2009-04-05 14:03:38

Papstpredigt am Palmsonntag


Leben ohne Verzicht kann nicht gelingen. Daran hat Papst Benedikt XVI. in der Predigt an diesem Palmsonntag erinnert. Das Kirchenoberhaupt rief die Gläubigen auf dem Petersplatz zur Selbsthingabe und zur täglich neu praktizierten Christusnachfolge auf. Mit dem Gottesdienst hat der Papst die Karwoche eröffnet und den Weltjugendtag 2009 gefeiert.

Wir dokumentieren hier die Predigt in einer Arbeitsübersetzung von Birgit Pottler:




Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Jugendliche!

Mit einer stetig wachsenden Schar von Pilgern ist Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinauf gezogen. Auf dem letzten Teilstück des Weges, in der Nähe von Jericho heilte er den blinden Bartimäus, der ihn als Sohn Davids angerufen und um Erbarmen gebeten hatte. Des Sehens schließlich mächtig geworden – hat er sich dankbar der Pilgergruppe angeschlossen.


Als Jesus an den Toren Jerusalems einen Esel besteigt, das Tier, das die Königsherrschaft des Hauses David symbolisiert, erwacht unter den Pilgern die freudige Sicherheit: Er ist es, der Sohn Davids! Und sie grüßen Jesus mit dem messianischen Ruf: „Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn“, und sie fügen noch hinzu: „Gesegnet sei das Reich das nun kommt, das Reich unseres Vaters David! Hosanna in der Höhe!“ (Mk 11,9f). Wir wissen nicht, was die begeisterten Pilger sich genau unter dem Reich Davids, das nun kommen sollte, vorstellten. Aber haben wir denn wirklich die Botschaft Jesu, des Sohnes Davids, begriffen? Haben wir verstanden, was das Reich ist, von dem er im Verhör vor Pilatus gesprochen hat? Verstehen wir, was es heißt, dass dieses Reich nicht von dieser Welt ist? Oder ersehnen wir vielmehr, dass es von dieser Welt sei?


Johannes listet in seinem Evangelium nach dem Einzug in Jerusalem eine Reihe von Jesus-Worten auf, in denen er das Wesentliche dieses neuartigen Reiches erläutert. Bei einer ersten Lektüre dieser Texte können wir drei verschiedene Bilder dieses Reiches unterscheiden, in denen sich auf je andere Weise, dasselbe Geheimnis wider spiegelt. Johannes berichtet zunächst, dass unter den Pilgern, die während des Festes “Gott anbeten wollten“, auch einige Griechen waren (vgl. 12,20). Achten wir darauf, dass es das wahre Anliegen dieser Pilger war, Gott anzubeten. Das entspricht voll und ganz dem, was Jesus bei der Reinigung des Tempels sagt: „Mein Haus soll ein Haus des Gebets für alle Völker sein“ (Mk 11,17). Das wirkliche Ziel der Wallfahrt muss sein, Gott zu begegnen, ihn anzubeten und so der grundlegenden Beziehung unseres Lebens den Rechten Platz einzuräumen. Die Griechen sind Menschen auf der Suche nach Gott, mit ihrem Leben sind sie auf dem Weg zu Gott. Hier, mittels zweier Apostel griechischer Sprache, Philippus und Andreas, bringen sie die Bitte vor den Herrn: „Wir wollen Jesus sehen“ (Joh 12,21). Ein großes Wort. Liebe Freunde, deshalb sind wir hier versammelt: Wir wollen Jesus sehen. Mit diesem Ziel sind vergangenes Jahr zigtausende junger Menschen nach Sydney gekommen. Natürlich hatten sie viele Erwartungen an diese Pilgerfahrt. Aber das wesentliche Motiv war dieses: Wir wollen Jesus sehen.


Was diese Bitte angeht – was hat Jesus in jener Stunde gesagt und getan? Aus dem Evangelium geht nicht klar hervor, ob es eine Begegnung zwischen jenen Griechen und Jesus gegeben hat. Der Blick Jesu geht weiter. Der Kern seiner Antwort auf die Bitte jener Menschen ist: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24). Das heißt: Es kommt nicht auf ein mehr oder weniger kurzes Gespräch mit einigen wenigen Personen an, die dann nach Hause zurück kehren. Als Weizenkorn, gestorben und auferstanden, wird er wieder kommen, auf ganz neue Art und Weise und über die Grenzen des Augenblicks erhaben, und wird der Welt und den Griechen begegnen. Mit der Auferstehung überschreitet Jesus die Grenzen von Raum und Zeit. Als Auferstandener ist er auf dem Weg zur Welt und zur Geschichte in ihrem ganzen Ausmaß. Ja, als Auferstandener geht er zu den Griechen und spricht mit ihnen, er zeigt sich ihnen und so werden sie, die Fernstehenden, zu Nächsten und in ihrer Sprache, in ihrer Kultur, wird sein Wort auf neue Art weiter getragen und auf neue Weise verstanden. Sein Reich kommt. Wir können so zwei wesentliche Charakteristika dieses Reiches erkennen. Das erste ist, dass das Reich durch das Kreuz kommt. Weil Jesus sich voll und ganz hingibt, kann er als Auferstandener allen gehören und sich allen zeigen. In der Eucharistie erhalten wir die Frucht des Weizenkorns, das gestorben ist, die Brotvermehrung, die weitergeht bis an die Enden der Erde und für alle Zeiten. Die zweite Eigenschaft besagt: Sein Reich ist universal. Es erfüllt sich die alte Hoffnung Israels: Die Königsherrschaft Davids kennt keine Grenzen mehr. Sie reicht „von Meer zu Meer“ – wie der Prophet Sacharja (9,10) sagt – und umfasst damit die ganze Welt. Das ist jedoch nur möglich, weil die Herrschaft nicht eine politische Macht meint, sondern einzig und allein auf der freien Zugehörigkeit aus Liebe basiert – eine Liebe, die ihrerseits auf die Liebe Jesu Christi antwortet, der sich für alle hingegeben hat. Ich denke, dass wir immer von Neuem beide Dinge lernen müssen – vor allem die Universalität, die Katholizität. Die meint, dass niemand sich selbst absolut setzen darf, seine Kultur und seine Welt. Diese Universalität fordert, dass wir alle einander gegenseitig aufnehmen und dabei auch auf etwas von uns verzichten. Die Universalität schließt das Geheimnis des Kreuzes ein – die Überwindung seiner selbst, der Gehorsam gegenüber dem gemeinsamen Wort Jesu Christi in der gemeinsamen Kirche. Universalität bedeutet stets eine gewisse Überwindung seiner selbst, der Verzicht auf etwas Persönliches. Universalität und Kreuz gehören zusammen. Nur so wächst Frieden.


Das Wort vom Weizenkorn, das stirbt, gehört zur Antwort, die Jesus den Griechen gibt. Es ist seine Antwort. Schließlich formuliert er aber noch ein weiteres Mal die grundlegende Regel des Menschseins: „Wer sein Leben liebt, verliert es. Wer es aber in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben“ (Joh 12,25). Wer sein Leben für sich haben will, nur für sich selbst leben will, alles für sich haben und alle Möglichkeiten auskosten will – genau der verliert das Leben. Es wird langweilig und leer. Nur in der Aufgabe seiner selbst, nur im interessenlosen Geben des Ichs zugunsten des Dus, nur im „Ja“ zum größeren Leben, das Gott gehört, wird auch unser Leben weit und groß. Dieses Grundprinzip, das der Herr aufstellt, ist letzten Endes schlicht identisch mit dem Prinzip der Liebe. Liebe bedeutet ja, sich selbst aufzugeben, sich zu geben, nicht sich besitzen wollen, sondern frei von sich zu werden: nicht sich auf sich selbst zurückziehen – im Sinne: Was wird von mir bleiben, sondern nach vorne schauen, auf den Anderen – auf Gott und auf die Menschen, die er mir schickt. Dieses Prinzip der Liebe, das den Weg des Menschen bestimmt, ist wiederum identisch mit dem Geheimnis des Kreuzes, dem Geheimnis des Todes und der Auferstehung, dem wir in Christus begegnen. Liebe Freunde, es ist vielleicht relativ einfach, dies als große fundamentale Vision vom Leben zu akzeptieren. Aber in Wirklichkeit geht es hier nicht um das einfache Anerkennen eines Prinzips, sondern es geht darum, dessen Wahrheit konkret zu leben, die Wahrheit des Kreuzes und der Auferstehung. Und dafür genügt wiederum nicht eine große Entscheidung. Sicherlich ist es wichtig, einmal die große grundsätzliche Entscheidung zu fällen, das große „Ja“ zu wagen, das der Herr in einem bestimmt Moment unseres Lebens von uns will. Aber das große „Ja“ im entscheidenden Moment unseres Lebens – das „Ja“ zur Wahrheit, die der Herr uns zeigt – muss dann täglich neu erkämpft werden, in den alltäglichen Situationen in denen wir stets aufs Neue unser Ich beiseite lassen und uns zur Verfügung stellen müssen, wenn wir im Grunde uns doch an unser Ich klammern. Zu einem rechtschaffenen Leben gehört auch das Opfer, der Verzicht. Wer ein Leben ohne diese stets neue Selbsthingabe verspricht, täuscht die Menschen. Gelingendes Leben ohne Opfer gibt es nicht. Wenn ich selbst auf mein eigenes Leben zurückblicke, muss ich sagen, dass gerade die Momente, in denen ich „ja“ zum Verzicht gesagt habe, die großen und wichtigen Momente meines Lebens waren.


Der heilige Johannes hat in seine Zusammenstellung der Worte des Herrn für den „Palmsonntag“ auch eine modifizierte Form des Gebetes Jesu im Ölgarten aufgenommen. Es ist vor allem die Aussage: „Meine Seele ist erschüttert.“ (Joh 12, 27). Hier scheint der Schrecken Jesu auf, der von den anderen drei Evangelisten ausführlich veranschaulicht wird – sein Erschrecken vor der Macht des Todes, vor dem ganzen Abgrund des Bösen, den Er sieht und in den Er hinabsteigen muss. Der Herr erleidet unsere Ängste zusammen mit uns, er begleitet uns durch die letzte Angst hindurch zum Licht. Dann folgen bei Johannes die beiden flehenden Bitten Jesu. Die erste wird nur bedingt geäußert: „Was soll ich sagen: Vater rette mich aus dieser Stunde?“ (Joh 12,27). Als menschliches Wesen fühlt sich auch Jesus veranlasst zu bitten, dass ihm der Schrecken des Leidens erspart bleiben möge. Auch wir können auf diese Weise beten. Auch wir können uns wie Hiob vor dem Herrn beklagen, ihm all unsere Fragen unterbreiten, die angesichts der Ungerechtigkeit in der Welt und der Probleme unseres eigenen Ichs in uns emporkommen. Vor Ihm müssen wir uns nicht in fromme Phrasen, in eine Scheinwelt flüchten. Beten bedeutet immer auch Ringen mit Gott, und wie Jakob können wir (zu) IHM sagen: „Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest!“ (Gen 32, 27).
Aber dann kommt die zweite inständige Bitte Jesu: „Verherrliche deinen Namen!“ (Joh 12, 28). Bei den Synoptikern klingt das so: „Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen!“ (Lk 22, 42). Am Ende sind die Ehre Gottes, seine Herrschaft, sein Wille immer wichtiger und richtiger als mein Denken und mein Wille. Das ist das Wesentliche in unserem Gebet und in unserem Leben: Diese rechte Ordnung der Wirklichkeit zu begreifen, sie zutiefst anzunehmen; auf Gott zu vertrauen und zu glauben, dass Er das Richtige tut; dass sein Wille die Wahrheit und die Liebe ist; dass mein Leben gut wird, wenn ich lerne, dieser Ordnung zuzustimmen. Leben, Tod und Auferstehung Jesu sind für uns die Garantie, dass wir Gott wirklich vertrauen können. Auf diese Weise verwirklicht sich sein Reich.

Liebe Freunde! Am Ende dieser Liturgie, dieser Messfeier, werden die Jugendlichen aus Australien das Weltjugendtagskreuz an ihre Altersgenossen aus Spanien übergeben. Das Kreuz ist auf dem Weg von einem Ende der Welt zum anderen, von Meer zu Meer. Und wir begleiten es. Wir gehen mit ihm auf seinem Weg und finden so unseren Weg. Wenn wir das Kreuz berühren, vielmehr, wenn wir es tragen, berühren wir das Geheimnis Gottes, das Geheimnis Jesu Christi. Das Geheimnis, dass Gott die Welt – uns – so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn für uns hingab (vgl. Joh 3, 16). Wir berühren das wunderbare Geheimnis der Liebe Gottes, die einzige wirklich Erlösung bringende Wahrheit. Aber wir berühren auch das grundlegende Gesetz, die bestimmende Norm unseres Lebens, nämlich die Tatsache, dass ohne das „Ja“ zum Kreuz, ohne das gemeinsame Gehen mit Christus Tag für Tag, das Leben nicht gelingen kann. Je mehr wir aus Liebe zu der großen Wahrheit und der großen Liebe – aus Liebe zur Wahrheit und zur Liebe Gottes – auch einen gewissen Verzicht leisten können, desto größer und reicher wird das Leben. Wer sein Leben für sich selbst behalten will, verliert es. Wer sein Leben hingibt – täglich in den kleinen Gesten, die zu der großen Entscheidung gehören –, der findet es. Das ist die anspruchsvolle, aber auch zutiefst schöne und befreiende Wahrheit, in die wir während des Wegs des Kreuzes durch die Kontinente schrittweise eintreten wollen. Möge der Herr diesen Weg segnen. Amen.

(rv 05.04.2009 bp)








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