Die Lage der Flüchtlinge rund um Goma wird immer kritischer. Nachrichtenagenturen
berichten, dass an diesem Freitag nur 15 km nördlich der eingeschlossenen Stadt Kämpfe
ausgebrochen seien. Dabei stehen sich Rebellen unter Laurent Nkunda und Einheiten
der kongolesischen Armee gegenüber. Ein belgischer Journalist, der als Korrespondent
für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ aus der Region berichtet, ist indes wieder
frei. Thomas Scheen war am Dienstag zwischen die Fronten geraten und von Rebellen
festgesetzt worden.
„Wie in Darfur – und die Welt schaut weg.“ Das ist der
Titel eines Hilferuf-ähnlichen Berichts des Hilfswerks „Kirche in Not“ zu den Kämpfen
im Ostteil des Kongo. Über eine Million Flüchtlinge seien derzeit im Norden der Kivu-Provinz
unterwegs. Die Caritas-Mitarbeiter im Ostkongo konnten ihre Flüchtlingshilfe wieder
aufnehmen: Gemeinsam mit dem Welternährungsprogramm verteilen 40 Helfer Lebensmittel
in vier Flüchtlingslagern westlich von Goma. In den Camps halten sich rund 65.000
Menschen auf; an diese werden noch bis zum Wochenende 356 Tonnen Nahrung verteilt
werden. Ferner werden sie mit Decken, Schutzplanen, Kleidung und Kochutensilien versorgt.
Sollte die Sicherheitslage es zulassen, wird die Caritas in Goma die Flüchtlingshilfe
in den nächsten Tagen auf Rutshuru und weitere Orte ausweiten. Caritas international,
das Hilfswerk der deutschen Caritas, unterstützt die Hilfe mit 250.000 Euro. Die österreichische
Caritas appelliert an das Außenministerium, alles zu tun, um den Flüchtlingen zu helfen.
Die Flüchtlinge seien durch die Strapazen ihrer Flucht stark geschwächt und „vielfach
bereits krank“. „Die Kälte und die Regenzeit tun ihr Übriges. Atemwegserkrankungen,
Durchfall, Fieber, Meningitis stehen auf der Tagesordnung. Erste Fälle von Cholera
wurden bereits gemeldet.“
UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon ruft zu einem sofortigen
Ende der Kämpfe im Kongo auf. Die bewaffneten Gruppen sollten sich an der Suche nach
einer politischen Lösung beteiligen, fordert er. Ban nahm an diesem Freitag in Nairobi
an einem Krisentreffen der Afrikanischen Union teil. Am Rande traf er zu getrennten
Gesprächen mit Staats- und Regierungschefs zusammen.
(rv/afp/pm/reuters 07.11.2008
sk)
Wir dokumentieren hier den Bericht von „Kirche in Not“.
Wie
in Darfur – und die Welt schaut weg
1,2 Millionen Flüchtlinge / Die Schrecken
von Goma und der Kriegsregion Kivu / Hilfe und Hoffnung durch die Kirche
Wiederholt
sich die Geschichte? Kommt es wieder zu einem Völkermord? Die Bilder gleichen sich.
Zu hunderttausenden fliehen die Menschen im Grenzgebiet von Ostkongo und Ruanda vor
den Rebellen, die offensichtlich von der ruandischen Regierung unterstützt werden.
Es sind vor allem Katholiken, friedliche Bauernfamilien, die mit Ackerbau und Viehzucht
nach dem Krieg vor vierzehn Jahren ein neues Leben anfangen wollten. Seit dem 7. Oktober
ist es wie damals. Die Felder sind leer, verlassene Kinder irren umher, Witwen und
Alte suchen Schutz, Schulen sind überfüllt mit Flüchtlingen, die nichts haben. „Noch
nicht einmal Decken oder eine Handvoll Bohnen und Samen, um sich irgendwo niederzulassen“,
sagt ein in der riesigen Diözese Goma tätiger Priester. Er weiß nicht, wohin mit den
in Panik geflüchteten Menschen. Die Traumata der Vergangenheit sind plötzlich wieder
wach und starren ihnen schreckvoll aus den Augen. „Die Mütter und Kinder, sie brauchen
Wasser, sie brauchen Decken. Die Nächte sind doch schon so kalt“. Knapp tausend Familien
und mehreren tausend allein Umherirrenden muss er ein Dach und etwas zu Essen besorgen.
Mit den anderen Mitarbeitern der Kirche in der Region ist er für viele die Hoffnung
auf Überleben. Das katholische Hilfswerk Kirche in Not arbeitet mit ihnen zusammen
und hat eine Soforthilfe beschlossen. Wenn Spenden eintreffen, kann mehr getan werden,
heißt es in der Zentrale des Hilfswerks in Königstein.
Die Pfarrei Rutshuru
gehört zur Diözese Goma. Die Stadt liegt im Norden der kongolesischen Provinz Kivu,
am gleichnamigen See. Kivu ist seit Ende Oktober Beute des Rebellen Laurent Nkunda
und seiner Soldateska. Sie brandschatzen, vergewaltigen und morden. So wie die flüchtenden
Soldaten der kongolesischen Armee. „Kivu darf kein zweites Darfour werden“, sagt ein
Helfer, der lieber nicht genannt werden möchte. „Aber Kivu ist schon ein zweites Darfour,
nur die Weltöffentlichkeit will es nicht wissen“, stellt er dann selber resigniert
fest. Die Welt dreht sich um die Finanzkrise. Im Schatten dieser Krise sterben die
Menschen in Kivu an den Folgen eines unkontrollierten Krieges – vor den Augen der
UNO und ihrer Truppen. Die Truppen sind zum Teil gut ausgerüstet und dreimal so stark
an Soldaten wie die Rebellen. Aber sie greifen nicht wirklich ein, sondern verlassen
ihre Stellungen. Der Sicherheitsrat mahnt mit erhobenem Zeigefinger statt Befehle
zum Einsatz zu geben. Mehr als eine Million Menschen, realistische Schätzungen sprechen
von 1,2 Millionen, sind mittlerweile in den Norden der Provinz geflüchtet, etwa so
viel wie in Darfur. Und wie im Sudan, so werden auch im Nordosten der Demokratischen
Republik Kongo allerlei Gründe für den Krieg genannt: Ethnische Konflikte, Hutus gegen
Tutsi, Übergriffe der Polizei, Unterdrückung von Minderheiten, etc. Einer bleibt ungenannt:
Die enormen Bodenschätze in der Region, auf die es auch die Regierung in Ruanda abgesehen
hat.
Goma ist eine Diözese des Schreckens und der Hoffnung. Schon 1992 und
1993 wurde die Diözese mehrmals geplündert und zerstört. 1994 flohen mehr als eine
Million Flüchtlinge aus Ruanda vor dem Krieg und dem Völkermord und überfluteten die
Region. Allein eine Cholera-Epidemie verursachte damals den Tod von 50.000 Flüchtlingen.
Sechsköpfige Familien lebten von weniger als einem halben Dollar pro Tag. Vor sechs
Jahren dann brach der Nyiragongo-Vulkan aus. Es herrschte Chaos, Hungersnot, Trinkwasser
fehlte, Dörfer und Stadtteile waren zerstört, die Felder unbrauchbar. Und doch schafften
es die Patres und tapfere Schwestern immer wieder, den Menschen Hoffnung zu geben
auf ein besseres Leben. Sie bauten Schulen und Gesundheitszentren. Jetzt ist wieder
alles von Flüchtlingen überflutet. Ein halber Dollar und eine Familie könnte leben.
Und die Welt schaut auf die Börse. Mammon oder Menschlichkeit – in Kivu ist Elend
und keiner geht hin. Die Geschichte des Völkersterbens darf sich nicht wiederholen.
Wer hilft mit, Krieg und Mammon zu trotzen?