„Ein Quantum Trost.“
Veronika Prueller-Jagenteufel, Theologin und Chefredakteurin von „Diakonia - Internationale
Zeitschrift für die Praxis der Kirche", hält dem Filmtitel aus der Reihe James Bond
den Ruf aus dem alttestamentlichen Buch Jesaja entgegen: „Tröstet mein Volk“. Lesen
und hören Sie ihre Betrachtung zum zweiten Adventssonntag:
Seit einiger Zeit
schauen mich auf meinem üblichen Weg durch Wien von einem Plakat zwei elegant gekleidete
Menschen an – eine schöne Frau und ein durchtrainierter Mann in den besten Jahren.
Beide schauen ernst, eher verbissen drein, und das obwohl die dicken Buchstaben auf
dem Plakat von Trost sprechen: Ein Quantum Trost steht da – ein Filmtitel. Der Mann
hält einen Revolver in der Hand. Es ist James Bond, der Superagent – und er ist –
so viel weiß ich von der Filmstory – unterwegs, um die Mörder seiner Freundin zu suchen.
Ich vermute, er sucht das nötige Quantum Trost in der Rache – und wohl auch bei der
nächsten schönen Frau an seiner Seite. Beides scheinen mir in unserer Gesellschaft
häufig angewandte Strategien zu sein, um mit den Härten des Lebens zurecht zu kommen:
erstens Zurückschlagen – und wenn der Schuldige an meinem Unglück nicht greifbar ist,
dann wird zum Ausgleich jemand anders geschlagen – und zweitens der wahllose Griff
nach der schnellen Befriedigung meiner Wünsche nach menschlicher Wärme, und sei es
nur in flüchtigen Beziehungen. Sehr getröstet schauen auf dem Plakat weder der
James Bond noch seine Filmpartnerin aus – sehr getröstet kommen mir auch viele moderne
Zeitgenossen nicht vor. Dabei ist Trost wohl nicht zufällig das Stichwort einer Werbecampagne
für einen Film, der Millionen einspielen soll, und wohl auch nicht zufällig das Thema,
das die Liturgie des Zweiten Adventsonntags aufgreift. Die Sehnsucht nach Trost
ist eine Ursehnsucht, ein Urbedürfnis von uns Menschen. Schon Babys müssen nicht nur
gefüttert, sondern auch getröstet werden. Trost zu gewähren ist eine der ursprünglichsten
Formen menschlicher Zuwendung. In diese Tiefen unseres Menschseins hinein spricht
die aktuelle Filmwerbung ebenso wie die biblische Botschaft. Doch sie weisen dabei
in ganz verschiedene Richtungen. Das Filmplakat scheint mir die gesellschaftliche
Stimmung – zumindest einen ihrer Hauptstränge – gut ins Bild zu bringen: Die sind
zwei taffe Leute zu sehen, hart im Nehmen und ebenso hart im Austeilen. Dass sie überhaupt
Trost brauchen, ist ihnen nicht anzusehen. Zuzugeben, dass wir trostbedürftig sind,
ist ja nicht leicht. Jahrzehntelang haben wir in der Idee gelebt, alles im Griff zu
haben – wenn wir es nur richtig anstellen. Schwäche zu zeigen, war und ist verpönt.
Wer scheitert oder an Grenzen stößt, soll danach möglichst schnell wieder fit sein.
Institutionen wie die Kirchen werden zuständig dafür gemacht, die Gescheiterten und
die Traurigen wieder aufzupäppeln – damit sie bald wieder reibungslos funktionieren.
Mit den Bedürftigen wird auch die eigene Bedürftigkeit und Ohnmacht an den Rand gedrängt,
aus dem Blickfeld hinaus. Solange Krankheit, Tod, Scheitern, Armut in Randzonen der
Gesellschaft, in Pflegeheimen und Sozialstationen verwahrt sind, können wir so tun,
als hätten wir normalerweise gar keinen Trost nötig. Vielleicht ist das jetzt ein
wenig überzeichnet, aber mir wird manchmal ein bisschen bange in unserer so schnellen
und so fitten Gesellschaft, die in so vielen Bereichen auf Konkurrenz als Wundermittel
setzt, in der einflussreiche Menschen die Meinung vertreten, nur wenn man Leute unter
Druck setzte, wären sie leistungswillig, und nur wer bereit und fähig sei, die anderen
aus dem Feld zu stechen, habe ein Recht da zu sein. Ist es wirklich Trost genug, sich
vorzustellen: Einmal sitz ich da oben, hinterm Chefschreibtisch und dann karnifel
ich alle anderen? Die Verse der Lesung aus dem 40. Kapitel des Propheten Jesaja
lesen sich da doch anders: Da steht, dass Gott seinem Volk Trost zuspricht, indem
er ihnen Heimkehr verheißt aus dem babylonischen Exil; Gott ruft Berge und Täler auf,
sich einzuebnen, damit das Volk und Gott in seiner Mitte auf ebenem Pfad, also leicht
und ohne Mühen heimkehren können. Die Freude über diese Heimkehr soll laut erschallen.
Und doch ist es kein Triumphzug eines siegreichen Heeres, der hier angesagt wird,
sondern der Gang eines zärtlichen Hirten, der für die Seinen sorgt. Johannes der
Täufer greift auf diese alte Verheißung zurück und ruft dazu auf, von Neuem das Kommen
Gottes zu erwarten und für Gott die Wege zu ebnen. Er versteht das nun als Aufgabe
der Menschen – als äußeres Zeichen dafür lassen sich viele taufen. Damit bekennen
sie sich öffentlich als solche, die bedürftig sind nach der Zuwendung Gottes. Sie
hoffen auf Gottes Ankunft. Und wieder ist da kein strahlendes Heldentum in Sicht,
kein militärischer oder wirtschaftspolitischer Sieg, sondern Gottes Bote ist einer,
der in der Wüste lebt, dem zugewandt, was ihm die karge Natur bietet. Er erinnert
Israel damit an seine Ursprungszeit in der Wüste, im Exodus – an die Zeit, da das
Volk ganz gottverbunden gelebt hat, aus der Dankbarkeit für die Befreiung. Gott neu
den Weg zu bereiten, bedeutet, wieder offen zu werden, für diese Nähe und Verbundenheit,
bedeutet, sich neuerlich ganz auf Gott zu verlassen. Diese Botschaft vom Trost,
weil Gott zu uns kommt, weil Gott unter uns ist, weil wir mit Gott heimkehren – diese
Botschaft trifft heute mitten hinein in die Krisenstimmung, die die Turbulenzen am
Finanzmarkt hinterlassnen haben – mitten hinein in die ängstlichen Fragen vieler,
ob sie noch genug Geld haben, um die Heizkosten zu zahlen, ob sie ihren Job behalten
können oder wieder einen finden werden, ob sie ihre Firma werden aufgeben müssen.
Tröstet sie diese Botschaft? Die Botschaft trifft hinein in die Alten- und Pflegeheime.
Kann sie die Frau trösten, in der die Demenz unstillbare Unruhe auslöst? Tröstet sie
den alten Herrn, dem seine Kinder vorsorglich den Autoschlüssel weggenommen haben
und der lernen muss, dass nicht mehr seine Kinder auf ihn, sondern er auf seine Kinder
angewiesen ist? Trost, so ruft die biblische Botschaft in Erinnerung, besteht nicht
darin, irgendwelche Schuldigen zu bestrafen; Trost ist kein Triumph über die anderen.
Der Trost, den Gott zuspricht, besteht in der gemeinsamen Heimkehr, friedlich wie
eine Herde mit ihrem Hirten. Trost ist die Verheißung von der Gegenwart Gottes unter
uns. Ich hoffe auf Menschen, die auch heute Trost nicht darin suchen, sich rasch
auf die Seite derer zu schlagen, die aus der Krise Gewinn ziehen. Auch für uns, scheint
mir, liegt besserer Trost darin, heimzukehren – zurück aus den Verstiegenheiten eines
Wirtschaftssystems, das nicht mehr das Wohl der Menschen im Zentrum hatte. Zurück
aus Lebenshaltungen, die andere verdrängen und ausstechen wollen. Tröstlich ist es,
heimzukehren in eine Welt des Teilens, der Solidarität und gegenseitigen Sorge umeinander.
Bereiten wir dafür die Wege! Nicht die Welt als solche ist für uns Christen ein
Exil, sondern die kalte Scheinwelt der Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit. Die Welt
wird uns zur Heimat, wenn wir es machen wie Gott: uns voller Herzlichkeit einlassen
auf die anderen, auf die, die noch bedürftiger sind als wir. Denn Gott selbst kommt
zu uns, kehrt heim in diese Welt – wir dürfen es mit ihm. Gibt es einen besseren
Trost, eine größere Freude als die, dass Gott genaue diese unvollkommene Welt, dieses
begrenzte Leben mit uns teilt und für uns öffnet auf Seine Gegenwart hin? (rv)