2009-03-16 11:40:53

Radio-Exerzitien 5


Der Jesuitenpater Wendelin Köster begleitet im deutschsprachigen Programm von Radio Vatikan durch die Fastenzeit 2009. Der 69-Jährige stammt aus dem Emsland, war zunächst Jugendseelsorger, dann Leiter des Priesterseminars in Frankfurt/St. Georgen und anschließend mehr als zehn Jahre lang deutschsprachiger Berater des Generaloberen der Jesuiten in Rom. Zweimal pro Woche hören und lesen Sie hier seine Radioexerzitien. (rv)

Für den 3. Fastensonntag (15.03.)

Liebe Hörerinnen und Hörer!

In den Radio-Exerzitien betrachten wir heute eine Szene, die ein neuartiges Licht auf den Leidensweg Jesu wirft. Es handelt sich um die Tempelreinigung und ist das Evangelium vom heutigen dritten Fastensonntag. Der Evangelist Johannes berichtet davon (Jo 2,13-25), und zwar schon ganz am Anfang seines Evangeliums, gleich nach dem Bericht über die Hochzeit zu Kana. Dadurch bekommt die Erzählung den Charakter einer Ouvertüre, die uns auf das Kommende vorbereitet.

Nehmen Sie sich wieder ausreichend Zeit, um den Text des Evangeliums selbst zu lesen, nicht nur mit den Augen, sondern auch mit Ihrer Stimme und Betonung. Versuchen Sie, mit den inneren Augen den Ort und die Menschen zu sehen, von denen der Bericht handelt. Es kann sein, dass Sie sehr beeindruckt werden; es kann auch sein, dass Sie vor Fragen stehen, die Sie jetzt nicht beantworten können. Wie dem auch sei, auf jeden Fall sollten Sie nicht im Nachdenken verharren, sondern das betende Gespräch, die Zwiesprache, versuchen, auch wenn Sie nur sagen können: „Herr, ich blicke nicht durch, und müde bin ich auch noch. Aber ich rechne damit, dass du mir zeigst, was für mein Leben wichtig ist.“ Beim abendlichen Rückblick auf den Tag wird Ihnen die Betrachtung wieder einfallen. Vielleicht bemerken sie dann, dass die Betrachtung so etwas war wie die Quelle eines Hintergrundleuchtens, das Ihren Alltag begleitet hat – was keine schlechte Frucht der Exerzitien wäre.

Auf drei Dinge richten wir nun das Augenmerk: wie Jesus den Tempel „aufräumt“, wie er die Frage nach der Berechtigung für seine Aktion beantwortet und wie er die Menschenmassen einschätzt, die er auf die Beine bringt.

Jesus räumt den Tempel auf. Der Tempel ist die Herzkammer des Volkes Israel. Jesus nennt ihn das „Haus seines Vaters“. Er ist der bevorzugte Ort, an dem „Herz zu Herzen finden“ sollte, wo der göttliche Vater und dieses sein geliebtes Volk ein Herz und eine Seele sein sollten. Die Wirklichkeit sah anders aus. Im Tempel hatte sich ein Marktbetrieb breitgemacht. An den Opfertieren und Standgebühren der Händler wurde kräftig verdient. Die Verantwortlichen achteten mehr auf ihre Einkünfte als darauf, dass Gott und sein Volk sich nahe blieben. So herrschte im Tempel ein fremder Geist, ähnlich dem Un-Geist, dem Wider-Geist, der in der Wüste Jesus bedrängte. Für Jesus ist diese Entfremdung unerträglich. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, die Händler Geldwechsler und die Opfertiere. Er handelte gemäß dem Wort der Schrift: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich (Ps 69,10).  
Wahrscheinlich waren die Ordnungskräfte auf die Aktion Jesu nicht vorbereitet. Es dauerte eine Weile, bis sie sich formieren konnten. Aber dann rückten sie an, und Jesus wurde zur Rede gestellt. Sie fragten ihn nach der Berechtigung für seine Aktion. Die Zeichenforderung, von der wir schon gehört haben, war nicht unberechtigt. Denn man hatte ausreichende und meist schlechte Erfahrung mit selbsternannten Propheten. So wies Jesus die Forderung nicht ab. Er beantwortete sie, aber auf eine doppeldeutige Weise. Mit den Trick der Doppeldeutigkeit stellte er sicher, dass die Sache, um die es eigentlich ging, im Gedächtnis blieb. Hier sagte er: Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Was ist gemeint mit „dieser“ Tempel? Der Sprecher der Ordnungskräfte dachte an das prächtige Bauwerk, an dem seit sechsundvierzig Jahren gebaut wurde und der bald fertig sein wird. Dieser Tempel soll zerstört werden? Undenkbar. Und dann die Behauptung: In drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Das war für sie eine unverschämte Anmaßung.

Für die Jünger war die Behauptung ihres Meisters vielleicht keine Anmaßung, aber sicherlich ein Rätsel, das sie erst an Ostern lösen konnten. Da klärte es sich: Was zerstört wurde, war der Tempel des Leibes Jesu, der nach drei Tagen wieder hergestellt wurde. Der Ort der Gegenwart Gottes ist Jesus, und das war er auch schon in den Tagen, als sie es noch nicht begriffen hatten. Noch etwas anderes haben die Jünger nach Ostern erst richtig begriffen: dass nämlich die heilige Schrift des Volkes Gottes und das Wort Jesu zusammenpassten. So glaubten sie der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte (Jo 2,22b).

Blicken wir noch auf die große Menge der Menschen, die von Jesus angezogen wurden. Schon bei diesem ersten Paschafest in Jerusalem zieht er sie an wie ein Magnet. Die Stadt ist übervoll von Pilgern. Die Nachricht von der Tempelsäuberung hat sich schnell verbreitet. Sie löste sicherlich Verblüffung aus, aber auch Zustimmung und messianische Erwartungen. Viele Menschen glaubten an seinen Namen, als sie die Zeichen sahen, die er tat , so sagt es das Evangelium. Jesus selbst aber zeigte eine auffallende Distanz: Er vertraute sich ihnen nicht an, das heißt: er setzte keine hohen Erwartungen in das Volk. Er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn er wusste, was im Menschen ist (Jo 2,24.25). Jedenfalls lässt sich Jesus nicht von den Massen auf seinen Messiasthron tragen. Er ist keine Messias von Volkes Gnaden.

Und was ist im Menschen? Wenn wir im Bild des Tempels bleiben, ist im Menschen, auch im Menschen von heute, zuviel vom Betrieb einer Markthalle und zu wenig Respekt vor Gott und zu wenig Respekt vor dem Menschen, zu wenig Gottes- und Nächstenliebe.

Warum ist das so? Mit dieser Frage wende ich mich direkt an den Herrn und versuche, in ein Zwiegespräch mit ihm einzutreten. „Wenn ich mich von dir angeschaut fühle, Herr, kommt es mir so vor, als ob du auch mir gegenüber in einer skeptischen Distanz verharrst. Eine innere Stimme sagt mir, dass ich dir das zubilligen muss. Ich bin ja – weiß Gott – kein Held der Gottes- und Nächstenliebe, eher gehöre ich zu denen, die den Betrieb am Laufen halten. Ich habe viel gemeinsam mit den Händlern und Geldwechslern. Ich weiß: das ist nicht gut, aber ich komme aus diesen Geschäften nicht heraus. Mein Wille, mich zu bessern, verebbt und endet in einer mehr oder weniger heiteren Resignation. Ich verstehe, Herr, dass du mich skeptisch anschaust.“

Der Herr würde vielleicht so antworten: „Ich wirke auf dich distanziert, weil du dir in deiner ‚mehr oder weniger heiteren Resignation’ kein klares Bild machst über das, was dir fehlt. Du bist voll guten Willens, ja. Aber wenn deine Anläufe zur Besserung keinen nachhaltigen Erfolg haben, dann tröstest du dich mit Verharmlosungen. Ich möchte dir ein Licht aufstecken über das, was wirklich mit dir los ist. Von selbst kommst du nicht darauf. Du musst es dir sagen lassen. Wenn du es zulässt, dass ich dir ungeschminkt sage, was wirklich im Menschen ist, dann wirst du auch neu begreifen, wie ich zu dir stehe. Ich liebe dich, ich liebe jeden Menschen mit göttlicher Liebe. Und deshalb kann ich dich nicht in deiner Misere sitzen lassen. Ich habe mich auf Gedeih und Verderb mit dem Menschen verbunden und wünsche nichts sehnlicher, als dass ich verstanden werde. Was dir als Distanziertheit erscheint, ist mein Leid darüber, dass die Menschen so selten sich von mir etwas sagen lassen und dass ich folglich von ihnen so selten verstanden werde.“

Paulus hat dem Gespräch zugehört. Er gehört zu den Menschen, die sich vom Herrn haben sagen lassen, wie es um sie steht, die aber auch begriffen haben, wie der Herr zu ihnen steht. Er lenkt jedoch meine Aufmerksamkeit zurück auf das Wort Jesu über den Tempel seines Leibes. „Dieses Wort“, so könnte Paulus sagen, „ist mir sehr wichtig geworden. Der neue Tempel ist der auferstandene Jesus Christus. Er hat eine leibhafte Wirklichkeit wie der alte, aber es ist eine lebendige Wirklichkeit. Zu diesem neuen Tempel wallfahren wir nicht mehr wie Pilger, die dort ihre Opfer darbringen, sondern wir sind selber seine Teile, wie Glieder an einem Leib. Darum habe ich in meinem ersten Brief an die Korinther geschrieben (12,12-13a): Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden, so ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen.“ (P. Wendelin Köster SJ)







All the contents on this site are copyrighted ©.