Vatikan: Die Bekehrung des Paulus als Muster wahrer Umkehr
Alle Jahre wieder: Auch in diesem Jahr stellt der Prediger des Päpstlichen Hauses,
Kapuzinerpater Raniero Cantalamessa, in der Adventszeit einen Besinnungstext für den
Papst und die Kurie. Das Thema der ersten Betrachtung des Kapuzinerpaters zur Vorbereitung
auf Weihnachten lautete: „Doch was mir damals ein Gewinn war, das habe ich um Christi
Willen als Verlust erkannt" (Phil 3,7) – die Bekehrung des Paulus, Vorbild wahrer
Bekehrung gemäß dem Evangelium.
(zenit 07.12.2008 mg)
Lesen Sie
hier den gesamten Text von Raniero Cantalamessa
Das Paulusjahr ist eine
große Gnade für die Kirche, stellt uns aber auch vor eine Gefahr: Die Gefahr, bei
Paulus, bei seiner Person und Lehre stehen zu bleiben, ohne den folgenden Schritt
von Paulus zu Christus zu tun. Der Heilige Vater hat vor dieser Gefahr in der Predigt,
in der er das Paulusjahr ausgerufen hat, gewarnt. Während der Generalaudienz vom 2.
Juli bekräftigte er deshalb: „Das ist denn auch der Zweck des Paulusjahres: Vom heiligen
Paulus lernen, den Glauben lernen, Christus lernen, schließlich den Weg des rechten
Lebens lernen." Viele Male ist dies in der Vergangenheit geschehen, bis hin zur
Formulierung der absurden These, nach der Paulus, nicht Christus, der wahre Gründer
des Christentums wäre. Jesus Christus wäre für Paulus das gewesen, was Sokrates für
Platon war: Ein Vorwand, ein Name, der dem eigenen Denken zu unterstellen ist. Der
Apostel ist, wie vor ihm Johannes der Täufer, ein Zeigefinger, der auf den weist,
der „größer ist als er", während er sich nicht einmal dessen würdig befindet, sein
Apostel zu sein. Jene These ist die vollständigste Verfälschung und die schwerste
Beleidigung, die gegenüber dem Apostel Paulus vorgebracht werden kann. Kehrte er ins
Leben zurück, so würde er auf jene These mit derselben Vehemenz reagieren, mit der
er angesichts eines ähnlichen Missverständnisses der Korinther fragte: „Wurde etwa
Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden?"
(1 Kor 1,13). Ein weiteres Hindernis, das wir Gläubigen überwinden müssen, besteht
darin, bei der Lehre des Paulus über Christus stehen zu bleiben, ohne uns von seiner
Liebe zu ihm und von seinem Feuer anstecken zu lassen. Paulus will für uns nicht nur
eine Wintersonne sein, die zwar Licht spendet, aber nicht wärmt. Die offensichtliche
Absicht seiner Briefe ist vielmehr, den Leser nicht nur zur Kenntnis, sondern auch
zur Liebe und zur Leidenschaft für Christus zu führen. Zu diesem Zweck wollen die
drei Adventsbetrachtungen dieses Jahres beitragen, ausgehend von der heutigen, in
der wir über die Bekehrung des Paulus nachdenken werden, ein Ereignis, das, nach dem
Tod und der Auferstehung Christi, den größten Einfluss auf das Christentum genommen
hatte. 1. Die Bekehrung des Paulus von Innen gesehen Die beste Erklärung der
Bekehrung des heiligen Paulus ist jene, die er selbst gibt, wenn er von der christlichen
Taufe als einem „Getauftsein auf den Tod Christi" spricht und dabei sagt: „Wir wurden
mit ihm begraben", um mit ihm aufzuerstehen und „als neue Menschen zu leben" (vgl.
Röm 6,3-4). Er hat das Ostergeheimnis Christi an seiner Person neu gelebt, um das
sich in der Folge sein ganzes Denken drehen sollte. Es gibt auch äußerliche und beeindruckende
Ähnlichkeiten. Jesus blieb drei Tage im Grab; drei Tag lang lebte Saulus wie ein Toter:
Er konnte weder sehen noch aufstehen oder essen; dann - im Augenblick der Taufe -
öffneten sich seine Augen, er konnte essen und wieder zu Kräften kommen, er kehrte
ins Leben zurück (vgl. Apg 9,18). Sofort nach seiner Taufe zog sich Jesus in die
Wüste zurück, und auch Paulus zog sich nach seiner Taufe durch Hananias in die Wüste
von Arabien zurück, das heißt in die Wüste um Damaskus. Die Exegeten nehmen an, dass
zwischen dem Ereignis auf dem Weg nach Damaskus und dem Beginn seines öffentlichen
Wirkens in der Kirche ungefähr zehn Jahre der Stille im Leben des Paulus liegen. Die
Juden suchten ihn, um ihn zu töten; die Christen trauten ihm noch nicht und hatten
Angst vor ihm. Seine Bekehrung erinnert an jene Kardinal Newmans, den seine vormaligen
Brüder im anglikanischen Glauben als Abgefallenen sahen, während ihm die Katholiken,
wegen seiner neuen und gewagten Ideen, voller Misstrauen begegneten. Der Apostel
hatte sich in ein langes Noviziat begeben; seine Bekehrung hat nicht nur wenige Minuten
gedauert. Und in dieser seiner Kenosis, in dieser Zeit des Leerwerdens und der Stille
hat er jene explosive Energie und jenes Licht angesammelt, das er eines Tages über
der Welt ausgießen sollte. Von der Bekehrung des Paulus stehen uns zwei verschiedene
Beschreibungen zur Verfügung: Die ein beschreibt das Ereignis sozusagen von Außen
und in einem historischen Schlüssel, während die andere das Ereignis von Innen, in
einem psychologischen oder autobiographischen Schlüssel erzählt. Die erste Art findet
sich in den verschiedenen Berichten, die in der Apostelgeschichte zu lesen sind. Zu
ihr gehören auch einige Hinweise, die Paulus selbst auf das Ereignis gibt, wenn er
erklärt, wie er sich vom Verfolger zum Apostel Christi wandelte (vgl. Gal1,13-24). Zur
zweiten Art gehört das dritte Kapitel des Briefes an die Philipper, in dem der Apostel
eine Beschreibung von dem gibt, was für ihn, subjektiv gesehen, die Begegnung mit
Christus bedeutete; eine Beschreibung dessen, was er vorher gewesen ist, und dessen,
was er in deren Folge geworden ist; mit anderen Worten: worin im existentiellen und
religiösen Sinne die Veränderung bestand, zu der es in seinem Leben gekommen ist.
Wir konzentrieren uns auf diesen Text, der, dem Werk des heiligen Augustinus ähnlich,
als die „Bekenntnisse des heiligen Paulus" definiert werden könnte. Bei jeder Veränderung
gibt es einen terminus a quo und einen terminus ad quem, einen Ausgangs- und einen
Endpunkt. Der Apostel beschreibt vor allem den Ausgangspunkt, das heißt das, was er
vorher gewesen ist: „Wenn ein anderer meint, er könne auf irdische Vorzüge vertrauen,
so könnte ich es noch mehr. Ich wurde am achten Tag beschnitten, bin aus dem Volk
Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, lebte als Pharisäer nach dem
Gesetz, verfolgte voll Eifer die Kirche und war untadelig in der Gerechtigkeit, wie
sie das Gesetz vorschreibt" (Phil 3,4-6). Es ist leicht, beim Lesen dieser Beschreibung
einen Fehler zu begehen: Es handelt sich dabei nicht um negative Titel, sondern vielmehr
um die höchsten Titel der Heiligkeit jener Zeit. Mit ihnen hätte sofort der Heiligsprechungsprozess
des Paulus begonnen werden können, hätte es derartiges damals gegeben. Es ist, als
sage man von einem heutigen Menschen: Getauft am achten Tag, der Struktur des Heils
par excellence, der katholischen Kirche, zugehörig, Mitglied eines der strengsten
Ordens der Kirche (das waren nämlich die Pharisäer), der Ordensregel gegenüber streng
gehorsam... Dagegen trennt im Text ein Absatz die Seite und das Leben des Paulus
in zwei Teile. Es wird von einem entgegensetzenden „Doch" ausgegangen, das einen totalen
Kontrast bildet: „Doch was mir damals ein Gewinn war, das habe ich um Christi
Willen als Verlust erkannt. Ja noch mehr: Ich sehe alles als Verlust an, weil die
Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft. Seinetwegen habe ich alles
aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen" (Phil 3,7-8). Dreimal
kehrt in diesem kurzen Text der Name Christi wieder. Die Begegnung mit ihm hat sein
Leben zweigeteilt, sie hat ein „Vorher" und ein „Nachher" geschaffen. Eine höchst
persönliche Begegnung - es ist dies der einzige Text, in dem der Apostel die Singularform
„mein" und nicht „unser" Herr benutzt - und eine eher existentielle als mentale Begegnung.
Keiner wird je genau wissen, was sich in jenem kurzen Gespräch zutrug: „Saulus, Saulus!"
- „Wer bist du, Herr?" - „Ich bin Jesus!". Eine „Offenbarung", wie er es definiert
(vgl. Gal 1,15-16). Es handelte sich um einen Art Verschmelzung, um einen Lichtblitz,
der noch heute, nach einem Zeitraum von 2000 Jahren, die Welt erhellt.