Allerheiligen, Allerseelen: Meditationen des Papstes.
Die Kirche feiert
in diesen Tagen die Feste Allerheiligen und Allerseelen. Hier finden Sie einige Betrachtungen
von Papst Benedikt XVI. dazu, zusammengestellt von Stefan Kempis. Quelle ist die deutschsprachige
Wochenausgabe des „L`Osservatore Romano“.
Es gibt keine anderen Wege
Aus
der Predigt bei einer Meßfeier für verstorbene Kardinäle. Der November erhält
seine besondere spirituelle Atmosphäre durch die beiden ersten Tage des Monats: das
Hochfest Allerheiligen und den Gedenktag Allerseelen. Das Geheimnis der Gemeinschaft
der Heiligen erhellt auf besondere Weise diesen Monat wie auch den ganzen letzten
Teil des liturgischen Jahres und ist richtungsweisend für unsere Meditation über die
irdische Bestimmung des Menschen im Licht des Ostergeheimnisses Christi. In ihm gründet
jene Hoffnung, die, wie der hl. Paulus sagt, nicht zugrunde gehen läßt... Die große
Familie der Kirche findet in diesen Tagen eine Zeit der Gnade.
»Euer Herz
lasse sich nicht verwirren, « sagt Jesus zu den Aposteln beim Letzten Abendmahl. »Glaubt
an Gott, und glaubt an mich« (Joh 14,1). Das menschliche Herz, stets rastlos umherirrend
bis es einen sicheren Hafen findet, erreicht hier endlich den starken Fels, wo es
bleiben und ruhen kann. Wer auf Jesus vertraut, setzt sein Vertrauen auf Gott selbst.
Jesus ist wahrhaft Mensch, aber ihm können wir völlig und bedingungslos vertrauen,
denn – wie er selbst sagt – er ist im Vater und der Vater ist in ihm. Dadurch ist
Gott uns wirklich entgegengekommen. Wir Menschen brauchen einen Freund, einen Bruder,
der uns an der Hand nimmt und uns zum »Haus des Vaters« führt (Joh 14,2); wir brauchen
jemanden, der den Weg gut kennt. Und in seiner »großen Liebe« (Eph 2,4) hat Gott seinen
Sohn gesandt, nicht nur um uns den Weg zu weisen, sondern um selbst zum »Weg« zu werden
(Joh 14,6).
»Niemand kommt zum Vater außer durch mich« (Joh 14,6), sagt Jesus.
Dieses »niemand« läßt keine Ausnahmen zu; aber genau genommen entspricht es einem
anderen Wort Jesu, das er wiederum beim Letzten Abendmahl, den Jüngern den Kelch reichend,
sprach: »Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur
Vergebung der Sünden« (Mt 26,28). Auch gibt es im Haus des Vaters »viele Wohnungen
«, was bedeutet, daß bei Gott Platz für »alle« ist (vgl. Joh 14,2). Jesus ist der
Weg, der »allen« offensteht; es gibt keine anderen Wege. Und alle Wege, die »anders«
zu sein scheinen, führen, soweit sie authentisch sind, zu ihm zurück, denn sonst führen
sie nicht zum Leben.
Werden, was wir schon sind
Beim Angelusgebet,
November 2005. Das Hochfest Allerheiligen läßt uns die Freude darüber auskosten,
daß wir zu der großen Familie der Freunde Gottes gehören oder, wie der hl. Paulus
schreibt, »Anteil haben am Los der Heiligen, die im Licht sind« (Kol 1,12). »Seht,
wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes,
und wir sind es!«, ruft der Apostel Johannes staunend aus (1 Joh 3,1). Ja, heilig
werden heißt, voll zu verwirklichen, was wir schon sind, da wir in Christus Jesus
zur Würde von Kindern Gottes erhoben wurden (vgl. Eph 1,5; Röm 8,14–17). Mit der Menschwerdung
des Sohnes, seinem Tod und seiner Auferstehung hat Gott die Menschheit mit sich versöhnen
und sie zur Teilhabe an seinem eigenen Leben öffnen wollen. Wer an Christus, den Sohn
Gottes, glaubt, wird »von oben« von neuem geboren, er ist wie neu gezeugt vom Heiligen
Geist (vgl. Joh 3,1–8). Dieses Geheimnis verwirklicht sich im Sakrament der Taufe,
durch das die Mutter Kirche die »Heiligen« zur Welt bringt.
Das in der Taufe
empfangene neue Leben ist nicht der Verwesung und der Macht des Todes unterworfen.
Für den, der in Christus lebt, ist der Tod der Übergang von der irdischen Pilgerschaft
zur himmlischen Heimat, wo der Vater alle seine Kinder »aus allen Nationen und Stämmen,
Völkern und Sprachen« aufnimmt, wie wir heute im Buch der Offenbarung lesen (Offb
7,9). Deshalb ist es bedeutsam und angebracht, daß wir in der Liturgie nach dem Hochfest
Allerheiligen gleich anschließend das Gedenken aller verstorbenen Gläubigen begehen.
Die »Gemeinschaft der Heiligen«, die wir im Credo bekennen, ist eine Realität, die
sich hier unten aufbaut, die aber erst voll sichtbar wird, wenn wir Gott sehen werden,
»wie er ist« (1 Joh 3,2). Es ist die Realität einer Familie, die durch die tiefen
Bande einer geistlichen Solidarität verbunden ist und so die verstorbenen Gläubigen
mit denen verbindet, die noch Pilger auf Erden sind.
Eine geheimnisvolle,
aber wirklich vorhandene Verbindung, die vom Gebet und von der Teilnahme am Sakrament
der Eucharistie gespeist wird. Im mystischen Leib Christi begegnen sich die Seelen
der Gläubigen nach Überwindung der Schranken des Todes, sie beten füreinander und
vollziehen in Liebe einen vertrauensvollen Gabenaustausch. In dieser Glaubensdimension
ist auch die Gepflogenheit zu verstehen, der Verstorbenen durch Gebete zu gedenken,
besonders in der Darbringung des eucharistischen Opfers als Gedächtnis des Pascha
Christi, das den Gläubigen den Übergang zum ewigen Leben geöffnet hat.
Unsere
Frömmigkeit gibt den Heiligen nichts
Bei einer Predigt in St. Peter,
November 2006. »Freut euch alle im Herrn«. Wir sollen teilhaben an der himmlischen
Freude der Heiligen... Die Heiligen sind keine kleine Gruppe Auserwählter, sondern
eine unzählige Schar. In dieser Menge finden sich nicht nur die offiziell anerkannten
Heiligen, sondern die Getauften aller Zeiten und Nationen, die versucht haben, mit
Liebe und in Treue den Willen Gottes zu erfüllen. Von den meisten von ihnen kennen
wir nicht das Antlitz und nicht einmal den Namen, aber mit den Augen des Glaubens
sehen wir sie am Firmament Gottes strahlen wie herrlich leuchtende Sterne.
In
diesen Tagen feiert die Kirche ihre Würde als »Mutter der Heiligen, Abbild der himmlischen
Stadt« (A. Manzoni) und zeigt ihre Schönheit als unbefleckte Braut Christi, Quelle
und Vorbild jeder Heiligkeit. Gewiß fehlen in ihr widerspenstige, ja geradezu rebellische
Söhne und Töchter nicht, aber die ihr eigenen Wesenszüge erkennt sie in den Heiligen,
und an ihnen hat sie ihre höchste Freude. Das Buch der Offenbarung nennt sie »eine
große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie
zählen« (Offb 7,9). Dieses Volk umfaßt die Heiligen des Alten Testaments, vom gerechten
Abel und vom treuen Erzvater Abraham an, die des Neuen Testaments, die unzähligen
Märtyrer aus der Anfangszeit des Christentums und die Seligen und Heiligen der nachfolgenden
Jahrhunderte bis hin zu den Zeugen Christi unserer Zeit. Sie alle verbindet der Wille,
in ihrem Leben das Evangelium zu verkörpern, unter dem Antrieb des Heiligen Geistes,
der das Gottesvolk auf ewig beseelt.
Aber »wozu dient den Heiligen unser Lob,
wozu unsere Verherrlichung, wozu dieses ganze Hochfest«? Mit dieser Frage beginnt
eine berühmte Predigt des hl. Bernhard zum Allerheiligenfest. Es ist eine Frage, die
man sich auch heute stellen könnte. Und aktuell ist auch die Antwort, die uns der
Heilige gibt: »Die Heiligen brauchen unsere Ehren nicht. Unsere Frömmigkeit gibt ihnen
nichts. … Ich gestehe, daß mich starkes Verlangen erfaßt, wenn ich das bedenke« (Disc.
2; Opera Omnia Cisterc. 5,364ff.). Das also ist die Bedeutung des heutige Hochfestes:
durch den Blick auf das leuchtende Vorbild der Heiligen in uns das große Verlangen
zu wecken, wie die Heiligen zu sein, also glücklich darüber zu sein, nahe bei Gott
zu leben, in seinem Licht, in der großen Familie der Freunde Gottes. Ein Heiliger
zu sein bedeutet, nahe bei Gott, in seiner Familie zu leben. Und das ist unser aller
Berufung...
Die Erfahrung der Kirche zeigt, daß jede Form der Heiligkeit, auch
wenn sie unterschiedliche Wege geht, immer über das Kreuz, über die Selbstentsagung
führt. Die Biographien der Heiligen beschreiben Männer und Frauen, die fügsam waren
gegenüber den Plänen Gottes und die manchmal unbeschreibliche Prüfungen und Leiden,
Verfolgungen und das Martyrium auf sich genommen haben. Sie harrten aus in ihrem Bemühen;
es waren diejenigen – so ist in der Offenbarung zu lesen–, »die aus der großen Bedrängnis
kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht« (Offb
7,14). Ihre Namen sind eingeschrieben in das Buch des Lebens (vgl. Offb 20,12); ihre
ewige Wohnstatt ist das Paradies. Das Vorbild der Heiligen ist für uns eine Ermutigung,
denselben Weg einzuschlagen, die Freude desjenigen zu erfahren, der Gott vertraut,
denn die einzige wahre Ursache der Traurigkeit, des Unglücklichseins liegt für den
Menschen darin, fern von Gott zu leben.
Von der Ausweitung des Herzens
Beim
Angelusgebet im November 2007. Am Hochfest Allerheiligen überschreitet unser Herz
die Grenzen von Zeit und Raum und weitet sich in die Dimension des Himmels aus. In
der Anfangszeit des Christentums wurden die Glieder der Kirche auch »die Heiligen«
genannt. Im ersten Brief an die Korinther zum Beispiel wendet sich der hl. Paulus
»an die Geheiligten in Christus Jesus, berufen als Heilige mit allen, die den Namen
Jesu Christi, unseres Herrn, überall anrufen, bei ihnen und bei uns« (1 Kor 1,2).
Der Christ ist nämlich schon heilig, da die Taufe ihn mit Jesus und seinem österlichen
Geheimnis vereint, gleichzeitig aber muß er es werden, indem er sich ihm immer inniger
anschließt. Manchmal meint man, daß die Heiligkeit ein privilegierter Zustand sei,
der wenigen Auserwählten vorbehalten wäre. Heilig zu werden ist in Wirklichkeit Aufgabe
eines jeden Christen, mehr noch, wir könnten sagen: eines jeden Menschen! Der Apostel
schreibt, daß Gott uns von je her gesegnet und uns in Christus erwählt hat, »damit
wir heilig und untadelig leben vor Gott« (Eph 1,3–4). Alle Menschen sind somit zur
Heiligkeit berufen, die letztendlich in einem Leben als Kinder Gottes besteht, in
jener »Ebenbildlichkeit« mit ihm, nach der sie geschaffen worden sind. Alle Menschen
sind Kinder Gottes, und alle müssen werden, was sie sind, durch den anspruchsvollen
Weg der Freiheit. Gott lädt alle ein, Teil seines heiligen Volkes zu sein. Der »Weg«
ist Christus, der Sohn, der Heilige Gottes: niemand kommt zum Vater außer durch ihn
(vgl. Joh 14,6).
Sterben gehört zum Leben – in jedem Augenblick
Beim
Angelus am Allerseelen-Tag, November 2006. Dies ist eine günstige Gelegenheit,
um im Gebet unserer Lieben zu gedenken und über die Wirklichkeit des Todes nachzudenken,
die die sogenannte »Wohlstandsgesellschaft« oft aus dem Bewußtsein der Menschen zu
verdrängen sucht, die ganz von den Sorgen des täglichen Lebens in Anspruch genommenen
sind. In Wirklichkeit gehört jedoch das Sterben zum Leben, und zwar nicht nur am Ende,
sondern, wenn man es recht betrachtet, in jedem Augenblick. Trotz aller Ablenkungen
läßt uns der Verlust eines geliebten Menschen jedoch dieses »Problem« wiederentdecken;
dann empfinden wir den Tod als eine in jeder Hinsicht feindliche Präsenz, die unserer
natürlichen Berufung zum Leben und zum Glücklichsein entgegensteht.
Jesus
hat dem Tod einen vollkommen anderen Sinn gegeben. Das hat er durch seine Lehren getan,
vor allem aber dadurch, daß er selbst den Tod auf sich genommen hat. »Durch seinen
Tod hat er unseren Tod vernichtet«, heißt es wiederholt in der Liturgie der Osterzeit.
»Durch den Geist, der nicht sterben konnte«, schreibt ein Kirchenvater, »hat Christus
den Tod vernichtet, der den Menschen vernichtete« (Meliton von Sardeis, Über das Osterfest,
66). Auf diese Weise hat der Sohn Gottes bis ins letzte an unserer Menschennatur teilhaben
wollen, um sie wieder für die Hoffnung zu öffnen. Letztendlich wurde er geboren, um
sterben zu können und uns auf diese Weise von der Knechtschaft des Todes zu befreien.
Im Hebräerbrief heißt es, »daß er für alle den Tod erlitt« (Hebr 2,9).
Seither
ist der Tod nicht mehr derselbe: Es wurde ihm sozusagen sein »Gift« genommen. Die
Liebe Gottes, die in Jesus wirkt, hat nämlich dem ganzen Dasein des Menschen einen
neuen Sinn gegeben und hat so auch sein Sterben verwandelt. Wenn in Christus das menschliche
Leben bedeutet, »aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen« (Joh 13,1), dann ist die
Todesstunde der Augenblick, in dem dieser Übergang sich konkret und endgültig verwirklicht.
Wer sich bemüht, wie Christus zu leben, wird von der Angst vor dem Tod befreit, und
dieser wendet sich uns nicht mehr mit dem höhnischen Grinsen eines Feindes zu, sondern
– wie der hl. Franziskus im Sonnengesang schreibt – mit dem freundlichen Gesicht eines
»Bruders«, für den man Gott auch loben kann: »Gelobt seist du, Herr, durch unsern
Bruder, den leiblichen Tod.«
Der Glaube erinnert uns daran, daß wir vor dem
leiblichen Tod keine Angst zu haben brauchen, denn ob wir leben oder ob wir sterben,
wir gehören dem Herrn. Und mit dem hl. Paulus wissen wir, daß wir, auch wenn wir aus
unserem Leib geschieden sind, bei Christus sind, dessen auferstandener Leib, den wir
in der Eucharistie empfangen, unsere ewige und unzerstörbare Wohnstatt ist. Der wahre
Tod hingegen, den wir fürchten müssen, ist der Tod der Seele, den die Offenbarung
den »zweiten Tod« nennt (vgl. Offb 20,14–15; 21,8).
Bitten wir den Herrn um
die Gnade, uns mit innerem Frieden darauf vorzubereiten, diese Welt zu verlassen,
wenn er uns rufen wird, in der Hoffnung, auf ewig bei ihm zu wohnen, zusammen mit
den Heiligen und mit unseren lieben Verstorbenen.