Der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky sieht ein großes Bedürfnis der Christen nach
ausdrucksstarken Gebeten. „Wo Anregungen und Anleitungen zum persönlichen Gebet gegeben
werden, ist die Aufmerksamkeit groß“, sagte der Erzbischof am Donnerstag bei einem
Gottesdienst zur Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Sterzinsky
räumte ein, dass viele Menschen von Gott enttäuscht seien, weil ihre dringende Bitte
nicht erfüllt worden sei. Wichtigste Grundlage, um nicht am Wert des Bittgebets zu
zweifeln, sei die Aufforderung Jesu, Gott immer wieder vertrauensvoll zu bitten. Jesus
selber habe immer wieder zum Vater gerufen, auch in den schwersten Stunden seines
Lebens.
Wir dokumentieren hier die Predigt von Kardinal Sterzinsky im vollen
Wortlaut. Quelle ist das Pressebüro der Deutschen Bischofskonferenz. Wer
bittet, der empfängt Predigt von Georg Kardinal Sterzinsky, Erzbischof von
Berlin, beim Gottesdienst zur Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
am 5. März 2009 in Hamburg
Es ist einigermaßen geläufig, dass sich Buße in
Fasten, Beten und Almosengeben zeigt. Zum Almosen rufen die Bischöfe ganz ungeniert
beispielsweise im Zusammenhang mit der Misereoraktion oder in der Sorge um das Heilige
Land auf. Schwer tun wir uns, vom Fasten zu reden (und es zu praktizieren?). Ich
weise hin auf die Bußordnung. Fastentage spielen darin kaum eine Rolle. Abstinenzbestimmungen
haben wenig Gewicht, jedenfalls als Zeichen der Buße und der Umkehr. Die Kasuistik
früherer Generationen möchten wir vermeiden. Und die Motivation zu Fastenkuren, die
heute allenthalben empfohlen werden, ist kaum geistlicher Art und bringt uns in diesem
Zusammenhang eher in Verlegenheit. Und Gebet? Als Buße? Ja doch, Gebet als Umkehr
und Hinkehr zu Gott - darum mühen wir uns. Dazu rufen wir auf, laden wir ein, regen
wir an. Das wird auch erwartet. Dazu ist die Kirche ja da. Gebet und Gottesdienst
soll sie in jedem Fall pflegen, die Liturgie und den Kult feiern, auch die Kultstätten,
Kirchen und Kapellen erhalten. Es gibt natürlich auch viele, denen das Beten nichts
bedeutet; die behaupten, sie hätten Wichtigeres zu tun und wollten ihre Zeit nicht
mit Gebet verschwenden, wenngleich sie geistliche Musik aus ästhetischen Gründen gerne
hören und sonst großzügig seien: Wem beten gut tut, solle es tun.
Ich denke
aber mehr an die vielen in unseren Gemeinden, denen am Gebet sehr gelegen ist und
die deshalb fragen: Wie können wir denn beten? Wie kann ich es denn tun? Täglich
beten – ja, aber wie? Es ist eine verbreitete Beobachtung: Wo Anregungen und Anleitungen
zum persönlichen Gebet gegeben werden, ist die Aufmerksamkeit groß. Es gibt ein Verlangen,
so beten zu können, wie es einerseits der Größe und Würde Gottes entspricht und andererseits
der Nähe und Vertrautheit, in die der Beter gerufen ist, evtl. auch in der Ferne oder
Gleichgültigkeit, in der er lebt. Täglich beten – aber wie?
Unversehens
werden unsere Gebete zu Bitten. Wird in einem Kreis zum freien Gebet aufgefordert,
sind Danksagungen und Lobpreis die Ausnahme. „Beten Sie für mich“ meint „Bitten Sie
für mich“. Beten und bitten wird fast synonym verstanden.
Ein Blick in die
Lesungen der heutigen Eucharistiefeier: Die Königin Ester „betete zum Herrn, dem
Gott Israels.“ Nach der Anrede „Du unser König, du bist der einzige“ ist alles, was
folgt, eine einzige flehentliche Bitte, durchsetzt mit Begründungen des Vertrauens
…, etwa: „Ich habe gehört, dass du immer so gehandelt hast“. Und Jesu Wort fordert
auf „Bittet“, und verstärkt mit dem Versprechen „darum wird euch gegeben“, ermuntert
„sucht“ und verspricht „dann werdet ihr finden“ und drängt erneut „klopft an“. Und
wie zur Verstärkung folgt die Trias noch einmal in der 3. Person. Eine eindringliche
Einladung also, eine Aufforderung zum Bittgebet, die wir gerne hören und der wir gerne
folgen. Und ein dreifaches Versprechen. Aber da liegt nach der Erfahrung auch
die Schwierigkeit: die vielen unerhörten Bittgebete. Die meisten Bittgebete, oft
Bitten für andere genannt, sind nun von der Art, dass ihre Erfüllung nicht erwartet
bzw. geprüft werden kann: wenn z.B. für alle Kranken, Armen, Arbeitslosen, Regierenden
gebetet wird; oder für den Papst und die Bischöfe in so allgemeiner Form, dass das
Reich Gottes sofort in seiner vollen Herrlichkeit kommen müsste – was keiner der Betenden
ernsthaft meint. Aber es gibt auch die sehr konkreten und sehr individuellen
Bitten. Und wenn die nicht erfüllt werden? Das hat schon manchen in arge Bedrängnis
und Glaubensnot gebracht.
Sollen wir wirklich vertrauensvoll weiter bitten? Wir,
liebe Mitbrüder, sind in Theologie und Seelsorge hinreichend genug erfahren, um die
Apologie des Bittgebets zu kennen. Und in einer kurzen Homilie kann ich sie nicht
einmal stichwortartig zusammenfassen. Doch mag auch uns der eine oder andere Gedanke
einen Impuls geben. Ob wir Gott persönlich auch um Individuelles und vielleicht
Alltägliches zu bitten wagen, hängt offensichtlich von unserem Gottesbild und unserer
Gottesbeziehung ab. Jesus fordert uns eindringlich auf, seinen und unseren Vater vertrauensvoll
zu bitten; dabei geht er so weit, dass er uns Menschen böse nennt, nur um herausstellen
zu können, wie gut der göttliche Vater ist, damit wir den Mut haben ihn zu bitten
und nicht in Distanz und falsch begründeter Ergebenheit zu verharren und abzuwarten.
Sicher sind wir zur „Demut des Knechtes“ berufen, auch zur „Dankbarkeit des Kindes“,
das sich überraschen lässt, aber auch zur „Vertraulichkeit und Kühnheit des Freundes“
(K. Barth). Freundschaft aber erkennt man auch an dem Mut, eine Bitte zu wagen. Manchmal
ist die Bitte der Schritt, durch den Freundschaft entsteht. So erklärt sich am
besten die Aufforderung, so zu bitten, als hätte der Bittende schon empfangen: so
vertrauensvoll, dass die Bitte gleich zum Dank wird. Wer bittet, bereitet sich vor,
die Gabe in Empfang zu nehmen. Bittgebet – Ausdruck freundschaftlicher Beziehung. Dann
ist es problemlos, wenn die Bitte nicht erfüllt wird. Denn unter Freunden ist klar:
so etwas hat gute Gründe.
Schwieriger wird es, wenn der Betende nicht nur alltägliche
Verlegenheiten im Gebet ausgesprochen hat, sondern existentielle und ernsthafte bedrohliche
Nöte gebeten und gefleht hat und dieses Beten vergeblich war. Jeder von uns kennt
das aus eigenem Erleben und weiß, dass mancher schon bitter enttäuscht wurde und an
dieser Erfahrung gescheitert ist: die vielen unerhörten Bittgebete! Wir wissen
sehr wohl: nicht jedem Bittgebet ist die Erhörung versprochen. Wir sind auch imstande,
die Kriterien anzulegen und zu sagen: Das war dann wohl nicht Gebet im Namen Jesu.
Was aber, wenn jemand fest überzeugt ist, ganz im Sinne Jesu gebetet zu haben? Mancher
wird in Zweifel gestürzt: Ist Gott nicht mächtig genug? Meint er es mit mir nicht
gut? Mancher freilich findet zur Ergebenheit und tröstet sich, dass Gottes Wege nicht
unsere Wege sind, er reift durch solche Enttäuschungen zu festerem Glauben und tieferem
Vertrauen; mancher hadert und sagt sich los von Gott.
Erfahrungen lassen manchen
am Wert des Bittgebetes zweifeln und führen zur Unterlassung des Bittens, zumal unser
Denken nicht begründen kann, dass menschliches Handeln Gottes Ratschlüsse beeinflussen
und Gott zum Handeln bewegen kann. Jesus selbst sagt: Euer Vater weiß ja, was ihr
nötig habt. Und doch werden wir immer wieder vertrauensvoll bitten, weil Jesus uns
eindringlich ermuntert hat, insbesondere aber, weil er selbst ergeben und vertrauensvoll
zum Vater gerufen hat – auch in den schwersten und dunkelsten Stunden seines Lebens
und noch in der Stunde seines Sterbens. Eine stärkere Apologie des Bittgebetes
gibt es wohl nicht. Deshalb hält die Kirche zurecht daran fest, dass Beten zu den
Bußwerken zählt, in denen das Leben sich geistlich erneuert. Amen.