Dokumentation: Die Predigt Bertones im Essener Dom
Martin Krebs, der künftige Apostolische Nuntius in Guinea und Mali, ist am Sonntag
in Essen zum Bischof geweiht worden. Der vatikanische Kardinal-Staatssekretär Tarcisio
Bertone nahm die Zeremonie im Dom vor. Wir dokumentieren im folgenden das deutsche
Predigtmanuskript von Kardinal Bertone.
Liebe Mitbrüder im bischöflichen und
priesterlichen Dienst! Lieber Monsignore Martin! Sehr geehrte Vertreter des
öffentlichen Lebens! Liebe Brüder und Schwestern!
“Ecce Sacerdos magnus”:
Wie oft ist dieser Gesang in eurem schönen, den heiligen Kosmas und Damian geweihten
Dom erklungen, der früheren Abteikirche zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit, die mehrmals
im Laufe der Jahrhunderte neu errichtet wurde! Heute nimmt diese heilige Stätte gleichsam
die gesamte Gemeinschaft des Bistums Essen auf, die sich um einen ihrer Söhne schart,
dem Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. [der Sechzehnte] die Bischofswürde verliehen
hat. Der Heilige Vater hat Martin Krebs zum Titular-Erzbischof von Taborenta erwählt
und ihn zu seinem Vertreter bei den Kirchen und staatlichen Autoritäten in zwei afrikanischen
Ländern vorgesehen: Guinea und Mali. Wie uns die Liturgie einlädt, wollen wir an erster
Stelle dem Herrn für die Gabe danken, die er heute diesem unserem Bruder durch die
Erwählung zum Hirten seiner Herde gewährt; laßt uns die Barmherzigkeit Gottes anrufen,
damit er ihn mit jener Weisheit und Güte erfülle, die notwendig sind, um den bischöflichen
Dienst zum Wohl der Seelen gut und glücklich zur Vollendung zu bringen. In diesem
Klima des Gebets und der geistlichen Brüderlichkeit möchte ich euch alle, die ihr
hier zugegen seid, herzlich grüßen: die Bischöfe und insbesondere die Mitkonsekranten
– den Hirten dieser Diözese, Seine Exzellenz Bischof Felix Genn [si pronuncia: Ghenn],
dem ich für die liebenswerte Gastfreundschaft danke, und den ehemaligen Apostolischen
Nuntius in Deutschland, Seine Exzellenz Erzbischof Erwin Josef Ender – wie auch den
derzeitigen Apostolischen Nuntius, Seine Exzellenz Erzbischof Jean Claude Périsset.
Ich grüße die Priester, die Diakone und die Ordensleute, die Vertreter des öffentlichen
Lebens, die Verwandten und Freunde, die aus verschiedenen Orten gekommen sind, um
dir, lieber Monsignore Martin, in diesem Moment voller Emotion und tiefer Spiritualität
nahe zu sein. Einen besonderen Gruß richte ich an deine Familienangehörigen, an erster
Stelle an deine liebe Stiefmutter Leni, an deine Schwester und deine drei Brüder.
Ein besonderes Gedenken gilt deiner Mutter Margarethe und deinem Vater Gerhardt, die
sich vom Himmel aus mit uns in dieser feierlichen Liturgie verbinden und die dich
weiterhin auf der apostolischen Mission, die dich erwartet, begleiten. Gerne überbringe
ich dir und allen Anwesenden den Gruß und den Segen des Heiligen Vaters Papst Benedikt
XVI. [des Sechzehnten], der sich geistlich mit uns in dieser Feier verbindet, und
ich denke, du hast die Freude, ihm bald begegnen zu dürfen. „Ein Dienst und kein
Traumjob. Und dieser Dienst fordert, verlangt Verzicht.“ So hast du, lieber Monsignore
Martin, die Aufgabe, die auf dich wartet, beschrieben, als am vergangenen 8. [achten]
September deine Ernennung zum Erzbischof und zum Apostolischen Nuntius in Guinea und
Mali veröffentlicht wurde. Das Bischofsamt ist nicht die Arbeit, nicht der „Job“,
von dem du geträumt hast, sondern ein Dienst, der Opfer fordert, ja verlangt. Dieses
Dienstamt wirst du in Afrika ausüben, auf einem Kontinent voller Hoffnung, der aber
auch von großer Armut und nicht wenigen Problemen gezeichnet ist. Du wirst zum Vermittler
der väterlichen Gegenwart und Sorge des Nachfolgers Petri, mit welcher dieser den
Weg der christlichen und zivilen Gemeinschaften jener geliebten Nationen in Westafrika
begleitet. Als junger Mensch hast du davon geträumt, Arzt zu werden, und zwar um den
Körper der Menschen zu heilen; und der Herr hat dich in der Priesterweihe – vor genau
25 [fünfundzwanzig] Jahren, am 10. [zehnten] Oktober 1983 [neunzehnhundert-dreiundachtzig]
– zum Arzt für die Seelen gemacht; du hast die Leidenschaft zur Musik, der Harmonie
der Töne, gepflegt, und dies wird dir die Suche nach Harmonie und Dialog zwischen
Menschen und Gemeinschaften, zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen erleichtern,
während die Fähigkeit des geduldigen Zuhörens, die dir zugesprochen wird, dir helfen
wird, in jeder Situation Werkzeug des Friedens und der Versöhnung zu sein. „Beati
misericordes“ (Mt 5,7). Dieser Wahlspruch, den du für dein Wappen gewählt
hast, ist auch das Programm deines bischöflichen Dienstes: Apostel, Werkzeug und Zeuge
der göttlichen Barmherzigkeit zu sein. „Selig die Barmherzigen“ ist eine der Seligpreisungen
des Evangeliums, die, wie du wohl weißt, die göttliche Barmherzigkeit denen verheißt,
welche Barmherzigkeit üben. Und nach der Bergpredigt ist die Barmherzigkeit kein bloßes
Gefühl, das heißt, sie beschränkt sich nicht auf die Empfindsamkeit des Herzens, das
Mitleid mit dem Unglück anderer zu fühlen vermag, sondern sie äußert sich ganz konkret
in der Art und Weise des Handelns. Die Barmherzigkeit ist ein Mitleiden, das in Hilfe
für den Nächsten umgesetzt wird, mag es auch Opfer kosten. Sich barmherzig zu erweisen
bedeutet daher von Herzen und ohne Einschränkungen zu vergeben, stets dem Nächsten
zu helfen, besonders wenn er in Not ist. Im Grunde ist dies die Sendung eines jeden
Hirten, und du, lieber Monsignore Martin, wirst im Nachgehen auf den Spuren Jesu,
des Guten Hirten, diese Tugend pflegen und dabei nicht müde werden, die verlorenen
Schafe zu suchen, ohne die Herde zu vernachlässigen. Angesichts einer Aufgabe von
so hoher Verantwortung bleibt einem – verständlicherweise – voller Sorge fast das
Herz stehen. Woher die Kraft und den Mut nehmen, um eine solche Sendung zu erfüllen,
noch dazu weit weg von den Angehörigen und der Heimat, unter verschiedenen und zuweilen
unbehaglichen klimatischen, sozialen und logistischen Bedingungen? Das Wort Gottes,
das soeben verkündet wurde, bietet einige tröstliche Hinweise. Die erste Lesung, die
unsere Aufmerksamkeit auf eine bekannte Stelle aus dem Buch Jesaja gelenkt hat, versichert
dir, lieber Monsignore Martin, daß mit der Bischofsweihe der Heilige Geist mit der
Fülle seiner Gaben in dir am Werk ist: er salbt dich und sendet dich, den Armen und
den Niedergeschlagenen die frohe Botschaft zu bringen; der Hirte der Seelen bindet
dich an sich mit einem unlösbaren Band, das nicht einmal der Tod trennen kann; der
Geist des Friedens macht dich zum Boten des Friedens Christi; der Tröster Geist überträgt
dir die Aufgabe, das Öl des Trostes und der Freude in die Wunden der zerbrochenen
Herzen zu gießen; der Geist der Wahrheit und der Liebe sendet dich, die Botschaft
der göttlichen Barmherzigkeit zu den Völkern zu bringen. Jesus verkündet gerade
zu Beginn seines öffentlichen Wirkens die Verheißung des Jesaja in der Synagoge zu
Nazareth und fügt hinzu: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt,
erfüllt“ (Lk 4, 21). Demnach ist es Jesus, in dem die Schrift vollkommene Erfüllung
findet. Wenn du ihm gehorsam folgst, kannst du ein Werkzeug des Heils sein, denn dann
waltet sein Geist in dir. Laß dich daher immer mehr von seiner Anziehungskraft anstecken:
wenn du jeden Tag in enger Gemeinschaft mit ihm lebst, wenn du seinen Willen tust,
wirst du wie die guten und treuen Diener sein, von denen das Evangelium spricht. Diese
waren im Kleinen treu, ihnen wird daher eine große Aufgabe übertragen, und sie nehmen
vor allem teil an der Freude ihres Herrn. Gib nicht der Versuchung nach, dich auf
dich selbst zurückzuziehen und dich im Eigenen zu verrennen. Denn so würdest du den
„schlechten und faulen Diener“ nachahmen, der das empfangene Talent, anstatt es zur
Geltung zu bringen, aus Furcht in der Erde versteckt. „Seid wachsam und haltet
euch bereit, denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht vermutet“
(vgl. Mt 24, 42a.44). Die Einladung Jesu, die im Ruf vor dem Evangelium erklungen
ist, bedeutet daher eine Mahnung an dich, lieber Monsignore Martin, gewissenhaft die
Gaben zu bewahren, die du heute empfängst – sinnbildlich dargestellt in den Talenten
des Gleichnisses des Evangeliums – und sie reichlich Frucht hervorbringen zu lassen.
Dies ist auch eine Ermahnung an jeden von uns, liebe Brüder und Schwestern, daß wir
alle unserer persönlichen Berufung treu bleiben, denn wir wissen, „daß der Tag des
Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht“ (1 Thess 5, 2). Diese Tatsache ruft
uns der heilige Paulus in der zweiten Lesung ins Gedächtnis, wenn er uns alle ermahnt,
nicht zu schlafen wie der, welcher in der Finsternis der Sünde lebt, sondern wach
und nüchtern zu sein; denn wir sind „Söhne des Lichts und Söhne des Tages“. Wenn
jeder Gläubige wach bleiben muß, dann gilt dies besonders für den Bischof; denn dieser
ist – wie das griechische Wort episkopos besagt – Aufseher, der als Wächter
zur Obhut der Herde des Herrn in Erwartung seines Kommens in Herrlichkeit eingesetzt
ist. Es handelt sich um einen Dienst, der einerseits die beständige Vertrautheit mit
dem Herrn der Herde – dem Guten Hirten – im Gebet und besonders in der Eucharistie
erfordert, und andererseits Teilhabe und Lebensgemeinschaft mit der Herde verlangt,
die der Fürsorge jedes Hirten anvertraut ist. Hierin besteht, lieber Monsignore Martin,
der wahre Gehalt des Bischofsamtes. Liebe Brüder und Schwestern, beten wir für
diesen Geistlichen, der zur Fülle des Priestertums berufen ist. Bitten wir darum,
daß er Jesus, den Herrn, nachahme, die Kirche liebe und ihr treu diene, und sich niemals
von den Schwierigkeiten und Prüfungen, die auf unserem irdischen Weg liegen, entmutigen
lasse. Es wache über ihn Maria, die Mutter des Gottessohnes, die in dieser Kirche
seit über tausend Jahren im Gnadenbild der „Goldenen Madonna“ verehrt wird
und als Mutter des Guten Rates gleich nach der Gründung eures Bistums zu eurer Patronin
erwählt wurde. Ihr und allen euren Diözesanpatronen empfehlen wir ihn an, damit sie
ihn in seinem täglichen Dienst für die Kirche Christi beschützen, begleiten und führen. Amen. Es
gilt das gesprochene Wort!