Die Kommission „SOS prévention“ des Bistums Lausanne-Genf-Freiburg prüft zwei weitere
Fälle von Seelsorgern, die möglicherweise Straftaten begangen haben. Bisher ist der
Fall eines heute 68-jährigen Kapuzinerpaters bekannt, der zwei Dutzend Knaben zu sexuellen
Handlungen genötigt haben soll. Gegen einen weiteren Priester sind bereits Abklärungen
im Kanton Neuenburg im Gang. Um die beiden letzten Fälle kümmern sich die staatlichen
Behörden. Die Kommission wurde vor neun Monaten von Diözesanbischof Bernard Genoud
eingesetzt. Sie erhielt bisher 28 Hinweise. Die meisten betrafen verjährte Fälle.
Kommissions-Präsidentin Françoise Morvant erklärte am Freitag vor der Presse, die
Informationen zu einem der beiden neuen Fälle habe die Kommission nicht aus erster
Hand. Im zweiten Fall handle es sich um einen Geistlichen, der möglicherweise gegen
priesterliche Pflichten gehandelt habe. Details nannte die ehemalige Untersuchungsrichterin
aus Gründen der Schweigepflicht nicht. Die beiden Fälle seien aber derart unklar,
dass sich noch nichts dazu sagen lasse. Bei der Verletzung der priesterlichen Pflichten
könnte es sich beispielsweise um die Verletzung der Schweigepflicht bei der seelsorgerlichen
Begleitung einer Person handeln, erläuterte Benoît-Dominique Le Soujeole. Der Dominikaner,
der Dogmatik in Freiburg lehrt und der Kommission als einziger Geistlicher angehört,
erklärte weiter, es sei für einen Priester - und auch für andere Personen - nicht
immer einfach zu erkennen, wo heute bei einem bestimmten Handeln die Grenzen gezogen
werden. Was früher in einem Blauringlager gang und gäbe war, könne heute verpönt sein.
Wenn ein Priester durch ein staatliches Gericht verurteilt werde, denn obliege
es heute der vatikanischen Glaubenskongregation, ob kirchenrechtliche Sanktionen ergriffen
werden - im schlimmsten Fall der Ausschluss aus der Kirche. Der Dominikaner gab zu
bedenken, dass nicht immer ein Bistum für die Sanktionierung eines Geistlichen zuständig
sei. Zuständig bei einer Ordensperson sei der Ordensobere, den Fall ausgenommen, dass
der Ordensmann fehlbar wurde, als er im Dienst eines Bistums stand. Kommissions-Präsidentin
Morvant gab zu bedenken, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und
Erwachsenen bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein gesamtgesellschaftliches
Tabu in Europa war. Heute sei das anders. Man höre die Opfer an.
Der Psychiater
Michel Schmidt nannte Zahlen. Man müsse davon ausgehen, dass heute jedes fünfte Mädchen
und fast jeder zehnte Knabe auf irgendeine Art und Weise sexuell belästigt werde.
Als schockierend bezeichnete es der Psychiater, dass das Westschweizer Bistum den
des sexuellen Missbrauchs bezichtigte Kapuzinerpriester vor Jahren einfach in ein
anderes Bistum abgeschoben und die Kirche dabei auf seine Besserung durch „Gottes
Gnade“ vertraut habe.
Anerkennend stellte Kommissions-Mitglied Meyer fest,
dass „das Bistum Basel uns zwei Längen voraus ist“. Dort gebe es schon seit geraumer
Zeit eine der Kommission „SOS prévention“ entsprechende Stelle. Zu den Aufgaben der
Freiburger Kommission erklärte Anwalt Jacques Meyer, diese könne lediglich Fälle registrieren
und weiterleiten sowie den Bischof beraten. Sie sei aber eine wichtige Ansprechstelle
für Opfer, die sich nicht direkt an staatliche Stellen wenden wollten. Es liege zudem
nicht in der Kompetenz der Kommission, bei verjährten Fällen Schmerzensgelder auszusprechen.
Dafür sei das Bistum zuständig.