2009-03-26 14:51:54

Kasachstan: „Gute Idee, aber wir haben keine Behinderten hier“


RealAudioMP3 Früher war es ein kommunistisches Jugendlager – und auch heute sind Kinder in den kleinen Häusern von Talgar untergebracht. Aber es sind Waisenkinder oder Kinder, um die sich keiner kümmern wollte, darunter auch viele Behinderte – und Träger ist mittlerweile ein Franziskanerpater. Willkommen in Kasachstan, rund 30 Kilometer von der früheren Hauptstadt Almaty entfernt!

Er kam aus Sibirien, aus Nowosibirsk. 1996 war das, ein paar Jahre nach dem Fall der Mauer. In Kasachstan angekommen, fiel dem italienischen Franziskanerpater Guido Trezzani sofort das Elend in den Familien auf: Hinter den gesichtslosen Fassaden kommunistischer Architektur herrscht viel Durcheinander.

„Das größte Problem in der kasachischen Gesellschaft besteht darin, dass die Institution Familie in der Krise steckt. Das betrifft aber nicht nur Kasachstan sondern alle ehemaligen Staaten der Sowjetunion. Eine normale Familie mit Vater, Mutter und Kindern ist selten. Bestenfalls gibt es eine Mutter mit Kindern oder auch nur einem Kind. Oft werden die Kinder von den Eltern aber völlig vernachlässigt und wachsen bei den Großeltern bzw. meist auch nur bei der Großmutter auf. Dabei wären gerade intakte Familien so notwendig. Sie sind ja die Quelle für die rechte Erziehung der Kinder.“ 
P. Guido bemühte sich zunächst um ein Haus für Kinder in Almaty; dann fand er schließlich in Talgar das frühere kommunistische Jugendlager – ein geeignetes Terrain für das Kinderdorf, das ihm vorschwebte. Die Häuser standen seit über zehn Jahren leer, P. Guido und seine Mitarbeiter begannen mit den Umbau-Arbeiten.

„Ein weiteres Problem ist der Umgang mit behinderten Kindern. Es ist nicht mehr so schlimm wie noch vor einigen Jahren aber trotzdem ist das immer noch ein großes Problem. Alle Kinder werden über einen Kamm geschoren. Ganz gleich ob es sich um geistige oder körperliche Beeinträchtigungen handelt, ob diese angeboren sind oder ob die Kinder vielleicht einen Unfall hatten.
Die Kinder kommen alle in irgendwelche Einrichtungen, ohne dass auf ihre individuellen Bedürfnisse eingegangen wird. Das ist noch ganz typisch die sowjetische Herangehensweise an eine Sache. Es wird einfach geleugnet, dass es überhaupt ein Problem gibt. Es gibt einfach kein Problem.“ 
So sagte ihm das auch der Bürgermeister von Talgar, als Pater Guido ihm vor rund zehn Jahren sein Hilfsprojekt vorstellte: Alles sehr schön – aber wir haben nur drei behinderte Kinder in der Gegend, mehr nicht... Mittlerweile haben aber auch die Behörden ihre Zahlen nach oben korrigiert und stellen sich dem Problem – wenigstens ansatzweise. Und auch in den kasachischen Medien taucht das Thema Behinderung immerhin von Zeit zu Zeit mal auf.

„Leider gibt es in der Gesellschaft immer noch viele Vorurteile gegenüber behinderten Kindern. Sie werden als fremdartig empfunden und man scheut den Kontakt mit ihnen. Oder sie werden nur als mitleidenswürdige Geschöpfe angesehen, die man halt mit Nahrung versorgen muss und denen man ein Dach über dem Kopf bieten muss. Kaum jemand denkt daran, dass diese Kinder genauso Menschen sind wie wir; dass sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch entwickeln können und dass sie auch eine Ausbildung brauchen.“ 
Eine Ausbildung kann der rührige Franziskaner seinen Schützlingen nicht bieten; die Arbeitslosigkeit in der Region ist hoch. Immerhin hat Don Guido aber mithilfe von Spenden in Talgar eine Ambulanz eingerichtet. Ärzte und Therapeuten aus seiner italienischen Heimat arbeiten regelmäßig vor Ort, um vor allem auch das einheimische Personal einzuschulen. In Kasachstan besteht hier noch großer Aufholbedarf, meint P. Guido. Übrigens: Viele seiner kleinen Schützlinge sind Moslems. Aber Religion spielt bei der Aufnahme in die „Arche“ keine Rolle. Der Großteil der Wohltäter im Land, die das Kinderdorf und die Ambulanz mit Sachspenden und Geld unterstützten, sind ebenfalls Muslime. Sie stellen in Kasachstan ungefähr die Hälfte der Bevölkerung. Die christliche Gemeinschaft ist klein – zwar mit Wurzeln im zweiten Jahrhundert (angeblich), aber eine Missionskirche, die erst in den letzten Jahrzehnten wieder Fuß gefasst hat im Land. Sie lebt - auch durch Menschen wie Pater Guido...

(rv 26.03.2009 sk)







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