Die Frage nach dem
Ende des Lebens verlange nach ethischen und medizinischen Argumenten. Das betont der
Rechtsmediziner und Ethiker Hans-Bernhard Wuermeling. Er sprach bei der Tagung zum
Thema Organspende der Päpstlichen Akademie für das Leben. Gegenüber Radio Vatikan
benannte er aktuelle Fragen rund um die Problematik. Veronica Pohl hat mit ihm gesprochen. Herr
Wuermeling, als Sachverständiger in der Diskussion um die Organspende haben Sie Einblick
in die aktuelle Bewertung des Themas. Wie sieht der Standpunkt des Heiligen Stuhles
aus?
Zur Organspende steht man im Vatikan zunächst einmal sehr positiv.
Wer von seinem eigenen Körper Substanz hergibt, um einem Anderen damit in seiner Krankheit
zu helfen, der ist zu loben, das ist etwas Gutes. Sei es, dass er das lebend tut,
sei es, dass er das tut, wenn er schon gestorben ist. Wenn er es lebend tut, gibt
es natürlich gewisse Grenzen. Grenzen, die da eingehalten sind, wo ein erneuerbares
Organ gespendet wird, etwa Blut. Wir bezeichnen ja auch Blut als ein Organ. Die Blutspende
wird anstandslos vertragen und ist ja heute auch weitgehend üblich und schon normal.
Neben diesem Einverständnis werden im Vatikan auch Vorbehalte laut. Um
welche Spendevorgänge geht es und wie begründet der Vatikan die Kritik?
Das
Spenden von Organen, die nicht nachwachsen, oder von einem Teil eines Organpaares
ist eine problematischere Angelegenheit. Denn der Spender geht dabei ein Risiko ein,
ein Risiko durch die Narkose und ein Risiko durch die Operation. Und im Grunde ist
der Spender ja ein Gesunder. Der Arzt fühlt einen Widerstand dagegen, an einem Gesunden
einen gefährlichen Eingriff zu Gunsten Anderer durchzuführen. Das muss also sehr gut
überlegt sein.
Deckt sich diese Bewertung auch mit Ihrer eigenen Ansicht?
Im
Prinzip bin ich gegen eine Spende von Lebenden. Insbesondere deswegen, weil Lebende
in mannigfaltiger Weise unter Druck gesetzt werden können, ihre Organe zu spenden.
Sei es finanzieller Druck, sei es Druck von der Verwandtschaft, weil ein Kind in der
Verwandtschaft gerettet werden soll. Und ganz besonders schwierig ist es natürlich,
die Organspende von lebenden Kindern zu nehmen, denn die können nicht einwilligen.
Sie übersehen ja gar nicht, welche Risiken sie eingehen. Und ob Eltern überhaupt das
Recht haben, ein solches Risiko für ihre Kinder einzugehen, ist zumindest zu diskutieren.
Andere
Schwierigkeiten ergeben sich aus Sicht der Ethik bei einer Spende des toten Körpers…
Die Spende vom toten Körper ist normalerweise darauf angewiesen, dass
der Kreislauf bis zur Entnahme des Organs noch funktioniert. Nun sind Viele der Auffassung,
dass ein funktionierender Kreislauf ein Zeichen von Leben ist. Das ist ja auch normalerweise
so. Doch beim Hirntoden liegen die Dinge da völlig anders.
Wie lässt sich
dann der Zustand eines Hirntoten beschreiben?
Wenn das Hirn geschädigt
worden ist, durch Sauerstoffmangel, durch Gewalteinwirkung, durch Schuss, Schlaganfall
oder was auch immer, dann kommt es oft zu Atemlähmung. Mit der Atemlähmung endet die
Sauerstoffversorgung des Herzens und das Herz bleibt stehen. Dann ist der Mensch tot.
Kommt man aber mit modernen Mitteln dem Patienten mit Atemstillstand zu Hilfe, indem
man ihn beatmet, künstlich oder apparativ, dann ist die Sauerstoffversorgung des Herzens
weiter normal oder annähernd normal. Das Herz schlägt also weiter. Das Hirn kann aber
inzwischen längst verstorben sein, sodass wir einen Organismus haben, bei dem das
Gehirn ausgefallen ist, das Herz aber noch schlägt. Und wer einen solchen Hirntoten
sieht, hat den Eindruck, das ist ein Lebender. Die Brust hebt und senkt sich. Das
kommt zwar vom Apparat, aber das macht ja nichts. Man sieht, wie die Brust sich hebt
und senkt. Die Haut ist rosig und fühlt sich warm an. Es gibt sogar gewisse Reaktionen,
die vom Rückenmark gesteuert werden, und manches andere mehr, was den Menschen irritiert,
ihm sagt, das ist doch ein Lebender, der sieht doch aus wie ein Lebender. Es ist außerordentlich
schwer zu verstehen, dass der Hirntote auch wirklich tot ist. Woran
macht die Medizin diesen Tod fest?
Dieser Tod kommt daher, dass das Hirn,
wenn es geschädigt ist, Wasser aufnimmt. Es wird ödematös, wie wir sagen. Das heißt,
sein Volumen vermehrt sich, es hat aber keinen Platz, sich in der Hirnkapsel auszudehnen.
Dann wird der venöse Abfluss des Blutes gehemmt. Später kommt es auch dazu, dass der
arterielle Zufluss des Blutes zum Gehirn aufhört. Und dann sterben die Gehirnzellen
innerhalb von Minuten ab. Das führt zur Nekrose, also zum Absterben des gesamten Gehirns.
Bei
der Frage nach dem Zeitpunkt des Todes und damit dem Ende des Lebens gehen die Positionen
auseinander. Was macht die Diagnose ,Hirntod’ fragwürdig?
Die
Fragwürdigkeit besteht darin, ob das Absterben des Gehirns bei künstlich aufrecht
erhaltenem Kreislauf und künstlicher Beatmung wirklich der Tod des Menschen ist. Kann
man das so sagen? Beim Menschen ist es so, dass das Gehirn die zentrale biologische
Steuerungsfunktion für alle Organe übernimmt. Und wenn dieses zentrale Organ ausgefallen
ist, dann kann man nicht mehr von einem lebenden Organismus sprechen, sondern nur
noch von einer künstlich lebend konservierten Leiche, wenn man das ganz brutal ausdrücken
soll. Das hat gar nichts damit zu tun, dass die Seele im Gehirn sitzt. Sie sitzt
nicht im Gehirn, sie sitzt an keiner Stelle des Körpers. Es hat auch nichts damit
zu tun, dass der Mensch einen besonderen Verstand hat und sich dadurch auch im Denken
und im Sprechen vom Tier unterscheidet. Der Hirntod ist eine rein biologische Angelegenheit
und den Hirntod können auch Tiere – höhere Tiere jedenfalls – erleiden. Das ist alles
sehr schwer zu verstehen und Fundamentalisten wehren sich wie die Wilden dagegen.
Andere bringen für den Hirntod eine allzu pragmatische Begründung. So hieß die erste
Begründung, man wolle den ärztlichen Kollegen, die nach dem Hirntod mit der Beatmung
aufhören, keine juristischen Vorwürfe machen, und hat deswegen den Hirntod zum Tod
des Menschen erklärt. Das war natürlich lächerlich oberflächlich. Wir haben heute
tiefere und bessere Begründungen dafür. Aber es braucht sicherlich lange Zeit, bis
alle das verstehen.