D: Stadtarchiv-Einsturz ist Verlust für Katholizismusforschung
Neun Tage nach dem
Einsturz des Kölner Stadtarchivs wurde am Donnerstag die Leiche des zweiten Vermissten,
eines jungen Studenten, aus den Trümmern geborgen. Neben der Trauer um die Opfer und
Betroffenen dieses Unglücks, die selbstverständlich überwiegt, sorgen sich Archivare
und Wissenschaftler um die kulturellen Verluste. Das Kölner Stadtarchiv war das größte
und älteste kommunale Archiv nördlich der Alpen. Es beherrbergte einzigartige Dokumente,
die auch für die Erforschung der Kirchengeschichte und des Katholizismus in Deutschland
bedeutsam sind. Unter den Trümmern begraben sind unersetzliche, teils ein Jahrtausend
alte Dokumente. Darunter 15 mittelalterliche Handschriften des Philosophen und Kirchenlehrers
Albertus Magnus, der 1280 in Köln starb. Aber auch viele neuzeitliche Archivalien
liegen noch im Schutt. Zum Beispiel der Nachlass des Kölner Journalisten und Politikers
Carl Bachem. Während des Kaiserreichs und in der Weimarer Republik saß er als Abgeordneter
der katholischen Zentrumspartei im Berliner Reichstag: „Dieser Nachlass von
Carl Bachem stellt die Grundlage für die Katholizismusforschung in Deutschland überhaupt
dar. Es gibt nichts Vergleichbares und nichts, was dieses Material ersetzen könnte.“
Das sagte uns Wilfried Loth. Er ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte
an der Universität Duisburg-Essen und forscht zur Geschichte des Katholizismus in
Deutschland. „Köln war eine Hochburg des politischen und sozialen Katholizismus
in Deutschland.“ In dieser Hochburg war Carl Bachem sehr aktiv.
Und auch als Abgeordneter in Berlin, berichtete er regelmäßig über die Vorgänge in
den Führungskreisen des Katholizismus, und zwar an seinen Vetter Julius Bachem. Dieser
war Chefredakteur der Kölnischen Volkszeitung, der damals größten und auflagenstärksten
katholischen Tageszeitung.
„Auf diese Weise ist eine ungeheur umfangreiche
Sammlung von Informationen über die internen Vorgänge in katholischen Kreisen entstanden.“
Hinzu kommen Korrespondenzen die Bachem mit anderen Politikern geführt hat,
aber auch mit Bischöfen und der römischen Kurie. So hat er im so genannten „Gewerkschaftsstreit“
eine wichtige Rolle gespielt.
„Die christlichen Gewerkschaften, die ja
einen wesentlichen Teil des Katholizismus und der katholischen Arbeiterbewegung dargestellt
haben, waren in der Zeit des Kaiserreichs eine starke politische Kraft in Deutschland.
In Rom ist freilich überlegt worden, ob man Katholiken nicht die Mitarbeit in diesen
Gewerkschaften verbieten sollte und in diesem so genannten Gewerkschaftsstreit hat
dann Bachem auch eine wichtige Rolle gespielt. Wir wissen aus diesen Korrespondenzen,
dass das Verbot der Gewerkschaften durch Pius X. kurz bevor stand, aber aufgrund der
Intervention der deutschen Bischöfe dann noch im letzten Moment 1912 abgewendet werden
konnte.“ Noch ist nicht sicher wie viele der unedierten Akten aus dem Nachlass
Bachem mit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs für immer verloren sind. Aber auch
kaum erforschte Nachlässe von weiteren Größen des politischen Katholizismus liegen
noch unter den Trümmern - zum Beispiel die des Weimarer Reichskanzlers Wilhelm Marx
oder von Christine Teusch, der ersten Kultusministerin Deutschlands.
„Und
das Material ist um so wichtiger, als das offizielle Archiv der Zentrumspartei, das
in Berlin angelegt worden war, 1942 durch Kriegseinwirkungen in Flammen aufgegangen
ist.“ Warum dieses Material nicht schon längst ediert und dupliziert wurde?
Das ist erstens eine Frage der Masse und zweitens der Finanzen, erklärt Loth:
„Das
Problem bei diesen neuzeitlichen Dokumenten ist ja die ungeheure Masse. Der Nachlass
Bachem umfasst fast 1000 Aktenbände und es ist fast eine Sache der Unmöglichkeit,
das alles zu duplizieren oder in anderer Weise zu konservieren.“ Etwas Unterstützung
für die Bearbeitung dieser historischen Quellen käme von der deutsche Bischofskonferenz.
Doch das reiche kaum aus. Außerdem fehle es an Forschernachwuchs, so Loth. Jetzt stünde
aber erstmal die Rettung der Dokumente aus den Ruinen des Stadtarchivs an.
Allein
das jetzt zu bergen und zu Restaurieren wird ja einen erheblichen finanziellen Aufwand
bedeuten und mehrere Jahre Arbeit.