D/Vatikan: Gelebter Dialog: Ein deutscher Rabbinerstudent zu Besuch im Vatikan
Die jüdisch-katholischen Beziehungen sind in den letzten Wochen in der Diskussion
um die Lefebvre-Bischöfe auf eine harte Probe gestellt worden. Doch andererseits hat
die Debatte auch deutlich gemacht: Der Austausch zwischen Juden und Christen steht
auf einer soliden Grundlage, die auch Krisen Stand hält. Das haben am Donnerstag die
versöhnlichen Worte zwischen dem New Yorker Rabbi Arthur Schneier und Papst Benedikt
im Vatikan deutlich gezeigt. Es sind aber nicht nur die Gesten der großen Persönlichkeiten,
die hier Signale setzen. Der Dialog wird vor allem im tagtäglichen Miteinander von
Geistlichen und Gläubigen beider Religionen gestaltet. Das findet auch der deutsche
Rabbinerstudent Adrian Michael Schell. Der gebürtige Frankfurter studiert Religionswissenschaften
an der Universität Potsdam und lässt sich am Abraham-Geiger-Kolleg zum Rabbiner ausbilden.
Zusammen mit christlichen und jüdischen Kommilitonen besucht er derzeit die römische
Kurie. Im Interview mit Radio Vatikan hat er von seinem Studium und seinen Eindrücken
im Vatikan erzählt.
Andere Religionen kennen zu lernen und zwar von innen heraus
– das ist für jeden wichtig, der ein geistliches Lehramt ausüben will, meint Adrian
Michael Schell. Wie auch die neunzehn anderen Studenten und Studentinnen, die am Abraham-Geiger-Kolleg
zum Rabbiner und zur Rabbinerin ausgebildet werden, studiert der gelernte Buchhändler
Religionswissenschaften an der Universität Potsdam. Neben der theologischen Ausbildung,
setzt sich der 35-jährige in seinem Studium wissenschaftlich mit anderen Religionen
auseinander. Das sei für seine zukünftige Tätigkeit als Rabbiner nur bereichernd,
so Schell:
„Unser Studentenleben als Rabbinerstudentinnen und –studenten
ist ein gelebter Dialog. Es ergeben sich wunderbare Kontakte zu Christen, zu (...)
Menschen, die überhaupt keinen religiösen Hintergrund haben. Ich habe eine sehr nette
und interessante Freundschaft zu einem Christen, der aus dem Libanon kommt. Das sind
die Dialoge, die ich sehr schätze und angenehm finde, weil sie durch das Tagtägliche
entstehen und zeigen, dass Religion nicht in einem luftleeren Raum stattfindet, sondern
immer in einem gesellschaftlichen Umfeld.“
Vom Innenleben der katholischen
Kirche macht sich Rabbinerstudent Schell derzeit im Vatikan einen Eindruck. In sechs
Tagen wird er mit anderen deutschen Rabbiner- und Theologiestudenten durch elf Einrichtungen
der römischen Kurie geführt – da kann leicht das Bild entstehen, der Vatikan sei nichts
als ein nüchterner Behördenapparat. Trotzdem sieht er den Besuch positiv:
„Es
gibt natürlich aus der Innenansicht, wie die Kirche funktioniert, sehr vieles, was
mich interessiert als Religionswissenschaftler, aber auch als Rabbiner in Ausbildung,
wie Abläufe organisiert werden können oder auch manchmal nicht.“
Ein paar
Gemeinsamkeiten hat er auch schon entdeckt. Interessant fand er, dass die päpstliche
Rota sehr viel mit Eherecht zu tun hat:
„Im Grunde genommen ist es das im
Judentum auch so, wo es zwar keine höchsten Gerichte gibt (...), aber die Rabbiner,
die ja zeitgleich immer auch Richter sind, haben sehr häufig etwas mit dem Eherecht
zu tun (...) und da finde ich Parallelen sehr interessant und es interessiert mich
einfach, wie dort Lösungen gefunden werden und wie bei uns Lösungen gefunden werden.“
Für
den einen nächsten Rombesuch wünscht er sich aber ein bisschen mehr Dialog im Eins-zu-eins-Verhältnis,
zum Beispiel mit den Studenten der päpstlichen Universität Gregoriana oder den vielen
Priesterseminaristen, die in ihrer Ausbildungszeit nach Rom kommen:
„Mich
hätte es sehr interessiert, mit Priesteranwärtern zu sprechen, wie die auch zur ihrer
Berufsentscheidung gekommen sind, ob es da Ähnliches gibt, wie bei mir? Oder ob sie
eine bestimmte Aufgabe auch sehen in ihrem Beruf. Das wäre einfach interessant gewesen,
so ein bisschen das Menschliche.“
Das Debakel um die Lefebvre-Bischöfe
hat Adrian Schell von Berlin aus verfolgt. „Die Diskussion hat mich nicht so sehr
als Jude berührt, sondern eher als Deutscher beziehungsweise als Demokrat und Europäer“,
sagt er:
„..., weil für mich die ganze Debatte eine Frage ist, wie wir
in Europa mit unserem demokratischen Erbe, was wir jetzt gerade erst angefangen haben
aufzubauen, umgehen. Und wie leichtfertig wir damit umgehen.“
Dass der
Papst den Piusbrüdern eine offene Hand ausstrecken wollte, findet der angehende Rabbiner
aus kircheninterner Sicht nachvollziehbar. Unverständnis äußert Schell angesichts
der undiplomatischen Kommunikation des Vatikans. Der Papst und die Kurie hätten gleich
auf Distanz zu den antisemitischen und undemokratischen Haltungen der Piusbrüder gehen
sollen, so Schell. „Dann wäre der Papst in der öffentlichen Wahrnehmung erst gar nicht
in die Nähe dieses Gedankenguts gerückt“.
„Wäre von Anfang an klar gewesen,
wir als Kirche strecken die Hand entgegen, wir wollen allen Menschen, die auch am
Rand sind, ein Zeichen geben, dass wir offen sind, aber wir distanzieren uns und sagen
gleich, in unserer Mitte ist kein Platz für rechte, extremistische Gedanken, dann
wäre die Debatte sicherlich viel gezielter mit den Thesen und mit den Äußerungen der
Piusbruderschaft gelaufen und man hätte viel stärker darauf hingewiesen, was diese
Gruppe äußert und weniger die Handlungen des Papstes die ganze Zeit analysiert.“
Im
Hinblick auf die anstehende Reise Benedikts ins Heilige Land wünscht sich der angehende
Rabbiner Schell, dass der Papst an die Gesten seines Vorgängers anknüpft:
„Johannes
Paul II war für mich wirklich einer der aufrichtigsten Demokraten und ja auch Transporteur
von einer Moral, die wirklich zeigt, dass Menschenwürde das höchste Gut ist und ich
hoffe, und ich wünsche mir, dass genau in diese Richtung auch die Gesten von Benedikt
XVI gehen.“
Benedikt kann ein wichtiges Friedenszeichen setzen, indem
er als neutraler Vermittler auftritt und Juden, Palästinenser wie Säkulare an einen
Tisch bringt, meint Adrian Schell:
„Ich glaube, das haben wir in den letzten
Jahren zu viel erlebt, dass man entweder nur proisraelisch oder nur propalästinensisch
war. Ich glaube, das ist die falsche Beraterfunktion, die wir alle nicht brauchen
auf dieser Welt, sondern wirklich jemanden, der vermitteln kann und vielleicht gelingt
es ihm, ich wünsche es ihm.“