Eine Art Kruzifixstreit
gibt es jetzt auch in Spanien: Zum ersten Mal hat dort ein Richter entschieden, dass
in einer öffentlichen Schule die Kreuze von den Wänden abgehängt werden müssen. Das
Urteil aus dem nordspanischen Valladolid ist nur die jüngste Episode einer anti-christlichen
Welle in Spanien – so sehen das jedenfalls die Bischöfe, die ab diesem Montag in Madrid
zu ihrer Vollversammlung zusammentreten.
„Unsere Gesellschaft ist krank – sehr
krank“, befindet der spanische Primas, Kardinal Antonio Canizares, an diesem Montag.
„Wir können nicht länger die Augen verschließen. So vieles geschieht in diesen Wochen:
Das Parlament verweigert eine Ehrung für eine katholische Ordensfrau, in Valladolid
werden Kreuze zum Verschwinden gebracht, und vieles mehr... Daran zeigt sich eine
Christophobie – letztlich ist das Selbsthass.“
Die verweigerte Ehrung einer
Ordensfrau – das ist tatsächlich eine Geschichte, an der sich ablesen läßt, wie gewaltsam
die Säkularisierung im immer noch mehrheitlich katholischen Spanien vor sich geht.
„Die spanische Linke, die durch allerlei Gesetze und politische Manöver noch nachträglich
den Bürgerkrieg gewinnen möchte, ist unversehens über eine tote Nonne gestolpert“,
so kommentiert den Vorgang die Frankfurter Allgemeine. Was ist geschehen? Dem konservativen
Abgeordneten Jorge Fernandez Diaz war aufgefallen, dass die Heilge Maria Pidal, Mutter
der Wunder Jesu, 1892 in einem Haus geboren worden ist, das heute zum spanischen Parlament
gehört.
„Es ist doch etwas völlig Normales in allen Städten der Welt, für
historische Persönlichkeiten Erinnerungsplaketten anzubringen. Hier ist das jetzt
durch Zufall eine heilige Karmelitin, aber das gälte genauso für bekannte Persönlichkeiten
mit anderen Charakteristika.“
Dachte der Abgeordnete Diaz und sprach deswegen
mit dem Parlamentspräsidenten, José Bono. Der ist zwar Sozialist, aber auch ein guter
Katholik, und hatte nichts gegen eine Gedenkplakette einzuwenden. Allerdings hatte
er bei seiner Zustimmung die Rechnung ohne den Wirt gemacht – sprich: ohne seine Kollegen
von der sozialistischen Regierungsfraktion. Die fielen hinter verschlossenen Türen
über Bono her.
„Ich bin überhaupt nicht einverstanden mit dem Genossen Bono“,
sagte der Links-Abgeordnete Juan Barranco. Eine katholische Ordensfrau zu ehren –
das widerspreche strikt dem laizistischen Charakter des Staates. Nur wenige besänftigende
Stimmen kamen zu Wort, etwa die frühere Ministerin Maria Trujillo.
„Ich glaube,
die Beziehungen zur Kirche bestehen aus einer Politik der Gesten. Lassen wir mal das
Konkordat mit dem Heiligen Stuhl beiseite. Und darum scheint mir die Geste von Präsident
Bono nicht falsch, und auch nicht, dass Minister den Amtseid vor einem Kreuz ablegen.
Und auch nicht, dass die Regierung Beziehungen zur katholischen Kirche pflegt.“
Kurz
vor dem letzten Wochenende gewinnt die Polemik weiter an Fahrt: Bono wird von einer
Kamera dabei belauscht, wie er im Gespräch mit Abgeordneten sagt, die Politiker seiner
Fraktion seien manchmal „richtige Hurensöhne“. Die Aufnahme wird in den Abendnachrichten
zur besten Sendezeit gebracht.
„Beginnen wir mit einer Meldung, die gerade
hereinkommt: Neue Episode in der Polemik um Schwester Maravillas im Kongress. In einer
informellen Unterhaltung auf dem Kongress-Flur hat Parlamentspräsident Bono die Mitglieder
seiner eigenen Fraktion scharf angegriffen. Der Ton ist nicht sehr gut, aber er läßt
sich verstehen....“
Der Streit ist vom Grundsätzlichen ins Persönliche geschwenkt
– eine Gedenkplakette für Maria Pidal, die von Johannes Paul II. vor fünf Jahren heiliggesprochen
wurde, läßt sich nicht mehr durchsetzen.
„Eine Kamera hat mir offensichtlich
einige Worte abgelauscht, die als Witz gemeint waren“, erläutert Bono gewunden. „Wenn
ich irgendjemanden damit beleidigt haben sollte, dann entschuldige ich mich natürlich
dafür. Jedenfalls waren diese Worte in diesem Zusammenhang nichts als ein Witz.“
Als
gäbe es nicht Spaniens ernsteste Wirtschaftskrise seit der Einführung der Demokratie
im Land vor einem Vierteljahrhundert, streitet todo Madrid erbittert um die tote,
heilige Ordensfrau. Im staatlichen Rundfunk fallen sich der Konservative Diaz, von
dem die Idee mit der Plakette kam, und die sozialistische Abgeordnete Carmen Hermosin
ständig gegenseitig ins Wort: „Das war nun mal eine Karmelitin, diese Senora“, meint
die Sozialistin.
„Ich bin gegen eine Ehrung dieser Art – nicht wegen der Person.
Ich habe gute Erinnerungen an mein Karmeliterinnen-Kolleg. Aber diese Senora hat nun
mal nichts im Abgeordneten-Kongress verloren!“
„Heute sprechen wir wieder von
Schwester Maravillas – der Nonne, die das Abgeordnetenhaus revolutioniert hat. Die
Polemik hat eine unerwartete Wendung genommen: Es wird keine Gedenkplakette für diese
Karmelitin geben – das hat der Kongress jetzt mit Stimmenmehrheit beschlossen. Parlamentspräsident
Bono ist unter dem Druck seiner Partei eingeknickt.“
Für den spanischen Staat
ist das eine seltsame Premiere: Zum ersten Mal muß das Präsidium des Parlaments eine
eigene Entscheidung zurücknehmen. So etwas hat es noch nie gegeben, der Fall ist noch
nicht einmal vorgesehen.
„Die Entscheidungen des Parlamentspräsidiums können
nun einmal irrtümlich sein – besonders meine eigenen“, kommentiert Bono. „Es gab jedenfalls
keine böse Absicht gegen wen auch immer. Meine Haltung war immer die, dass man niemanden
vor den Kopf stoßen sollte.“
Vor den Kopf gestoßen fühlt sich jetzt aber der
Abgeordnete Diaz, übrigens einer von Bonos Stellvertretern:
„Es ging doch nur
darum, für jemanden eine Gedenkplakette anzubringen – wie wir das hier in Madrid ständig
tun. Wenn man das allerdings dann gleich als Agression wahrnimmt auf den nicht-konfessionellen
Charakter des Staates, oder als Agression gegen die religiösen Überzeugungen der Leute,
dann führt das zu Spannungen und Spaltungen – in diesem Geist kommt man dann nicht
mehr weit. Bei allem Respekt, aber die sozialistische Fraktion hat da einfach gemauert.
Wenn wir diese Logik weiterdenken, dann könnten wir doch auch sagen: Guckt mal, im
Plenarsaal sind die Katholischen Könige dargestellt! Sollen wir die entfernen? Auch
aus der Kuppel des Plenarsaals? Da sind die Gesetzestafeln zu sehen – also ein religiöses
Symbol! Das hat doch keinen Sinn!“
„Und wenn wir mal nach Frankreich schauen
– das ist eine laizistische Republik, aber in einer ihrer Akademien saß Kardinal Joseph
Ratzinger, der jetzige Papst. Und Papst Benedikt konnte jetzt in Paris eine Vorlesung
halten, ohne dass irgendjemand protestiert hätte! Denn eine positive Laizität bedeutet
nun mal eine klare Unterscheidung von weltlicher und kirchlicher Sphäre – aber Zusammenarbeit
für das Gemeinwohl.“
Diese ganze Geschichte von der Heiligen und den Abgeordneten
bildet jetzt den Resonanzboden für die Entscheidung von Richtern in Valladolid, die
Kreuze hätten aus einer staatlichen Schule der Stadt zu verschwinden. Der Vater einer
Schülerin hatte mit einer Klage gegen das Kreuz im Klassenzimmer Recht bekommen.
„Ich
glaube, dass solche drastischen Maßnahmen nichts mit Erziehung zu tun haben“, sagt
Kardinal Carlos Amigo von Sevilla. „Es wäre richtig, religiöse Symbole nicht über
Bord zu werfen; stattdessen sollten Schulkinder lernen, wie man religiöse Zeichen
welcher Religion auch immer respektiert.“
Auf der Tagesordnung der Herbstvollversammlung
von Spaniens Bischöfen steht – so berichtet unsere Korrespondentin – alles Mögliche:
Bibel-Initiativen, Mission, Wahl eines Generalsekretärs, Entscheidung über den Austragungsort
eines Eucharistischen Kongresses. Die großen Themen, über die sich die Bischöfe immer
wieder mit der Linksregierung von Joseluis Zapatero streiten – vor allem Lebensschutz
-, sind offiziell diesmal kein Debattenthema. Doch auf den Fluren wird es vor allem
darum gehen, wie die Kirche die ständigen Angriffe aus Politik und Gesellschaft wird
parieren können. Demonstrieren? Bringt nicht viel, hatte von Paris aus der dortige
Kardinal Vingt-Trois kürzlich seinen Amtsbrüdern in Spanien geraten. Aber tatenlos
bleiben dürfen die Bischöfe nicht: Zumal ja auch die Zahl der praktizierenden spanischen
Katholiken, wie El Pais an diesem Wochenende vorrechnet, in zwei Jahrzehnten um über
zwanzig Prozentpunkte zurückgegangen ist. Die Finanzkrise stelle die Kirchenfinanzierung
immer mehr in Frage, und Kardinal Canizares werde vielleicht bald nach Rom versetzt,
so dass dem linken Regierungschef einer seiner schärfsten Kritiker abhanden käme.
Schreibt El Pais. Ohnehin wolle Zapatero bald Abtreibung weiter freigeben und Euthanasie
einführen... Spaniens Kirche fühlt sich in diesen Tagen wieder einmal mit dem Rücken
zur Wand, und unter Dauerbeschuss aus der Gesellschaft. Wie sagt es Kardinal Canizares:
„In der spanischen Gesellschaft zeigt sich Christophobie – letztlich ist das Selbsthass.“