Woher kommt der Mensch?
Eine jener einfach scheinenden Grundsatzfragen, die jedes Kind interessiert, auf die
aber auch das größte Genie bisher keine überzeugende Antwort geben konnte. Fest scheint
zu stehen: Mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen allein, also: Evolutionslehre,
kommen wir nicht zum Ende – und erst recht nicht mit einem Wörtlichnehmen der biblischen
Schöpfungsgeschichte. In die Debatte über die Entstehung des Lebens auf der Erde sollte
jedenfalls mehr Sachlichkeit einkehren, findet der Vatikan. Deshalb richtet er nun
zum Darwinjahr einen großen internationalen Kongress an der päpstlichen Gregoriana-Univeristät
aus, der Evolutionsbiologen, Philosophen und Theologen an einen Tisch bringt. Gudrun
Sailer berichtet.
Kreationisten und Darwinisten soll man nicht in ihrem jeweiligen
Schmollwinkel lassen. Im Darwinjahr, das derzeit läuft, will auch die katholische
Kirche sich einbringen, zumal im Pontifikat Benedikt XVI. der Dialog zwischen Glaube
und Wissenschaft zentral steht. Doch gerade in Sachen Evolution war dieser Dialog
in der Vergangenheit schwierig. Ein Streit, der nachwirkt: Die Debatte über die Entwicklung
des Lebens auf der Erde wird auch heute noch von hüben und drüben teils sehr leidenschaftlich
geführt. Marc Leclerc lehrt Naturphilosophie an der Universität Gregoriana und hat
die Konferenz wissenschaftlich mitorganisiert.
„Um da im Ansatz zu einem
gegenseitigen Verstehen zu kommen, muss man aus der Ideologie heraus. Alle, die Schöpfung
und Evolution verteidigen, sind willkommen, unter der Bedingung, dass sie sich einer
wissenschaftlichen Sprache bedienen – philosophisch oder theologisch, aber jedenfalls
rationell. Nur über diesen Weg kann es da eine Versöhnung geben. Mit leidenschaftlicher
Rede allein gelingt es sicher nicht. Da muss man aus der Domäne der Leidenschaft herauskommen
und in die Domäne der Vernunft eintreten.“ Bei der Konferenz geht es also
darum, den Blick zu kreuzen – den Blick des Theologen und des Philosophen mit dem
Blick des Naturwissenschaftlers. Das sind Diskurse, die oft wenig voneinander wissen
oder einander gar ignorieren. Deshalb können und sollen von der interdisziplinären
Besetzung des Kongresses alle profitieren, sagt Giuseppe Tanzella-Nitti, Professor
für Dogmatik an der päpstlichen Opus-Dei-Universität Santa Croce in Rom:
„Der
Theologe ist an den naturwissenschaftlichen Daten interessiert, weil sie ihm helfen,
die Heilige Schrift besser zu interpretieren – konkret, die Entwicklungsmöglichkeiten
des dogmatischen Verständnisses der Offenbarung zu begreifen. Den Philosophen wiederum
interessieren die naturwissenschaftlichen Daten, weil er ja aufs Ganze sehen muss
und in den Gegebenheiten der Natur immer eine philosophische Dimension steckt.“ In
den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Theologie von der Naturwissenschaft nicht
genug herausfordern lassen, meint der Priester Tanzella-Nitti. Das war aber nicht
immer so.
„Ich weiß nicht genau, was in diesen letzten Jahrzehnten geschehen
ist. Ich finde, dass der Theologe sich heutzutage in Schwierigkeit findet, einen Dialog
zu führen mit der Wissenschaft, wenn er nicht eine naturwissenschaftliche Basis-Bildung
hat. Das ist die Lage der Ausbildung des Klerus, der Priester im 20. Jahrhundert.
Im 19. Jahrhundert war das anders. Wenn wir uns die alten Studienpläne der Seminaristen
um die Mitte des 19. Jahrhunderts ansehen, finden wir da Fächer wie Logik, Mathematik,
Biologie, Astronomie. Ich würde es für wichtig halten, dass auch heutige Priester
ein Minimum an naturwissenschaftlicher Bildung mitbekommen.“ Historisch betrachtet,
hatte die Kirche mit der Evolutionstheorie Schwierigkeiten, weil sie in den Schlussfolgerungen
aus den naturwissenschaftlichen Daten ihre eigene Auffassung vom Beginn des Lebens
auf der Erde radikal verneint sah. Selektion, Spezialisierung und das Überleben des
Stärksten gegen Adam, Rippe und Eva, sozusagen. Wie steht die Kirche heute zu diesem
evident anderen Erklärungsansatz? Stellt Darwins Evolutionstheorie die christliche
Idee der Schöpfung, wie wir sie dank der Bibelauslegung kennen, in Frage? Dazu Tanzella-Nitti:
„Ich
würde sagen nein – solange wir unter Evolutionstheorie die Tatsache verstehen, dass
die biologischen Arten auf unserem Planeten einander ablösen und das Leben die Folge
einer allmählichen Entwicklung ist: Da gab es zunächst einfache, wenig spezialisierte
Formen, aus denen dann immer komplexere Lebewesen wurden. Wenn wir das
unter Evolution verstehen, dann ist das vollständig kompatibel mit der Idee der Schöpfung.
Da können wir sogar einen Hauptexponenten der Evolutionsbiologie zitieren, Theodosius
Dobzhansky. Er sagte: Die Evolution ist Gottes Art zu schöpfen. Hin und wieder
aber liest man in oberflächlichen Artikeln ein anderes Verständnis von Evolution,
nämlich, dass bei der Entwicklung des Lebens auf der Erde nicht die geringste Zielgerichtetheit
vorhanden ist, keine Richtung, in die hin das Leben sich manifestiert, um am Ende
auf den Menschen zu weisen. Das scheint mir eher eine philosophische Anschauung, ich
würde fast sagen, eine ideologische Anschauung - aber keine wissenschaftliche. Darwin
hat niemals so etwas gesagt. Wenn man ihn um seine Meinung zum Ursprung des Menschen
fragte, war Darwin respektvoll und sagte, das sei eine zu große Frage, als dass ein
Wissenschaftler sie beantworten könne. Er ließ das eher offen.“ Die Zielgerichtetheit
der Evolution ist auch heute noch die große Frage für die Theologie. Und hier muss
sie anerkennen: die wissenschaftlichen Daten sprechen weder für eine komplett zufällige
Auffassung, noch für eine komplett zielgerichtete Auffassung von Evolution.
„Die
Daten sprechen einfach dafür, dass es im Lauf der Evolution zu einer immer größeren
Komplexität und Diversifizierung kam. Der Mensch scheint die Krone dieser Entwicklung
zu sein. Darin nun eine Zielgerichtetheit zu sehen, ist meiner Meinung nach eine philosophische
Schlussfolgerung – keine naturwissenschaftliche. Deshalb müsste der Theologe sich
austauschen mit dem Philosophen, um zu überprüfen, in welchem Maß diese wissenschaftlichen
Daten vereinbar sind mit einer philosophischen Sicht, die einer Zielgerichtetheit
zuneigt. Meiner Meinung nach besteht diese Vereinbarkeit sehr wohl, aber vielleicht
sollte man das nicht die Wissenschaft und ihre Forschungsergebnisse fragen. Der Wissenschaftler
ist ja selbst Philosoph, ein Mensch, der nachdenkt, und als solcher kann er seine
Daten lesen und schlussfolgern, dass es die Zielgerichtetheit der Evolution gibt.
Wenn er freilich ausschließlich seine Daten über Moleküle oder
Gene der DNA befragt, erschließt sich ihm eine Zielgerichtetheit nicht.“ Immer
wieder von sich reden machen in der Frage der Evolution zwei Auffassungen, die aus
einem religiösen Kontext kommen: Kreationismus, der die Bibel wörtlich nimmt und in
streng evangelikalen Kreisen beheimatet ist – und Intelligent Design. Intelligent
Design ist eine Weiterentwicklung des Kreationismus und geht davon aus, dass die
Entstehung des Lebens durch eine „Intelligenz von oben“ geleitet ist. Der Dogmatiker
Tanzella-Nitti meint dazu:
„Beim Kreationismus haben wir es mit einem Problem
der Bibelauslegung zu tun. Der korrekte Standpunkt ist hier der eines gelassenen Vorgehens
vom exegetischen Standpunkt aus. Ich meine, es ist nutzlos zu sagen, dass die Bibeltexte
die unmittelbare Schöpfung jeder einzelnen Art beschreiben, die Zeiten und Orte der
Schöpfung. Anders beim Intelligent Design, da muss man sehen, was wirklich Wissenschaftliches
in ihren Vorschlägen ist, und was hingegen ideologische Reaktion ist auf die Evolutionstheorie
insgesamt. Zum Gutteil kommen diese Leute aus dem Kontext Biologie-Mathematik. Also
kann man sie auf jeden Fall anhören, und wenn dann in ihrer Darstellung der Fakten
irgendein Element ideologischer Art zutage tritt, könnte man sie darauf gelassen hinweisen.
Ich meine, das sind sehr unterschiedliche Strömungen. Der Kreationismus ist eine Bewegung
des biblischen Fundamentalismus, das Intelligent Design hingegen ist eine Bewegung,
die noch nicht die Reife einer wissenschaftlichen Theorie erlangt hat und sie wahrscheinlich
nie erlangen wird – aber sie kann dennoch ein Gesprächspartner in der Philosophie
sein. Intelligent Design steht jenen philosophischen Strömungen des 18. Jahrhunderts
nahe, die eine Zielgerichtetheit in der Natur sahen, ausgehend etwa von der Morphologie
der Arten. Eine Form der Naturphilosophie, die heute belächelt wird, aber da gibt
es eine historische Wurzel, und so denke ich, dass Intelligent Design schon einen
Platz am Tisch derjenigen verdient, die über Evolution sprechen.“ Der Kongress
an der Gregoriana dauert bis Samstag. Dass die Kirche der Naturwissenschaft mit großem
Interesse und Wohlwollen begegnet – das wäre als Botschaft nach außen schön, meint
Jeffrey Feder, Evolutionsbiologe an der Universität von Notre Dame und am Wissenschaftskolleg
zu Berlin:
„Die Kirche lehnt die Idee der Evolution nicht ab. Sie akzeptiert,
dass natürliche Entwicklungen verantwortlich sein könnten für das Entstehen einer
großen Artenvielfalt. Ich denke, das ist eine wichtige Botschaft für die Gläubigen,
dass sie das verstehen. Deshalb muss diese Konferenz klar herausstellen: Die Lehre
von der Evolution schließt den Glauben nicht aus.“ (rv 05.03.2009 gs)