Kasachstan: „Gute Idee, aber wir haben keine Behinderten hier“
Früher war es ein
kommunistisches Jugendlager – und auch heute sind Kinder in den kleinen Häusern von
Talgar untergebracht. Aber es sind Waisenkinder oder Kinder, um die sich keiner kümmern
wollte, darunter auch viele Behinderte – und Träger ist mittlerweile ein Franziskanerpater.
Willkommen in Kasachstan, rund 30 Kilometer von der früheren Hauptstadt Almaty entfernt!
Er
kam aus Sibirien, aus Nowosibirsk. 1996 war das, ein paar Jahre nach dem Fall der
Mauer. In Kasachstan angekommen, fiel dem italienischen Franziskanerpater Guido Trezzani
sofort das Elend in den Familien auf: Hinter den gesichtslosen Fassaden kommunistischer
Architektur herrscht viel Durcheinander.
„Das größte Problem in der kasachischen
Gesellschaft besteht darin, dass die Institution Familie in der Krise steckt. Das
betrifft aber nicht nur Kasachstan sondern alle ehemaligen Staaten der Sowjetunion.
Eine normale Familie mit Vater, Mutter und Kindern ist selten. Bestenfalls gibt es
eine Mutter mit Kindern oder auch nur einem Kind. Oft werden die Kinder von den Eltern
aber völlig vernachlässigt und wachsen bei den Großeltern bzw. meist auch nur bei
der Großmutter auf. Dabei wären gerade intakte Familien so notwendig. Sie sind ja
die Quelle für die rechte Erziehung der Kinder.“ P. Guido bemühte sich zunächst
um ein Haus für Kinder in Almaty; dann fand er schließlich in Talgar das frühere kommunistische
Jugendlager – ein geeignetes Terrain für das Kinderdorf, das ihm vorschwebte. Die
Häuser standen seit über zehn Jahren leer, P. Guido und seine Mitarbeiter begannen
mit den Umbau-Arbeiten.
„Ein weiteres Problem ist der Umgang mit behinderten
Kindern. Es ist nicht mehr so schlimm wie noch vor einigen Jahren aber trotzdem ist
das immer noch ein großes Problem. Alle Kinder werden über einen Kamm geschoren. Ganz
gleich ob es sich um geistige oder körperliche Beeinträchtigungen handelt, ob diese
angeboren sind oder ob die Kinder vielleicht einen Unfall hatten. Die Kinder
kommen alle in irgendwelche Einrichtungen, ohne dass auf ihre individuellen Bedürfnisse
eingegangen wird. Das ist noch ganz typisch die sowjetische Herangehensweise an eine
Sache. Es wird einfach geleugnet, dass es überhaupt ein Problem gibt. Es gibt einfach
kein Problem.“ So sagte ihm das auch der Bürgermeister von Talgar, als Pater
Guido ihm vor rund zehn Jahren sein Hilfsprojekt vorstellte: Alles sehr schön – aber
wir haben nur drei behinderte Kinder in der Gegend, mehr nicht... Mittlerweile haben
aber auch die Behörden ihre Zahlen nach oben korrigiert und stellen sich dem Problem
– wenigstens ansatzweise. Und auch in den kasachischen Medien taucht das Thema Behinderung
immerhin von Zeit zu Zeit mal auf.
„Leider gibt es in der Gesellschaft
immer noch viele Vorurteile gegenüber behinderten Kindern. Sie werden als fremdartig
empfunden und man scheut den Kontakt mit ihnen. Oder sie werden nur als mitleidenswürdige
Geschöpfe angesehen, die man halt mit Nahrung versorgen muss und denen man ein Dach
über dem Kopf bieten muss. Kaum jemand denkt daran, dass diese Kinder genauso Menschen
sind wie wir; dass sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch entwickeln können und
dass sie auch eine Ausbildung brauchen.“ Eine Ausbildung kann der rührige
Franziskaner seinen Schützlingen nicht bieten; die Arbeitslosigkeit in der Region
ist hoch. Immerhin hat Don Guido aber mithilfe von Spenden in Talgar eine Ambulanz
eingerichtet. Ärzte und Therapeuten aus seiner italienischen Heimat arbeiten regelmäßig
vor Ort, um vor allem auch das einheimische Personal einzuschulen. In Kasachstan besteht
hier noch großer Aufholbedarf, meint P. Guido. Übrigens: Viele seiner kleinen Schützlinge
sind Moslems. Aber Religion spielt bei der Aufnahme in die „Arche“ keine Rolle. Der
Großteil der Wohltäter im Land, die das Kinderdorf und die Ambulanz mit Sachspenden
und Geld unterstützten, sind ebenfalls Muslime. Sie stellen in Kasachstan ungefähr
die Hälfte der Bevölkerung. Die christliche Gemeinschaft ist klein – zwar mit Wurzeln
im zweiten Jahrhundert (angeblich), aber eine Missionskirche, die erst in den letzten
Jahrzehnten wieder Fuß gefasst hat im Land. Sie lebt - auch durch Menschen wie Pater
Guido...