„Dignitas personae“
heißt das neue vatikanische Dokument zur Bioethik, das wir Ihnen am Freitag, dem Tag
seiner Veröffentlichung, bereits ausführlich vorgestellt haben. Es ist das erste diesbezügliche
Schreiben aus der Glaubenskongregation seit „Donum Vitae“, das vor 22 Jahren erschien.
22 Jahre sind eine lange Zeit angesichts der Fortschritte in der Biomedizin. Die eben
veröffentlichte Instruktion unterstreicht, dass die Lehre von Donum Vitae unverändert
gültig bleibt. Was bringt das neue Dokument an Neuem? Das fragten wir Sigrid Müller,
Professorin für Moraltheologie an der Universität Wien.
„Neu ist in dieser
Instruktion meiner Ansicht nach, dass es explizit einen Dialog mit den Fachwissenschaften
gibt. Das merkt man an der Sprache, die übernommen wird, und auch an den Hinweisen,
die gegeben werden. Es werden auch einige Details für das praktische Leben gegeben.
Und was mir weiter sehr gut gefällt, ist die theologische Einbettung der normativen
Aussagen, die getroffen werden. Es wird erklärt, wie die getroffenen Entscheidungen
mit dem Menschenbild aus dem Glauben heraus zusammenhängen. Ein weiterer Aspekt ist
die universale Einbettung der Frage. Das Leben wird nicht nur auf den Anfang hin konzentriert
betrachtet, sondern insgesamt. Das vom Hunger, von Krankheit oder von Krieg und Rassismus
bedrohte Leben. Die konkreten Fragen werden also vor dem Hintergrund eines globalen
Bildes vom Leben besprochen.“
Die Instruktion befürwortet - bei aller Kritik
an bestimmten Methoden - die biomedizinische Forschung, etwa an adulten Stammzellen,
weil dabei keine Embryonen zerstört werden. Bestehen bleibt die Ablehnung zentraler
Techniken wie etwa In-Vitro-Fertilisation, Präimplantationsdiagnostik oder Einfrieren
von Embryonen. Gibt es bestimmte moralisch bedenkliche Techniken, auf die das Dokument
nicht eingeht, bleibt da etwas offen?
„Das ist eine Frage, die sich gar
nicht so leicht beantworten lässt, weil die Materie, die biomedizinische Forschung,
in einem ständigen Wandel begriffen ist. Man weiß teilweise in der einen Woche noch
nicht, was in der nächsten Woche rausgefunden wird. Beinahe jeden Tag ergibt sich
etwas Neues. Und ein solches Dokument kann deswegen keine Vollständigkeit erreichen.
Ich denke, dass das Dokument das auch gar nicht anzielt. Das Wichtige ist, auf die
aktuell sichtbaren Fragen eine Antwort zu geben und Kriterien darzulegen, mit denen
man auch künftig neue Fragen behandeln kann.“
„Dignitas personae“ unterstreicht
erneut, dass der Ursprung des menschlichen Lebens seinen Ort in der Ehe und Familie
hat. In westlichen Gesellschaften erregt das Widerspruch, weil es den Eindruck erwecken
könnte, uneheliche Kinder seien der Kirche „weniger wert“. Wie entkräften Sie diesen
Einwand?
„Es ist so, dass nicht nur die Frage nach unehelichen Kindern zur
Sprache kommt. Mir selbst wurde schon oft die Frage nach den Kindern gestellt, die
über diese unerlaubten Techniken ins Leben kamen. Was ist denn mit denen? Sind die
weniger wert? Da gibt dieses Dokument keine Auskunft, sondern verweist zurück auf
„Donum Vitae“. Und dort findet man die schöne Aussage, dass ungeachtet dessen, wie
es zur Welt kam, jedes Kind als Geschenk der göttlichen Güte angenommen und in Liebe
aufgezogen werden muss. Ich denke darin, dass sich die Liebe Gottes auf alle Geschöpfe
bezieht, findet sich die Antwort. Deswegen wird kein Unterschied danach gemacht, auf
welche Weise dieses Kind ins Leben kam.“
U.a. in der Frage der künstlichen
Befruchtung kritisiert das Dokument staatliche Gesundheitsbehörden, die in keinem
anderen Bereich der Medizin eine „Therapie“ mit einer so hohen Rate an tödlichen Ausgängen
zulassen würden. Dennoch kann man sagen, dass „Dignitas Personae“ - auf einer anderen
Ebene - den demokratischen Rechtsstaat verteidigt. Inwiefern?
„Zum Einen
legt es sehr großen Wert auf die Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaates, nämlich
auf die Würde jedes einzelnen Menschen, ungeachtet der Person und ungeachtet der jeweiligen
Fähigkeiten. Hier setzt sich das Dokument für das gleiche Menschenrecht aller Menschen
ein und ist damit schon sehr nah an den grundlegenden Dingen eines demokratischen
Rechtsstaates. Das Anliegen, die Mobilisierung des Gewissens zu Gunsten des Lebens,
betrifft immer alle Menschen, die in einem Staat zusammen leben und trachtet nach
den Lebensmöglichkeiten aller Menschen. Ein zweiter Gesichtspunkt ist, dass das Dokument
sich als Beitrag zur Gewissensbildung versteht. Es richtet sich an die Gläubigen,
aber auch an alle wahrheitssuchenden Menschen. Daran erkennt man, dass vorausgesetzt
wird, dass es immer auch Menschen gibt, die andere Haltungen haben. Das ist eine Grundlage
für einen demokratischen Staat, dass man die eigene Meinung zur Sprache bringt und
gleichzeitig anerkennt, dass es Menschen mit anderen Meinungen geben kann.“
Die
katholische Kirche hat ihre Positionen zur Bioethik mit der neuen Instruktion nochmals
abgesteckt. Wird sie in der Öffentlichkeit gehört, wird das Dokument auch über Kirchenkreise
hinaus ernsthaft rezipiert?
„Da ist es die Frage, was man unter „ernsthaft
rezipiert“ versteht. Wenn man im Gespräch mit anderen Menschen ist, kann man diese
nicht einfach überreden. Man kann lediglich die eigene Meinung abgeben und Gründe
benennen, aber nicht verhindern, dass sich jemand verschließt und diese Argumente
gar nicht zulässt. Andererseits kann eine überzeugte Darlegung die Stellungnahmen
anderer auch herausfordern. Dann wird ein Nachdenken angeregt, ein Überdenken der
eigenen Position. Und ich denke, in diesem zweiten Sinne wird das Dokument sicher
wahrgenommen werden. Dardurch wird ein Diskussionsprozess in Gang gebracht werden.“