2008-11-05 10:36:54

USA: Nähe zur katholischen Kirche


RealAudioMP3 Barack Obama wird 44. Präsident der Vereinigten Staaten. Der 47-jährige demokratische Präsidentschaftskandidat setzte sich deutlich gegen seinen republikanischen Herausforderer John McCain durch. Der erste farbige Präsident brachte so viele Jugendliche wie nie zuvor in den USA an die Urnen und gewann auch mit den Stimmen der Hispanoamerikaner, die traditionell eher im Konflikt mit den Gruppen afrikanischer Abstammung stehen. Mit Joe Biden wird ein Katholik zum Vizepräsidenten. Der 65-jährige sei „der Kämpfer, den ich an meiner Seite haben will“, hatte Obama seinen Vizepräsidenten vorgestellt. Biden gilt als erfahrener Außenpolitiker. Innerhalb der katholischen Kirche ist er nicht unumstritten: US-amerikanische Bischöfe kritisieren ihn vor allem in Fragen des Lebensschutzes.
Eine Wahlanalyse aus katholischer Sicht versucht Birgit Pottler im Gespräch mit dem USA-Experten und Journalisten Ferdinand Oertel:

Amerika hat den Wechsel gewählt, kann man das so pauschal zusammenfassen?

Ich denke, ja. Er ist ja mit einer so großen Mehrheit gewählt worden, dass alle Kommentatoren von einer Sensation sprechen. Dahinter steckt doch, dass die Mehrheit der amerikanischen Bürger einen Wandel wollen, und zwar hin zu dem, was Barack Obama selbst in seiner ersten Rede gesagt hat: Die Stärke der USA ist die Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen. Die will er ja weitgehend erfüllen, hat aber dazu gesagt, dass das noch ein steiler und steiniger Weg sein wird. Der Wandel sei noch nicht vollzogen, sondern daran müsse noch gearbeitet werden und dabei werde es bestimmt auch Rückschläge geben. Realistische Chancen sehe ich auch für Wandlungen in Richtung auf die Dinge, die von den katholischen Bischöfen in der Wahlvorbereitung als wichtig bezeichnet worden sind: das, was der katholischen Soziallehre entspricht. Es war ja der Krisenpunkt, dass die Bischöfe mit hoher Priorität die Abtreibung zum Wahlkriterium gemacht haben, aber sie haben tatsächlich in ihrem Wahlhirtenbrief sehr großen Wert auf den ,common sense’, auf das Gemeinwohl, gelegt. Das trifft sich doch mit den Vorstellungen, die Obama jetzt schon als Programm vorgelegt hat. 
Mit Obama steht auch der künftige Vizepräsident fest: Das wird ein Katholik, Joe Biden, der aber ja bislang die katholische Kirche zu unterschiedlichen, eher kritischen Reaktionen aufrief. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit?

Ich sehe große Hoffnungen und Chancen auch für die Kirche unter diesem Präsidenten. Einmal ganz allgemein, weil er das Gemeinwohl zu seinem Hauptziel gemacht hat, nicht nur national, sondern auch international, und weil er sich auch offen für Gespräche gezeigt hat. Das heißt und trifft sich wiederum mit dem, was die katholischen Bischöfe gefordert haben: Bei aller Unterschiedlichkeit der Auffassungen über so kritische Themen wie Abtreibung und Homo-Ehen – ,man muss miteinander sprechen’, steht in ihrem Dokument. Da Obama gesagt hat, ich will auf alle hören, wird er bestimmt auch mit den Bischöfen sprechen. Er hat kürzlich in New York neben Kardinal Egan gesessen, bei einer großen Veranstaltung zum Gedenken an den gescheiterten ersten katholischen Präsidentschaftskandidaten Al Smith. Da besteht schon eine Nähe. Die dürfte unterstützt werden - das sehe ich eher positiv - durch die Tatsache, dass Vizepräsident Joe Biden ein Katholik ist und sich sogar als aktiver Katholik bezeichnet, wenn auch im Sinn eines freiheitlich liberalen Katholiken. So hat er ja auch seine dann von den Bischöfen kritisierte Haltung gegenüber der Abtreibung erklärt, indem er sagte, ich anerkenne das Grundrecht des Menschen von der Zeugung an, aber ich kann nicht einer pluralen Gesellschaft katholische Lehramtsmeinungen aufzwingen. Ich glaube, es wird viel darauf ankommen, wie in Zukunft über diese Fragen zwischen der Kirche und den führenden Politikern inklusiv Biden gesprochen wird. Was dann erreicht werden kann… - da soll man sich allerdings auch keine Illusionen machen; hinsichtlich einer gesetzesmäßigen Rücknahme der Abtreibungsfreiheit und der Anerkennung von Homo-Ehen, hat Obama ganz klar geäußert, dass er sich da für die Freiheit des Einzelnen ausspricht. Er hat aber auch gesagt, dass er Gesetze befürworten will, die die Abtreibungszahl verringern.
Im Hintergrund steht die typisch amerikanische Auffassung über das, was Freiheit ist. Sie soll nicht von oben geregelt werden, sondern der Einzelne soll die Freiheit haben, selbst zu entscheiden und selbst zu verantworten.
Da sehe ich auch eine Chance für einen kleinen Wandel innerhalb der Kirche, insbesondere der Bischöfe, wenn sie sich mehr in diesem Sinn freiheitlicher Auffassungen zur Eigenverantwortung ihrer Gläubigen im Sinne des Lehramtes äußern, als punktuell ein Thema herauszugreifen, wie jetzt die Abtreibung, (wonach die Mehrzahl der Katholiken sich ja nicht gerichtet hat, denn die haben auch Obama gewählt) und wenn sie sich nicht zu oft in allzu kleinlichen Fragen traditioneller Art verfangen, wie jetzt auch wieder in der breit aufgefächerten kontroversen Diskussion, ob man die Kommunion einem Politiker verweigern müsse, der nicht streng die katholischen Lehren vertritt. Allerdings ist die Mehrzahl der Bischöfe da auch schon offener gewesen, insofern sie gesagt hat, auch nach Kirchenlehre muss jeder einzelne entscheiden, ob er zur Kommunion geht oder nicht. Wenn die Bischöfe und die Kirche sich nicht in diesen Dingen weiter verlieren, sondern sich auf das konzentrieren, was sie jetzt auch auf der kommenden Bischofskonferenz in zehn Tagen beraten wollen – Probleme der Armenversorgung, der Fürsorge für die Einwanderer, der Wohnungsunterstützung, das würde eher den sozialen Zielen dienen, die auch Obama verfolgt. 
Die amerikanische Gesellschaft scheint aus diesen Wahlen so geeint hervorzugehen, wie sie es lange nicht gewesen ist. Barack Obama hat so viele Wähler wie kaum zuvor an die Urnen gebracht, vor allem konnte er Jungwähler mobilisieren, hat von ihnen auch die meisten Stimmen bekommen. Ebenso haben die Hispanoamerikaner vorwiegend Obama unterstützt, das ist zumindest geschichtlich gesehen eine kleine Überraschung, denn Latinos und Afroamerikaner hatten nicht immer die gleichen Positionen. Beflügelt diese scheinbare Einheit Obama, macht sie ihm das Regieren leichter, oder erhöht sich nicht sogar noch seine Verantwortung?

Ich glaube, er hat ja selbst darauf hingewiesen, dass es ein großes Problem sein wird, die Einheit wieder herzustellen, weil die Meinungen so unterschiedlich sind. Er hat sogar gesagt, ,es wird auch meiner Regierung nicht gelinge’, alle sozusagen unter einen Hut zu bringen’. Was die einzelnen Wahlgruppen angeht, so ist tatsächlich eine große Überraschung dass er 1. so viele Jugendliche mobilisiert hat, und dass 2. zwei Drittel der Jungwähler ihn gewählt haben. Keine ganz so große Überraschung ist, dass so viele Latinos ihn gewählt haben. Die hatten schon beim letzten Mal mehrheitlich den Katholiken John Kerry gewählt, auf dem Hintergrund, dass Katholiken meistens die Demokraten gewählt haben, weil die sich mehr für die Armen, Benachteiligten und am Rande stehenden eingesetzt haben.
Das Entscheidende für mich bei dieser Wahl scheint zu sein, dass es Obama gelungen ist, einem breiten Teil der Bevölkerung, wie er selbst gesagt hat, ,unter den Jungen und Alten, unter den Reichen und Armen’, den alten amerikanischen Geist des Aufbruchs wieder zu vermitteln. Er hat sie in der Tat mit einer Vision wieder konfrontiert, wie sie vor 200 Jahren kurz nach der Gründung der Vereinigten Staaten, oder konkret in der Wirtschaftskrise durch den Bankenzusammenbruch durch Präsident Roosevelt mit dem ,New Deal – Arbeit für alle’ präsent war, auf die sich Obama jetzt in seiner Antrittsrede auch bezogen hat. Ich glaube, dass es diese Fähigkeit von ihm gewesen ist, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft bei seinen Landsleuten zu wecken und den Patriotismus an die erste Stelle zu rücken. ,Wir sind alle Amerikaner, unabhängig, ob wir Demokraten oder Republikaner sind.’ 
Vatikansprecher Pater Federico Lombardi hat kurz nach bekannt werden des Ergebnisses die globale Verantwortung des US-amerikanischen Präsidenten betont und auch seinen wichtigen Einsatz für Frieden und Achtung der Menschenwürde. Wie sehen Sie seine Chancen weltweit?

Da traue ich Obama nicht nur mehr zu in der Durchsetzungskraft der Grundwerte der Demokratie, für die die Amerikaner ja immer ein Sendungsbewusstsein hatten, sondern ich glaube, dass er das auch in einer anderen Richtung betreiben will, als gerade die Bush-Regierung. Er will ja, das hat er besonders betont, auf einen Frieden hinsteuern, auf eine Befriedung der unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Völker. Und das scheint mir eine neue Note zu sein in der amerikanischen Außenpolitik. 
(rv 05.11.2008 bp)







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