2009-01-11 09:32:05

Geschenkt!


RealAudioMP3 Sonntagsbetrachtung zur Taufe Jesu - von Vera Krause, Aachen
Beschenkt zu werden, wo ich es überhaupt nicht erwarte, das gehört für mich zu den glücklichsten Alltagsmomenten. Ein Päckchen in der Post, ein überraschender Besuch oder eine Blume vor der Tür, ein unerwarteter Anruf, eine Karte oder ein Päckchen Tee auf dem Schreibtisch im Büro mit einem Zettel darauf: „Gute Besserung!“ Ganz plötzlich tauchen diese kleinen Glücksboten auf. Verschämt denke ich: „Das wär’ doch nicht nötig gewesen!“ Und vielleicht löst gerade das die tiefe innere Freude aus: dass mich da jemand beschenkt, sich noch einmal bedankt oder einfach „nur“ an mich denkt, obwohl es doch gar nicht nötig gewesen wäre – ohne Not also und nicht aus Verpflichtung. Einfach so. Warum, liebe Hörerinnen und Hörer, tun Menschen so etwas? Aus Dankbarkeit, Anerkennung, Zuneigung, Anteilnahme, Sorge, Kollegialität, Freundschaft, Liebe.Freilich ist das Nicht-Notwendige manchmal auch das, wodurch ich mich von anderen oder anderem bewusst und ausdrücklich abgrenze: „Das hab’ ich nun wirklich nicht nötig… mich dafür herzugeben… oder der ewig hinterherzurennen… oder mir von dem das sagen lassen zu müssen!“ Lieber gehe ich – oder bleibe – auf Distanz. Die Erzählung von der Taufe Jesu im Evangelium an diesem Sonntag sprengt die vertrauten Verhaltensmuster, denn Jesus tut hier etwas, was er nun wirklich nicht nötig hat: er reiht sich ein in die Reihe der Sünder! Er zeigt, dass nichts und niemand gepflegte Distanz oder grundsätzliche Ablehnung verdient – sondern die heilende Nähe Gottes und der Menschen.
Im Bericht des Evangelisten Markus ist es das erste öffentliche Auftreten Jesu, der dazu nicht einfach einen Ort aufsucht, an dem eine möglichst hohe Anzahl Menschen anzutreffen ist. Jesus sucht kein Publikum und es kommt ihm nicht auf Masse an. Vielmehr folgt er denen, die in jenen Tagen an den Jordan hinausziehen. Er mischt sich unter die, die unter dem Eindruck der Umkehrpredigt Johannes des Täufers erkennen, dass sie schuldig geworden waren und ihr Leben einen Neuanfang braucht – in und mit Gott. Als äußeres Zeichen dieses Neuanfangs ruft Johannes die Menschen zur Taufe. Dazu lässt er die Menschen zu sich hinab in den Jordan steigen und drückt sie ganz unter Wasser. Das ist kein unbekanntes Ritual. Sklaven zum Beispiel wurden getauft, wenn sie frei gelassen werden sollten. Unter Anteilnahme der gesamten Hausgemeinschaft wurde das Sklave-sein abgewaschen. Aus dem Wasser heraus stieg ein freier Mensch.
In seiner Bereitschaft zur Taufe steigt auch Jesus tief hinab: Er, der Sündenlose, will die Taufe zur Vergebung der Sünden empfangen. Er, der Sündenlose, gliedert sich ein in eine „sündige“, in eine sich von Gott entfernte Menschheit. Als Teil von ihr – man könnte auch sagen: als einer von uns – steigt er hinab in die Tiefe der Schuld, gleichsam in sie hinein, denn nur so kann er sie in seine Hände nehmen und aufheben. Nur so kann er Bruder unter Geschwistern werden, Gleicher unter Gleichen. Nur so können die Gräben zugeschüttet und die Hürden abgebaut werden. Und genau so steht Jesus irgendwann da vor Johannes, der die Irritation selbst in Worte fasst: „Es kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren“ (Mk 1,7).
Jesus lebt eine tiefe, eine radikale Solidarität mit den Menschen. Schon hier, ganz zu Anfang seines öffentlichen Wirkens. Es ist das erste Mosaiksteinchen seiner Geschichte. Gleichsam der Grundton. So gibt es für Jesus die Frage nicht, ob es angemessen sei, dass der Höhere zum Niedrigeren, dass der Eigentliche zum Vorläufer, zum „Boten“ (Mk 1,2) kommt; eine Frage, die für die junge Kirche durchaus bedeutsam war. Jesus hört die Botschaft des Täufers und vollzieht das Zeichen der Taufe mit. Er sucht die Gemeinschaft mit Johannes und mit den Menschen, die sich zum Täufer aufgemacht haben. Er zeigt sich ihnen tief verbunden und voller Wohlwollen – obwohl er das ganz und gar nicht nötig hatte. Es ist reines Geschenk. Sein Geschenk.
Der Evangelist Markus beginnt sein Evangelium mit einer Szene, die das Wirken Johannes des Täufers als Wegbereitung für Jesus, den Christus, zeigt. Als der von Gott gesandte eschatologische „Bote“ (Mk 1,2), als „Rufer in der Wüste“ (Mk 1,2) kündigt er Jesus als „den Herrn“ (Mk 1,3) an, als „den Stärkeren“ (Mk 1,7) – gemäß der Schrift, dem Willen Gottes entsprechend.
Die Ankunft Jesu, des Stärkeren, mit dem Johannes sich nicht vergleichen kann, dem er den niedrigsten Sklavendienst – das Lösen der Schuhriemen – zu leisten nicht würdig ist, geschieht schließlich in einer Reihe mit den Sündern, die auf Vergebung, auf neue Lebensoptionen hoffen. Unter ihnen findet sich Jesus ein. Er hat noch kein einziges öffentliches Wort gesprochen, noch keine Jünger ermutigt, ihm zu folgen, noch kein Wunder gewirkt, noch nicht einen Menschen gesund gemacht. Jesus tritt einfach vor Gott hin. Er sucht und braucht keine Exklusivität. Er kommt zu Johannes dem Täufer wie die vielen anderen, die ihr Leben Gott hinhalten, um sich in ein neues Leben rufen zu lassen. Gott gibt seine Antwort: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ (Mk 1,11).
Rein äußerlich unterscheidet sich Jesus durch nichts von den anderen, die angerührt von der Predigt des Johannes an den Jordan hinausgekommen sind. Über diesem „unscheinbaren“ Jesus also – einem von vielen, wie es scheint – öffnet sich der Himmel, auf ihn kommt Gottes Geist herab, ihm, dem Menschenbruder, gilt der Anruf Gottes: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden. “ Die Kirche bekennt in diesem Geschehen seit jeher den öffentlichen Beginn des Heilshandelns Gottes in Jesus Christus. In den wenigen Jahren seines öffentlichen Wirkens wird Jesus zeigen, woran Gott Gefallen hat – und dass Gottes Liebe jedem einzelnen Menschen gilt und jeden einzelnen Menschen ruft. Auch dich, mich, uns – liebe Hörerinnen und Hörer.
Gottes geliebter Sohn tritt auf, wie es die Gottesknechtslieder aus dem Alten Testament beschreiben: ohne Aufsehen, still und unscheinbar. Geduldig wird er den Gedrückten und Niedergeschlagenen aufhelfen und leise die Welt mit Gottes Wundern überraschen: Geschenke des Himmels. Ungezwungen. Unerwartet. An uns ist es, diese Geschenke anzunehmen, sie einander zugänglich und zur treibenden Kraft unseres Lebens zu machen – wie etwa Dietrich Bonhoeffer, der folgendes Gebet im Juni 1944 in Gestapo-Haft verfasste:
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem beschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

(rv 11.01.2009 mc)







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