D: „Die Mehrzahl der Piusbruderschaft will Aussöhnung“
Wie weiter mit den
Piusbrüdern? Wie viele von ihnen wollen wirklich die Aussöhnung mit dem Papst? Wie
sehen andere traditionsorientierte Gruppen die Auseinandersetzungen nach der Aufhebung
der Exkommunikation? Gudrun Sailer hat darüber mit Propst Gerald Goesche gesprochen.
Er war in früheren Jahren für die Piusbruderschaft tätig und gründete 2003 das traditionsorientierte,
aber papsttreue Institut St. Philipp Neri in Berlin. Herr Propst, wie uneins ist
die Piusbruderschaft? Kommt es zu einer Spaltung in zwei Gruppen, eine, die mit Rom
sprechen möchte, und eine andere, die Dialog ablehnt? „Das ist ganz schwierig
zu beurteilen. Ich habe aber festgestellt, dass die Aufhebung der Exkommunikation
insofern gute Früchte hat, als Bischof Fellay sich so klar geäußert hat und so sehr
auf Seiten des Heiligen Vaters steht wie bisher noch nicht. Auch Pater Schmidberger
hier in Deutschland hat sich ähnlich vernehmen lassen. So dass ich mir vorstellen
könnte, dass doch ein sehr großer Teil der Piusbruderschaft auf jeden Fall jetzt auch
eine vollkommene Aussöhnung mit dem heiligen Stuhl und eine Regelung der Situation
suchen wird. Dass Bischof Fellay da wirklich die Führung übernommen hat, ist ein neues
Element, was sehr wichtig ist. Ich denke auch, dass die Mehrzahl der Gläubigen und
der Priester, wenn sie in die Richtung geführt werden, eigentlich eine Aussöhnung
mit Rom und eine vollkommene Ordnung der Situation wollen.“ Der Ton der Piusbruderschaft
war manchmal außerordentlich harsch, was die Katholische Kirche betrifft – da ist
von der Konzils-Sekte die Rede, davon, dass die Katholische Kirche sich bekehren und
auf die Sicht der Piusbruderschaft einschwenken muss. Es gehörte schon auch Großmut
von Seiten des Vatikans dazu, diese Friedensgeste zu setzen, die Exkommunikation aufzuheben.
Damit ist für die Piusbruderschaft eine ganz neue, noch nie da gewesene Situation
entstanden. Meinen Sie, die Bruderschaft wird ihren Ton jetzt mäßigen?
„Also
es gibt natürlich auch ein Interview von Bischof Tissier de Mallerais, wo er den alten
Ton so ein bisschen beibehält, in dem Sinne, dass vor allem Rom sich bekehren muss.
Insofern kann man da nicht ganz sicher sein. Aber man muss zwei Dinge beachten: Auf
der einen Seite sind auch die Gläubigen, Priester und Bischöfe der Piusbruderschaft
Menschen von heute, die oft genauso hässlich ihre Anliegen vorbringen, wie das die
Herrschaften aus der linken Ecke auch tun. Das ist ein bisschen spiegelverkehrt. Das
andere ist, dass wenn es die Aussicht auf eine kirchliche Regelung gibt, dann oft
schon der Ton sich ändert, weil viele dann leichter merken, welche Verantwortung sie
haben und dass einfach auch diese Vorstellungen von Erzbischof Lefebvre, das Experiment
der Tradition zu wagen, jetzt so nahe ist, dass man das eigentlich nicht ausschlagen
kann. Man merkt das an den traditionellen Gruppen, die zu einer Aussöhnung mit Rom
gelangt sind, ob in Campos oder bei den schottischen Redemptoristen oder anderswo,
dass der Ton dann, fast von heute auf morgen, sich sehr verändert hat und sehr vernünftig
geworden ist.“ Es wird nun also in irgendeiner Form zum Austausch zwischen
Piusbruderschaft und Vatikan kommen. Meinungsverschiedenheiten gibt es in einer ganzen
Reihe von theologischen Themen, die sich auf Lehren des Konzils beziehen: Liturgie,
Religionsfreiheit, Ökumene, interreligiöser Dialog, auch das Verständnis von Tradition.
Gibt es darunter eine besonders harte Nuss? „Ich glaube, der schwierigste Punkt
ist tatsächlich das Verständnis der Tradition. Wenn man die Vorstellung hat, es hat
irgendwann einmal ein ewiges Rom gegeben, 1950 oder sonst wann, wo alles in Ordnung
war, hat man natürlich so eine verzerrte Vorstellung von der Wirklichkeit, die schwer
zu korrigieren ist, weil es fast mehr etwas Emotionales ist, und eine Perfektionsvorstellung,
die eigentlich auch sehr moderne Züge hat. Bei der Liturgie gibt es, glaube ich, kein
großes Problem, weil der alte Ritus, so wie er, zumindest an vielen Stellen in der
Piusbruderschaft und anderswo in der Tradition gefeiert wird, sehr viel von ,Sacrosanctum
Concilium’ aufgenommen hat. Da soll man sich nicht täuschen, auch da gibt es ein Erbe
der liturgischen Bewegung, und viele Konzilsväter würden sich in der Liturgie, wie
sie oft da gefeiert wird, sehr wohl fühlen und sagen: So ungefähr haben wir uns das
vorgestellt. Ein weiteres großes Problem ist, dass Erzbischof Lefebvre Missionar war
und ein großer Pragmatiker und immer einen kleinen Verdacht gegenüber allem allzu
Intellektuellen hatte. Deswegen ist die Theologie in der Piusbruderschaft doch sehr
beschränkt, und man kann mit der normalen akademischen Welt dann oft nicht so mithalten,
wie man sich das wünschen würde. Da gibt es natürlich dann auch ein Kommunikationsproblem,
wenn ich mit akademisch gebildeten Theologen spreche und im Grunde nur die eigenen
Hausanstalten kenne.“ Viele – hoffentlich alle - Katholiken haben die Einlassungen
von Bischof Wiliamson mit Entsetzen zur Kenntnis genommen. Für viele war es überhaupt
das erste Mal, dass sie von der Piusbruderschaft gehört haben. Wie hoch ist der Schaden
für die Gemeinschaft? „Da ist eine Eiterbeule, oder vielleicht sogar eine Pestbeule
geplatzt. Man sieht, dass sofort da, wo der Papst die Arme ausstreckt, erstmal diese
ungesunden Keime und dieses Bösartige ans Licht kommen - und das ist ja eigentlich
ein großer Erfolg. Wie stark jetzt rechte oder sogar den Holocaust leugnende Tendenzen
insgesamt vielleicht in Frankreich oder Amerika sind, das ist für mich schwer abzuschätzen,
weil ich doch den deutschen Raum besser kenne. Da, würde ich sagen, ist das im Grunde
eine Minderheit. Die meisten sind doch enttäuschte und vielleicht auch frustrierte
Katholiken, die sich vergaloppiert haben.“ Haben Sie zeitliche Vorstellungen
davon, wie lange eine völlige Rehabilitierung der Piusbruderschaft dauern könnte? „Das
ist natürlich vor allen Dingen nach diesen üblen Vorkommnissen, jetzt mit Williamson,
auch wenn sie in gewisser Hinsicht vielleicht eine reinigende Wirkung haben, ganz,
ganz schwer abzuschätzen. Vielleicht gibt es Modellversuche in verschiedenen Diözesen,
dann wird das Ganze geregelt. Auf der anderen Seite könnte ich mir vorstellen, dass
eigentlich Papst Benedikt als jemand, der aus eigenem Erfahren und als Hauptverhandler
mit Lefebvre, damals vor den Bischofsweihen, die ganze Geschichte unheimlich detailliert
kennt, schon gerne möchte, dass während seines Pontifikats zumindest die entscheidenden
Pflöcke eingeschlagen werden.“ Das würde heißen, es geht eher um Jahre als
um Jahrzehnte, nicht? „Eigentlich ja. Denn man muss natürlich auch die Gunst
der Stunde nutzen, insofern, als Monsignore Fellay jetzt noch immer Generaloberer
der Piusbruderschaft ist. Da hat man doch sicher einen ruhigen und besonnenen Mann
als Gegenüber. Es ist nicht umsonst so, dass Kardinal Castrillon Hoyos vor allen Dingen
mit Fellay verhandelt hat.“ War es denn angesichts der Entwicklungen nicht
eher ein Fehler, nur mit Fellay zu verhandeln und die anderen drei Bischöfe nicht
miteinzubeziehen, obwohl auch im Vatikan zu ahnen oder wissen war, dass es da Schwierigkeiten
weltanschaulicher Art gibt? „Tja. Sie müssen natürlich bei solchen Verhandlungen
sehen, dass sie ein Gegenüber haben, mit dem sie fertig werden. Sie müssen auch da
einen Mann kräftigen und aufbauen, von dem sie hoffen, dass er auf einer vernünftigen
Linie steht. Die Piusbruderschaft begreift sich ja als eine sehr monolithische, autoritär
geführte Vereinigung, und eigentlich hat Rom, speziell Kardinal Castrillon Hoyos,
Bischof Fellay die Chance geboten, tatsächlich durchzugreifen. Und er hat das ja mit
seiner Entschuldigung und dann der Zurückweisung jeglichen Antisemitismus und der
Holocaust-Leugnung im Besonderen in erstaunlich klarer Weise getan. Deswegen denke
ich, dass es schon seine Berechtigung hat, ihn besonders in den Fokus zu nehmen und
mit ihm zu sprechen, sowohl von der Struktur der Piusbruderschaft her, als auch um
zu einer klugen Regelung zu kommen.“ Es gibt traditionsorientierte Gruppen
in und außerhalb der katholischen Kirche. Ihr Institut St. Philipp Neri in Berlin
gehört zu den papsttreuen, aber auch das Institut Christkönig oder die Petrusbruderschaft
– andere wie bisher die Piusbruderschaft stehen außerhalb. Wie sind die Kontakte zwischen
traditionsorientierten Gruppen? Von außen betrachtet, über verschiedene Internetforen,
hat man den Eindruck, auch zwischen den traditionsorientierten Gruppen herrschen große
Spannungen. „Ja, ich glaube schon. Wir sind alle Kinder unserer Zeit, sind alle
versucht, die eigene, spezielle Berufung und Art und Weise absolut zu setzen. Und
das ist nicht unbedingt geeignet für einen sehr förderlichen Dialog. Ich würde doch
persönlich sagen, ich habe sowohl zum Institut Christkönig als auch zur Petrusbruderschaft
gute, normale Kontakte. Bei der Piusbruderschaft habe ich weiterhin Kontakte zu einzelnen
Priestern, zu einzelnen Gläubigen. Aber es gab nie ein großes Interesse von der Leitung
her, den Kontakt zu behalten. Was vielleicht zunächst verständlich ist, wenn es auch
vielleicht nicht besonders klug und weit blickend ist.“ Wo sehen Sie persönlich,
Herr Propst, die Schwierigkeiten dieser Gemeinschaft? Wo ist der Punkt, an dem Sie
sagen, hier hätte ich, obwohl selbst traditionsverbunden, nie wirkliche geistige Wurzeln
fassen können?
„Ich hatte vor der Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe
zunehmend den Eindruck, dass viele in der Piusbruderschaft meinen, sie retten die
Kirche. Und mein Glaube ist einfach, dass die Kirche UNS rettet. Wenn ich da irgendwie
mithelfen kann, bin ich gerne mit von der Partie. Das ist auch meine Verantwortung.
Aber dieses Bild, dass es irgendwie jenseits davon vielleicht noch so ein Lehramt
des Ewigen Roms gäbe, das erscheint mir doch sehr merkwürdig. Und eine andere Sache:
Die Piusbruderschaft ist doch so eine Art Regular-Kleriker-Gesellschaft mit dem Geruch
des 19. Jahrhunderts. Ich denke, die Tradition lebt, und wir können uns, wenn wir
sie weitergeben wollen, nicht auf ein bestimmtes Bild, einer bestimmten Zeit davon
festlegen. Das führt nicht weiter. Zumindest war das nichts, was ich auf die Dauer
hätte tun können.“ Wo liegt für Sie die Zukunft der Tradition? „Wir haben
ja in Berlin vor viereinhalb Jahren mit 20 Gläubigen am Sonntag angefangen und haben
jetzt durchschnittlich 100. Mit einem Altersdurchschnitt, der schlicht ideal ist,
vom Kind bis zum Greis. Den Schatz der Überlieferung, ob in der Liturgie oder in der
Predigt, in dieser Zeit zu sehen und den Kontrast zu sehen, und dann wirklich zu hören:
Was will der liebe Gott mir sagen? Was ist da unsere Aufgabe? Das hat eine unheimliche
Kraft. Leute, die entweder gar nicht mehr zur Kirche gingen oder – wir werden wahrscheinlich
um Ostern herum bei uns zwei Erwachsenentaufen haben - Leute, die erst zur Kirche
finden, die fühlen sich schon von diesem Kult und auch einer gewissen unklerikalen
Klarheit der Sprache sehr angezogen.“(rv 06.02.2009 gs)