2008-10-23 16:49:27

Indien: "Dritte Kraft soll vermitteln"


60 Tote, Dutzende Vergewaltigungen, unzählige zerstörte Häuser und Kircheneinrichtungen. Das ist die erschreckende Bilanz der Gewaltwelle gegen Christen, die von Hinduextremisten ausgeht und seit knapp zwei Monaten den indischen Bundesstaat Orissa überschwemmt. Dennoch rufen Kirchenvertreter zum friedlichen Dialog auf. Gudrun Sailer berichtet:

Erst am vergangenen Montag haben die indischen Bischöfe erneut eine Untersuchung der Gewalttaten und angemessene Entschädigung für Betroffene gefordert. Doch trotz aller Opfer dürften sich Kirche und Christen in Indien einem offenen Dialog mit der hinduistischen Mehrheit nicht verschließen. Das sagte der indische Erzbischof Thomas Menamparampil am Mittwoch in einem Interview mit Radio Vatikan:

„Natürlich bin ich von den Ereignissen in Orissa außerordentlich betroffen und schockiert. Zwar hat es auch schon früher Gewalt gegen Christen gegeben, aber diese gezielten Verfolgungen sind neu. Trotz unserer Bestürzung dürfen wir aber nicht nur unsere Wunden lecken, sondern müssen an die tausenden Menschen in den Flüchtlingslagern denken und nach Lösungen für den aktuellen Konflikt suchen. Wir müssen Antworten auf die Frage finden, wie Christen in Indien zukünftig mit Schwestern und Brüdern anderer Glaubensrichtungen zusammenleben können.“ 
Damit ein friedliches Miteinander der Religionen in Indien funktionieren kann, müssten alle gesellschaftlichen Kräfte an einem Strang ziehen, meint Erzbischof Menamparampil. Nur so könne sich die Lage allmählich entspannen:

„Den jüngsten Berichten zufolge, ist der Hass auf Christen leider eine Tatsache, die sich nicht von heute auf morgen ändern lässt. Daher ist es sehr wichtig, dass wir überlegen, wie eine dritte Kraft aufgebaut werden kann, die in dieser Situation vermittelt. Ich denke da ganz konkret an Friedenshelfer und neutrale Personen, aber auch indische Führungsfiguren und Prominente aus jenem Lager, aus dem auch die Gegner der Christen kommen. Wir müssen gemeinsam einen Dialog anregen, der auch unter der Zivilbevölkerung den Willen zur Versöhnung hervorruft. Das scheint in der unsicheren und angespannten politischen Lage noch schwierig, aber ich bin sicher, dass auf lange Sicht eine Lösung möglich ist.“ 
Zum zögerlichen Verhalten der indischen Politiker ist Menamparampil geteilter Meinung. Einerseits, vermutet er, sei politischer Opportunismus im Spiel. Andererseits sei aber auch klar, dass die Politik allein das Problem nicht lösen kann:

„Ich will die Sache nicht nur negativ beurteilen und sagen, dass die Unbeweglichkeit der Regierung mit den bevorstehenden Wahlen zusammenhängt und dass deshalb keine der Parteien eine klare Entscheidung treffen will – auch wenn man das objektiv so sehen könnte. Aber andererseits muss man sagen, dass hinter den religiösen Konflikten auch Machtkämpfe zwischen rivalisierenden ethnischen Gruppen stecken, die Politiker allein nur schwer lösen koennen. Daher müssen wir der Regierung helfen und gemeinsam eine friedliche Lösung finden.“ 
Immer wieder heißt es in Berichten, dass sich in Indien immer mehr Menschen zum Hinduismus bekehren. Das soll vor allem die Eingeborenen-Stämme betreffen. Doch die katholische Kirche könne diese Entwicklung mit Gelassenheit betrachten, so der Erzbischof:

„Es ist zunächst einmal eine Tatsache, dass die Stämme ihre eigene Religion, Kultur, Kunst und Weltsicht haben. Manche haben Elemente des Hinduismus integriert, andere nicht. Man kann natürlich sagen, dass sie im Verlauf der Geschichte hinduisiert worden sind und es ist auch völlig legitim, dass unsere hinduistischen Freunde versuchen, diese Stämme in ihre eigene Gemeinschaft aufzunehmen. Hindus können auch Christen dazu einladen, ihre Religion kennenzulernen. Sie sollten aber gleichzeitig die christliche Weltsicht akzeptieren. Denn nur wenn man die aktuellen Probleme gemeinsam und im gegenseitigen Respekt angeht, wird es möglich sein, ein besseres Indien aufzubauen.“
 
(rv 23.10.2008 ad)







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