„Es war gut und richtig, dass der Vatikan nun sehr deutlich den Holocaust-Lügner
aufforderte, eindeutig zu widerrufen.“ Das schreibt der Theologe und Publizist
Martin Lohmann in einem vor allem an deutsche Leser gerichteten Essay. „Unnötig
hingegen waren vermeintlich kluge Worte ohne versuchte Differenzierung von Regierungschefinnen,
die besser klug geschwiegen hätten. Hier gilt: Si tacuisses, philosopha mansisses.“
Unsere
Redaktion dokumentiert den Beitrag, den Lohmann uns freundlicherweise zur Verfügung
stellte, im Wortlaut:
Der antirömische Affekt lebt! Wir waren Papst
- Von der neuen deutschen Lust an alten Zerrbildern
Von MARTIN LOHMANN Joseph
Ratzinger war in Deutschland nie wirklich beliebt. Jedenfalls nicht in der veröffentlichten
Meinung. Irgendwie war man froh, dass er weit weg in Rom gelandet war. Obwohl: Er
hatte für viele zu viel Einfluss unter Johannes Paul II. Seine genaue Theologie, seine
präzise Intellektualität und seine Fähigkeit, falsche Entwicklungen unabhängig von
ihrer süßen Anziehungskraft zu erkennen und zu markieren, störten. Selbst seine letzte
Predigt als Kardinal irritierte, als er vor der Diktatur des Relativismus warnte und
der Wahrheit, die mittels der Vernunft erkennbar sei, eine neue Chance reklamierte.
Doch dann geschah – für manche – das Unfassbare: Ratzinger wurde Papst. Der Kardinal
wurde zu Benedikt XVI. Und siehe da, nach einer deutschen Schrecksekunde waren auch
die Deutschen gezwungen, endlich einmal unverkrampft auf diesen Mann zu schauen –
um zu entdecken, wie er wirklich ist. Von Wegen Panzerkardinal. Von wegen unnahbar.
Von wegen nur verschlossen. Über Nacht wurden aus bisherigen Ratzinger-Gegnern einfühlsame
Papstkenner. Urplötzlich war ein deutscher Star geboren. Die Nation jubelte mit, als
eine große Schlagzeile ihnen das neue Credo ins Herz hämmerte: Wir sind Papst. Jetzt
wünschen sich vermutlich viele von diesen am 19. April 2005 Neubekehrten und Erleuchteten
die Feststellung: Wir waren Papst. Peinlich ist ihnen der Mann in Weiß, der so lange
hilflos erschien in einer Zeit der Pannen. Von handwerklichen Fehlern des Papstes
wird geredet, Theologen fordern den Rücktritt des Deutschen auf der Cathedra Petri,
und die Welt scheint jetzt zu wissen, dass man sich die Informationswege im Vatikan,
wie es jemand formulierte, nicht ineffektiv genug vorstellen kann. Der Vatikan
– eine Burg der Intrigen und Weltfremdheit? Ein heiliger Ort voller Scheinheiligkeit?
Der Papst als luzider Geist im Gestrüpp weltlicher Händel? Was läuft da eigentlich
derzeit für ein Film ab? Ist der Papst wirklich so weltfremd, wie es den Anschein
hat? Hat ausgerechnet ein aus Deutschland kommender Brückenbauer Brücken abgerissen?
Mancher reibt sich die Augen und traut seinen Ohren nicht, wenn er liest und hört,
wie sehr die Erregung täglich neue Höhepunkte erreicht – oder auch sucht. Papst, Traditionalismus,
Antisemitismus, vorkonziliar, Israel, Holocaust, Gaskammern – alles wird in einen
Topf der Empörung geworfen. Und mittendrin im Feuer des Sturmes ein offenbar hilfloser
und verschüchterter Pontifex. Was ist da eigentlich los? Es ist schon phänomenal,
was sich jetzt alles entlädt über Benedikt XVI. Überall erscheinen eher unvorteilhafte
Fotos des bis gestern noch umjubelten Papstes, alte Geschichten und Schlagwörter werden
aus der Mottenkiste herausgeholt, und in Anlehnung an den einst so beschimpften Panzerkardinal
wird dem Petrusnachfolger jetzt das Schild Panzerpapst umgehängt. Man hat fast den
Eindruck, als gebe es einen Wettbewerb, wer wohl am schnellsten alte Giftbrühen auftauen
kann, um sie – mit allen dumpfen Klischees aus Vergangenheit und Gegenwart angereichert
– portionsweise nach Rom zu schleudern. Alles wird miteinander verrührt und geradezu
böswillig zu einer üblen Brühe gemacht. Endlich hat vor allem die deutsche Seele wieder
ein handfestes Feindbild: eben diesen alten und nichts als rückwärtsgewandten Meister
der Theologie im vatikanischen Elfenbeinturm. Reflexartig schnellen manche in Deutschland
in jene wirren Klischees zurück, an denen sie sich bis zur Wahl von Benedikt festhielten,
die sich aber alle als Seifenblasen erwiesen haben. Frei nach dem Motto: Wir hatten
ja doch Recht mit unserem Unrecht. Dabei wäre es eine nicht allzu anspruchsvolle
Leistung des Intellekts, wenigstens einmal zu versuchen, die Dinge auseinanderzuhalten.
Da ist zunächst der Papst, der allen Vorurteilen über ihn zum Trotz ein Mann des Ausgleichs
und der Versöhnung ist. Benedikt war und ist ein Freund des Judentums, ein entschiedener
Gegner des Antisemitismus und ein Mann des Mutes. Es ist absurd, unfair und böswillig,
ihn auch nur ansatzweise mit den verderblichen und menschenverachtenden Aussagen eines
höchst verwirrten und verirrten Bischofs in Verbindung zu bringen. Denn dieser hat
den katholischen Geist wahrlich nicht verstanden. Die großzügige Geste des Papstes,
mit der er den verirrten Traditionalisten einen Weg zurück in die Weltkirche bahnen
wollte, hat er vielmehr auf das Übelste und höchst primitiv beantwortet. Er hat wahrlich
einen eigenen Tonfall von Rom „verdient“. Ebenso klar wie seine Haltung zu den
Geschwistern aus dem Judentum ist des Papstes Bekenntnis zum Zweiten Vatikanischen
Konzil. Es war ein gewisser Joseph Ratzinger, der damals den Kölner Kardinal und Konzilsvater
Josef Frings beriet. Es war Ratzinger, der diesem Kardinal im Vorfeld des Konzils
eine Rede schrieb, von der der Konzilspapst Johannes XXIII. lobend meinte, sie drücke
genau aus, was er mit dem Konzil wolle. Benedikt XVI. ist der letzte wirkliche Konzilspapst,
weil er als Joseph Ratzinger eben dieses Konzil mit vorbereitete und wesentlich mitprägen
konnte. Beides wäre also absurd oder bösartig: ausgerechnet ihm einerseits ein Zurückfallen
hinter das Konzil anzudichten wie auch ausgerechnet ihm eine mangelnde Sensibilität
gegenüber den Juden. Und was die Rücknahme der Exkommunikation betrifft, bleibt
wahr: Dies ist der erste und ein großherziger Schritt, um den Abtrünnigen die Rückkehr
zu ermöglichen. Und zwar mit dem Bekenntnis zum Konzil und mit der Absage gegen jeden
Antisemitismus! Diese souveräne Klarheit gehört zur corporate identity des Katholischen.
Richtig bleibt auch, dass die von der Exkommunikation Befreiten nach wie vor suspendiert
sind, also weder als Priester noch als Bischöfe arbeiten dürfen. Jedenfalls nicht
im Namen der römisch-katholischen Kirche in der Einheit mit dem Papst. Auch wenn der
Weg zur Rücknahme der Exkommunikation lang und mühsam war, so war er doch ernsthaft
von Rom aus vorbereitet. Ob es zur vollen Rückkehr der Kirchenrebellen kommen wird,
scheint derzeit mehr als fraglich. Jedenfalls ist dieser Weg wohl noch sehr weit. Dennoch:
Es ist der Papst, bei dem sich alle berechtigte und unberechtigte Kritik bündelt.
Seine Leute haben ihn falsch informiert, haben unglücklich und auch dumm gehandelt.
Das trifft selbstverständlich auch Benedikt. Deshalb ist jedes klare, notfalls auch
wiederholte Wort von ihm so wichtig und buchstäblich notwendig. Möglichst in Deutsch
– damit es die Deutschen wenigstens hören. Es war gut und richtig, dass der Vatikan
nun sehr deutlich den Holocaust-Lügner aufforderte, eindeutig zu wiederrufen. Es ist
gut und richtig, dass endlich an die Adresse der Ex-Exkommunizierten gesagt wurde,
ohne eine Einheit mit dem Papst und der Lehre der Kirche, wozu auch das Zweite Vatikanische
Konzil gehört, könne es eben keine wirkliche Einheit geben. Der Papst ließ also reagieren.
Für ihn sind die dummen wie bösen Aussagen des Herrn Williamson „inakzeptabel“. Gut
so! Unnötig hingegen waren vermeintlich kluge Worte ohne versuchte Differenzierung
von einer Regierungschefin, die besser klug geschwiegen hätten. Hier gilt: Si tacuisses,
philosopha mansisses. Hättest Du geschwiegen, würdest du weiter als Philosophin gelten. Dem
klugen und mutigen wie sensiblen Papst, der als oberster Verantwortlicher natürlich
verantwortlich ist, bleibt zu wünschen, dass manche seiner Leute ihn nicht bald schon
wieder irgendwo so sträflich reinreiten, wie es jetzt zu seinen Lasten und auf Kosten
seiner Glaubwürdigkeit gemacht oder zugelassen wurde. Sie sind mitverantwortlich,
wenn Fairness auf der Strecke bleibt. Denn Benedikt will vor allem Klarheit in Wahrheit.
Dieser Papst will die Einheit. Er will klären und versöhnen. Darin unterscheidet er
sich, wie man sieht, von vielen anderen. Leider. Die so lange in Deutschland bedienten
und gepflegten Klischees über Ratzinger-Benedikt bleiben auch künftig nichts als üble
Verzerrungen. Aber jetzt wissen wir: Der antirömische Affekt lebt. Wir waren Papst.
Und es gibt eine neue deutsche Lust an alten Zerrbildern. Schade.
Martin
Lohmann, Bonn – Bad Godesberg, Publizist, Theologe, Papstexperte, Stv. Vorsitzender
der Joseph-Höffner-Gesellschaft. Vor zwei Jahren erschien sein viel beachtetes Buch
„Maximum – Wie der Papst Deutschland verändert“ im Gütersloher Verlagshaus.