Der Jesuitenpater Wendelin Köster begleitet im deutschsprachigen Programm von Radio
Vatikan durch die Fastenzeit 2009. Der 69-Jährige stammt aus dem Emsland, war zunächst
Jugendseelsorger, dann Leiter des Priesterseminars in Frankfurt/St. Georgen und anschließend
mehr als zehn Jahre lang deutschsprachiger Berater des Generaloberen der Jesuiten
in Rom. Zweimal pro Woche hören und lesen Sie hier seine Radioexerzitien. (rv)
Für
Mittwoch in der 2. Fastenwoche (11.03.)
Liebe Hörerinnen und Hörer!
Heute
halten wir die vierte Betrachtung der diesjährigen Radio-Exerzitien, in denen wir
den Herrn auf seinem Leidensweg bis zu seinem Tod am Kreuz nachdenkend und betend
begleiten. Diesmal empfangen wir vom Evangelisten Matthäus den Text, der ein Licht
auf die konkreten Umstände wirft. Es ist die dritte Ankündigung Jesu, dass er leiden
und sterben werde. Doch gibt er auch einen Ausblick auf seine Auferstehung. Dann jedoch
folgt eine entlarvende Geschichte: Die Mutter der beiden Söhne des Zebedäus, Jakobus
und Johannes, fällt vor Jesus auf die Knie und sagt: Versprich, dass meine beiden
Söhne in deinem Reich rechts und links neben dir sitzen dürfen. Die beiden Söhne
sind uns schon begegnet, nämlich bei der Betrachtung über die Verklärung Jesu. Sie
waren zusammen mit Petrus eigens von Jesus ausgesucht worden, um mit ihm auf den Berg
zu gehen.
Es könnte gut sein, dass ihnen das Licht-Erlebnis auf dem Berg zu
Kopfe gestiegen ist. Dort haben sie etwas von der Herrlichkeit Jesu gesehen und wollen
nun an diesem Glanz teilhaben. Irgendwie sind sie noch geblendet. Dass der irdische
Weg Jesu nach Jerusalem führt und in den todbringenden Händen der religiösen und weltlichen
Führer des Volkes und der heidnischen Besatzungsmacht enden wird, das haben sie ausgeblendet.
Und nun haben sie ihre Mutter eingespannt, um die beiden höchstrangigen Plätze an
der Seite Jesu, des Königs im Gottesreich, zu erhalten.
Aus der Distanz des
Zuschauers, der außerdem die Geschichte schon kennt, haben wir leicht kopfschütteln.
Aber wir sollten nicht übersehen, dass auch wir in uns eine Tendenz haben, auf die
sichere und glanzvolle Seite zu springen, wenn sich eine gute Gelegenheit ergibt.
Sich freiwillig einem Risiko auszusetzen, sogar einem lebensbedrohenden Risiko, das
fällt uns schwer. Der Platz an der Sonne ist uns lieber.
Die Reaktion Jesu
auf die Bitte der Mutter fällt verhältnismäßig milde aus; keine Spur von der Schärfe
wie bei der Zurechtweisung des Petrus. Jesus antwortet mit einer Feststellung und
einer Gegenfrage: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken,
den ich trinken werde? Und sie sagen: Wir können es. Vielleicht schaut
Jesus die beiden in diesem Augenblick skeptisch an und wundert sich über soviel Wagemut.
Aber vielleicht betet er auch still, dass der Vater im Himmel ihren Worten die entsprechenden
Taten folgen lassen möge. Dann sagt er ihnen eine harte Wahrheit: Ihr werdet meinen
Kelch trinken; doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich
zu vergeben; dort werden die sitzen, für die mein Vater diese Plätze bestimmt hat.
Sie sind also, was ihre glorreiche Zukunft betrifft, bei Jesus an der falschen Adresse.
Denn die Zukunft der einzelnen Menschen und der gesamten Menschheit wird vom göttlichen
Vater garantiert; von ihm geht alles Sein und Leben aus; er hat seinen Sohn gesandt
als Offenbarer und Garanten seines Willens. Hoffentlich fällt den beiden Jüngern jetzt
wieder ein, was die Stimme aus der Wolke rief: Dieser ist mein geliebter Sohn,
auf ihn sollt ihr hören! Hoffentlich hören sie auf ihn und folgen ihm weiterhin. Zwar
reagiert Jesus milde auf das Ansuchen der Mutter für ihre beiden Söhne, aber die anderen
Jünger nehmen die Sache nicht so gelassen. Sie regen sich gewaltig auf, als sie hören,
was ihre beiden Kollegen vorhatten. Die Stimmung bei ihnen wird als sehr ärgerlich
bezeichnet. Der Frieden ist erheblich gestört. Wir dürfen allerdings davon ausgehen,
dass die anderen nicht unbedingt ein reines Gewissen haben. Wahrscheinlich ist es
eher so, dass auch sie sich Hoffnung machten auf einen Ehrenplatz an der Seite des
Messias. Jetzt ärgern sie sich nur, dass die beiden anderen schneller am Drücker waren
als sie.
Was sich hier abspielt, ist nicht nur ein peinlicher Zwischenfall
in einer Kleingruppe, sondern diese Kleingruppe selbst bildet ab, worunter die Menschen
im allgemeinen leiden: Neid und Eifersucht. Es braucht nur einen kleinen Anstoß, und
schon löst sich die Harmonie auf und es beginnt ein Kampf jedes gegen jeden. Es ist
die Veranschaulichung eines Unheils, das seit Menschengedenken die Erde überzieht
und Menschen zu Feinden macht, oft mit tödlichem Ausgang. Zwar erleben wir immer wieder
Bekehrungen zum Frieden; immer wieder treten Friedensstifter auf den Plan - mit vorübergehendem
Erfolg. Vorübergehend deshalb, weil wir immer wieder die Rückfälle erleben. Neue Kämpfe
brechen aus. Alte Feindschaften regen sich wieder. Der Mensch bleibt Opfer des Menschen.
Ecce homo! Das alles spielt sich auch m Kreis der Jünger ab. Er besteht eben auch
aus Menschen, die von der Sünde verformt sind.
Der ausbrechende Ärger der Jünger
ruft Jesus auf den Plan. Er holt die Zwölf zusammen und gibt ihnen eine Belehrung.
Er legt den Finger in die Wunde. Die Wunde ist das Machtstreben um der Macht willen
und der Machtmissbrauch. Was immer die Herrscher der Völker und die Mächtigen sich
gegenüber ihren Untertanen leisten: Bei euch soll es nicht so sein. Bei denen,
die auf Jesus hören und ihm folgen, soll ein anderes Grundgesetz gelten: Wer bei
euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will,
soll euer Sklave sein. Mit anderen Worten: „Ihr dürft niemanden zu euren Untertanen
machen. Ihr sollt niemandem einen Platz anweisen. Denn meine Jünger sind keine Platzanweiser.
Ihr sollt aber auch niemals einen Platz beanspruchen, der euch über andere stellt.
Der, welcher euch in seine Nachfolge gerufen habt, der Menschensohn, istnicht
gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen UND SEIN LEBEN HINZUGEBEN
ALS LÖSEGELD FÜR VIELE (Mt 20,28).“ Damit will Jesus sagen: „Der Sinn meines ganzen
Lebens ist die Herauslösung der Menschen aus den Folgen des Missbrauchs der Macht,
aus der Verstrickung in die Gewalttätigkeit. Ich setze für die Befreiung der Menschen
aus dieser Sklaverei mein Leben ein. Wortreiche Beteuerung der Friedensliebe und
kluge Ratschläge genügen nicht. Wenn ihr mir nachfolgen wollt, müsst ihr so handeln
wie ich. Und seid sicher: ihr bezahlt mit eurem Leben. Das möchte ich euch klarmachen,
damit ihr keine Illusionen habt. Ich sage euch aber auch: Habt keine Angst! Denn alle
Formen der Herrschaft von Menschen über Menschen sind auslaufende Modelle, auch wenn
es so aussieht, als hätten sie auf ewig Bestand.
Zum Zwiegespräch würde ich
zuerst den heiligen Paulus aufsuchen. Ich würde ihn auf eine Passage im ersten
Korintherbrief ansprechen, nämlich wo er Stellung nimmt zu einer Parteienbildung unter
den Christen dieser Metropole. Paulus reagiert wie die Feuerwehr auf einen ausbrechenden
Waldbrand. Ich spüre, dass Paulus mich zustimmend anblickt und noch einmal nachdenklich
wiederholt, was er damals geschrieben hat: Seid alle einmütig, und duldet keine
Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung (1,10b). Die
Juden fordern - Zeichen, die Griechen suchen - Weisheit. Wir dagegen verkünden - Christus
als den Gekreuzigten (1,22.23a). Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt,
um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt,
um das Starke zuschanden zu machen, .... damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott
(1,27.29). Ja, das habe ich, wie du und ihr es alle wisst, nicht von Anfang so klar
gesehen. Aber meine Bekehrung hat bewirkt, dass ich seitdem entschlossen war und bin,
nichts mehr zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten (2,2).
Ich
wende mich im Geist an Jesus. Er errät, dass mich noch immer die Bitte der
Mutter mit ihren beiden Apostelsöhnen beschäftigt. „Was war eigentlich der tiefere
Grund, weshalb du nicht positiver auf ihre Bereitschaft reagiert hast, deinen Kelch
zu trinken.“ Darauf scheint er mir zu antworten: „Ich habe ihre Bereitschaft anerkannt
und auch in Anspruch genommen. Nur auf die Zuweisung der Plätze habe ich mich nicht
eingelassen. Warum nicht? Weil es mir und meinem Vater bei der Errichtung des Reiches
Gottes um das Heil der Menschen geht und nicht um unsere eigene Ehre. Bei denen, die
ich zur Mitwirkung berufe, soll es genauso sein: Sie sollen das Heil der Menschen
im Sinn haben, nicht ihre eigene Ehre.“ „Ja“, würde ich sagen, „ich habe ansatzweise
begriffen, dass sich der Dienst bei dir und auf deine Weise nicht rechnet. Aber ich
brauche deine beständige Hilfe, um das zu beherzigen.“ (P. Wendelin Köster SJ)