Der Jesuitenpater Wendelin Köster begleitet im deutschsprachigen Programm von Radio
Vatikan durch die Fastenzeit 2009. Der 69-Jährige stammt aus dem Emsland, war zunächst
Jugendseelsorger, dann Leiter des Priesterseminars in Frankfurt/St. Georgen und anschließend
mehr als zehn Jahre lang deutschsprachiger Berater des Generaloberen der Jesuiten
in Rom. Zweimal pro Woche hören und lesen Sie hier seine Radioexerzitien. (rv)
Für
den 3. Fastensonntag (15.03.)
Liebe Hörerinnen und Hörer!
In den
Radio-Exerzitien betrachten wir heute eine Szene, die ein neuartiges Licht auf den
Leidensweg Jesu wirft. Es handelt sich um die Tempelreinigung und ist das Evangelium
vom heutigen dritten Fastensonntag. Der Evangelist Johannes berichtet davon (Jo 2,13-25),
und zwar schon ganz am Anfang seines Evangeliums, gleich nach dem Bericht über die
Hochzeit zu Kana. Dadurch bekommt die Erzählung den Charakter einer Ouvertüre, die
uns auf das Kommende vorbereitet.
Nehmen Sie sich wieder ausreichend Zeit,
um den Text des Evangeliums selbst zu lesen, nicht nur mit den Augen, sondern auch
mit Ihrer Stimme und Betonung. Versuchen Sie, mit den inneren Augen den Ort und die
Menschen zu sehen, von denen der Bericht handelt. Es kann sein, dass Sie sehr beeindruckt
werden; es kann auch sein, dass Sie vor Fragen stehen, die Sie jetzt nicht beantworten
können. Wie dem auch sei, auf jeden Fall sollten Sie nicht im Nachdenken verharren,
sondern das betende Gespräch, die Zwiesprache, versuchen, auch wenn Sie nur sagen
können: „Herr, ich blicke nicht durch, und müde bin ich auch noch. Aber ich rechne
damit, dass du mir zeigst, was für mein Leben wichtig ist.“ Beim abendlichen Rückblick
auf den Tag wird Ihnen die Betrachtung wieder einfallen. Vielleicht bemerken sie dann,
dass die Betrachtung so etwas war wie die Quelle eines Hintergrundleuchtens, das Ihren
Alltag begleitet hat – was keine schlechte Frucht der Exerzitien wäre.
Auf
drei Dinge richten wir nun das Augenmerk: wie Jesus den Tempel „aufräumt“, wie er
die Frage nach der Berechtigung für seine Aktion beantwortet und wie er die Menschenmassen
einschätzt, die er auf die Beine bringt.
Jesus räumt den Tempel auf. Der Tempel
ist die Herzkammer des Volkes Israel. Jesus nennt ihn das „Haus seines Vaters“. Er
ist der bevorzugte Ort, an dem „Herz zu Herzen finden“ sollte, wo der göttliche Vater
und dieses sein geliebtes Volk ein Herz und eine Seele sein sollten. Die Wirklichkeit
sah anders aus. Im Tempel hatte sich ein Marktbetrieb breitgemacht. An den Opfertieren
und Standgebühren der Händler wurde kräftig verdient. Die Verantwortlichen achteten
mehr auf ihre Einkünfte als darauf, dass Gott und sein Volk sich nahe blieben. So
herrschte im Tempel ein fremder Geist, ähnlich dem Un-Geist, dem Wider-Geist, der
in der Wüste Jesus bedrängte. Für Jesus ist diese Entfremdung unerträglich. Er
machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, die
Händler Geldwechsler und die Opfertiere. Er handelte gemäß dem Wort der Schrift:
Der Eifer für dein Haus verzehrt mich (Ps 69,10). Wahrscheinlich
waren die Ordnungskräfte auf die Aktion Jesu nicht vorbereitet. Es dauerte eine Weile,
bis sie sich formieren konnten. Aber dann rückten sie an, und Jesus wurde zur Rede
gestellt. Sie fragten ihn nach der Berechtigung für seine Aktion. Die Zeichenforderung,
von der wir schon gehört haben, war nicht unberechtigt. Denn man hatte ausreichende
und meist schlechte Erfahrung mit selbsternannten Propheten. So wies Jesus die Forderung
nicht ab. Er beantwortete sie, aber auf eine doppeldeutige Weise. Mit den Trick der
Doppeldeutigkeit stellte er sicher, dass die Sache, um die es eigentlich ging, im
Gedächtnis blieb. Hier sagte er: Reißt diesen Tempel nieder,
in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Was ist gemeint mit „dieser“
Tempel? Der Sprecher der Ordnungskräfte dachte an das prächtige Bauwerk, an dem seit
sechsundvierzig Jahren gebaut wurde und der bald fertig sein wird. Dieser Tempel soll
zerstört werden? Undenkbar. Und dann die Behauptung: In drei Tagen werde ich ihn
wieder aufrichten. Das war für sie eine unverschämte Anmaßung.
Für die
Jünger war die Behauptung ihres Meisters vielleicht keine Anmaßung, aber sicherlich
ein Rätsel, das sie erst an Ostern lösen konnten. Da klärte es sich: Was zerstört
wurde, war der Tempel des Leibes Jesu, der nach drei Tagen wieder hergestellt wurde.
Der Ort der Gegenwart Gottes ist Jesus, und das war er auch schon in den Tagen, als
sie es noch nicht begriffen hatten. Noch etwas anderes haben die Jünger nach Ostern
erst richtig begriffen: dass nämlich die heilige Schrift des Volkes Gottes und das
Wort Jesu zusammenpassten. So glaubten sie der Schrift und dem Wort, das
Jesus gesprochen hatte (Jo 2,22b).
Blicken wir noch auf die große Menge
der Menschen, die von Jesus angezogen wurden. Schon bei diesem ersten Paschafest in
Jerusalem zieht er sie an wie ein Magnet. Die Stadt ist übervoll von Pilgern. Die
Nachricht von der Tempelsäuberung hat sich schnell verbreitet. Sie löste sicherlich
Verblüffung aus, aber auch Zustimmung und messianische Erwartungen. Viele Menschen
glaubten an seinen Namen,als sie die Zeichen sahen, die er tat , so
sagt es das Evangelium. Jesus selbst aber zeigte eine auffallende Distanz: Er vertraute
sich ihnen nicht an, das heißt: er setzte keine hohen Erwartungen in das Volk.
Er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn
er wusste, was im Menschen ist (Jo 2,24.25). Jedenfalls lässt sich Jesus nicht
von den Massen auf seinen Messiasthron tragen. Er ist keine Messias von Volkes Gnaden.
Und
was ist im Menschen? Wenn wir im Bild des Tempels bleiben, ist im Menschen, auch im
Menschen von heute, zuviel vom Betrieb einer Markthalle und zu wenig Respekt vor Gott
und zu wenig Respekt vor dem Menschen, zu wenig Gottes- und Nächstenliebe.
Warum
ist das so? Mit dieser Frage wende ich mich direkt an den Herrn und versuche,
in ein Zwiegespräch mit ihm einzutreten. „Wenn ich mich von dir angeschaut fühle,
Herr, kommt es mir so vor, als ob du auch mir gegenüber in einer skeptischen Distanz
verharrst. Eine innere Stimme sagt mir, dass ich dir das zubilligen muss. Ich bin
ja – weiß Gott – kein Held der Gottes- und Nächstenliebe, eher gehöre ich zu denen,
die den Betrieb am Laufen halten. Ich habe viel gemeinsam mit den Händlern und Geldwechslern.
Ich weiß: das ist nicht gut, aber ich komme aus diesen Geschäften nicht heraus. Mein
Wille, mich zu bessern, verebbt und endet in einer mehr oder weniger heiteren Resignation.
Ich verstehe, Herr, dass du mich skeptisch anschaust.“
Der Herr würde vielleicht
so antworten: „Ich wirke auf dich distanziert, weil du dir in deiner ‚mehr oder weniger
heiteren Resignation’ kein klares Bild machst über das, was dir fehlt. Du bist voll
guten Willens, ja. Aber wenn deine Anläufe zur Besserung keinen nachhaltigen Erfolg
haben, dann tröstest du dich mit Verharmlosungen. Ich möchte dir ein Licht aufstecken
über das, was wirklich mit dir los ist. Von selbst kommst du nicht darauf. Du musst
es dir sagen lassen. Wenn du es zulässt, dass ich dir ungeschminkt sage, was wirklich
im Menschen ist, dann wirst du auch neu begreifen, wie ich zu dir stehe. Ich
liebe dich, ich liebe jeden Menschen mit göttlicher Liebe. Und deshalb kann ich dich
nicht in deiner Misere sitzen lassen. Ich habe mich auf Gedeih und Verderb mit dem
Menschen verbunden und wünsche nichts sehnlicher, als dass ich verstanden werde. Was
dir als Distanziertheit erscheint, ist mein Leid darüber, dass die Menschen so selten
sich von mir etwas sagen lassen und dass ich folglich von ihnen so selten verstanden
werde.“
Paulus hat dem Gespräch zugehört. Er gehört zu den Menschen,
die sich vom Herrn haben sagen lassen, wie es um sie steht, die aber auch begriffen
haben, wie der Herr zu ihnen steht. Er lenkt jedoch meine Aufmerksamkeit zurück auf
das Wort Jesu über den Tempel seines Leibes. „Dieses Wort“, so könnte Paulus
sagen, „ist mir sehr wichtig geworden. Der neue Tempel ist der auferstandene Jesus
Christus. Er hat eine leibhafte Wirklichkeit wie der alte, aber es ist eine lebendige
Wirklichkeit. Zu diesem neuen Tempel wallfahren wir nicht mehr wie Pilger, die dort
ihre Opfer darbringen, sondern wir sind selber seine Teile, wie Glieder an einem Leib.
Darum habe ich in meinem ersten Brief an die Korinther geschrieben (12,12-13a): Denn
wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber,
obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden, so ist es auch mit Christus. Durch
den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen.“
(P. Wendelin Köster SJ)