auch die Gebärde der Gastlichkeit, mit
der der Fremdling, der Gast in die Familie aufgenommen wird, Anteil an ihrem Leben
erhält. Teilen – Aus-teilen ist Einen. Durch das Teilen wird Gemeinschaft gestiftet.
Im gebrochenen Brot teilt der Herr sich selbst aus. Der Gestus des Brechens weist
auch geheimnisvoll auf seinen Tod hin, auf die Liebe bis zum Tod. Er teilt sich aus,
das wahre „Brot für das Leben der Welt“ (vgl. Joh 6, 51). Denn die Nahrung,
die der Mensch im tiefsten braucht, ist die Gemeinschaft mit Gott selber. Im Danksagen
und Segnen verwandelt Jesus das Brot, gibt nicht mehr irdisches Brot, sondern die
Gemeinschaft mit sich selbst. Diese Verwandlung aber will der Anfang der Verwandlung
der Welt sein. Daß sie Welt der Auferstehung, Welt Gottes werde. Ja, es geht um Verwandlung.
Um den neuen Menschen und um die neue Welt, die im konsekrierten, verwandelten, transsubstantiierten
Brot anbricht.
Wir hatten gesagt, daß Brotbrechen Gestus der Gemeinschaft,
des Einens durch Teilen ist. So ist in der Gebärde selbst schon das innere Wesen der
Eucharistie angedeutet: Sie ist Agape, sie ist leibhaftig gewordene Liebe.
Im Wort Agape gehen die Bedeutungen Eucharistie und Liebe ineinander über.
Im Brotbrechen Jesu hat die sich austeilende Liebe ihre äußerste Radikalität erlangt:
Jesus läßt sich als lebendiges Brot brechen. Im ausgeteilten Brot erkennen wir das
Geheimnis des Weizenkorns, das stirbt und so Frucht bringt. Wir erkennen die neue
Brotvermehrung, die aus dem Sterben des Weizenkorns kommt und bis ans Ende der Welt
reicht. Zugleich sehen wir, daß Eucharistie nie bloß liturgische Handlung sein kann.
Sie ist nur ganz, wenn aus liturgischer Agape Liebe im Alltag wird. Im christlichen
Kult ist beides eins – das Beschenktwerden durch den Herrn im gottesdienstlichen Akt
und der Gottesdienst der Liebe dem Nächsten gegenüber. Bitten wir in dieser Stunde
den Herrn, daß wir das ganze Geheimnis der Eucharistie immer mehr zu leben lernen
und daß so die Verwandlung der Welt beginne.
Nach dem Brot nimmt Jesus den
Kelch mit Wein. Der Römische Kanon bezeichnet den Kelch, den der Herr den Jüngern
reicht, als præclarus calix (als „erhabenen Kelch“) und spielt damit auf Ps
23 [22] an, den Psalm von Gott, dem mächtigen und gütigen Hirten. Da heißt es: “Du
deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde … Du füllst mir reichlich den Becher“
– calix præclarus. Der Römische Kanon versteht dieses Psalmwort als eine Prophetie,
die in der Eucharistie sich erfüllt: Ja, der Herr deckt uns den Tisch mitten in den
Bedrohungen dieser Welt, und er schenkt uns den herrlichen Kelch – den Kelch der großen
Freude, des wahren Festes, nach dem wir uns alle sehnen. Den Kelch gefüllt mit dem
Wein seiner Liebe. Der Kelch bedeutet Hochzeit: Nun ist die Stunde da, auf die die
Hochzeit von Kana geheimnisvoll hingedeutet hatte. Ja, die Eucharistie ist mehr als
Mahl, sie ist Hochzeit. Und diese Hochzeit beruht auf der Selbstschenkung Gottes bis
in den Tod hinein. In den Abendmahlsworten Jesu und im Hochgebet der Kirche verbirgt
sich das festliche Geheimnis der Hochzeit unter dem Wort „novum testamentum“.
Dieser Kelch ist das Neue Testament – „der Neue Bund in meinem Blut“, so gibt Paulus
in der zweiten Lesung das Kelchwort Jesu wieder (1Kor 11, 25). Der
Römische Kanon fügt hinzu, „des Neuen und ewigen Bundes“, um die Unauflöslichkeit
dieser hochzeitlichen Verbindung Gottes mit der Menschheit auszudrücken. Daß die alten
Übersetzungen der Bibel nicht von Bund, sondern von Testament sprechen, hat seinen
Grund darin, daß da nicht zwei gleichberechtigte Partner einander begegnen, sondern
der unendliche Abstand von Gott und Mensch waltet. Was wir Neuen und Alten Bund nennen,
ist nicht ein Akt der Partnerschaft zwischen zwei gleichen Partnern, sondern reines
Geschenk von Gott her, der uns seine Liebe – sich selbst – vermacht. Freilich – durch
dieses Geschenk seiner Liebe macht er uns dann über allen Abstand hinweg wirklich
zu Partnern, vollzieht sich das hochzeitliche Geheimnis der Liebe.
Damit wir
verstehen können, was in der Tiefe da geschieht, müssen wir noch genauer auf die Worte
der Bibel und auf ihre ursprüngliche Bedeutung hören. Da sagen uns die Forscher, daß
„einen Bund herstellen“ in der frühen Zeit, von der die Geschichten der Väter Israels
sprechen, die Bedeutung hat: „in einen fremden Blutsverband eintreten bzw. den Partner
in den eigenen Verband einbeziehen und so in Rechtsgemeinschaft miteinander treten“.
Auf diese Weise wird eine reale, wenn auch nicht materielle Blutsverwandtschaft geschaffen.
Die Partner werden zu „Brüdern aus demselben Fleisch und Bein“. Der Bund bewirkt eine
Ganzheit, die Friede ist (ThWNT II 105–137). Ahnen wir nun, was in der Stunde des
Abendmahls geschah und seither sich immer wieder vollzieht, wenn wir Eucharistie feiern?
Gott, der lebendige Gott, tritt mit uns in eine Gemeinschaft des Friedens, mehr, er
schafft „Blutsverwandtschaft“ zwischen sich und uns. Durch Jesu Menschwerdung, durch
sein vergossenes Blut sind wir in eine ganz reale Blutsverwandtschaft mit Jesus und
so mit Gott selbst hineingezogen. Das Blut Jesu ist seine Liebe, in der göttliches
und menschliches Leben eins geworden sind. Bitten wir den Herrn, daß wir die Größe
dieses Geheimnisses immer mehr verstehen. Daß es seine verwandelnde Kraft in unserm
Innern entfalte, damit wir wahrhaft Blutsverwandte Jesu werden, von seinem Frieden
durchdrungen und so auch einander zugehörig.
Nun steht aber noch einmal eine
Frage auf. Christus reicht im Abendmahlssaal den Jüngern seinen Leib und sein Blut,
das heißt sich selber in der Ganzheit seiner Person dar. Aber kann er das? Er steht
doch noch physisch unter ihnen, ihnen gegenüber! Die Antwort lautet: In dieser Stunde
tut Jesus das, was er zuvor in der Hirtenrede angekündigt hatte: „Niemand entreißt
mir mein Leben, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, mein Leben hinzugeben,
und ich habe Macht, es wieder zu nehmen…“ (Joh 10, 18). Niemand kann ihm sein
Leben entreißen: Er gibt es selbst. In dieser Stunde nimmt er Kreuzigung und Auferstehung
voraus. Was dort sozusagen physisch an ihm geschehen wird, vollzieht er jetzt schon
voraus in der Freiheit seiner Liebe. Er gibt sein Leben, und er nimmt es in der Auferstehung
wieder, um es für immer austeilen zu können.
Herr, heute schenkst du uns dein
Leben, schenkst uns dich selbst. Durchdringe uns mit deiner Liebe. Laß uns in deinem
Heute leben. Mache uns zu Werkzeugen deines Friedens. Amen.